Gerda Graf

Im Dialog mit Sterbenden


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Standardwerks – ist „als eigentlicher Prozess psychischer Veränderung eine Neuentdeckung. Es ist ein körperlich spürbar ablaufender Prozess, bei dem sich aus Körperempfindungen Sinngehalte ergeben. Dieser Prozess bringt ein Evidenzerleben mit sich, das demjenigen, der es erfährt, absolute Sicherheit vermittelt, das eigentliche Bedeutsame einer Sache gefunden zu haben. Dieses spezielle Sprechen-Lassen aus dem Körper, um die eigentliche Bedeutung eines Problems in evidenter Weise zu erfahren und zu erkennen, ist Focusing.” (S. 7)

       Gefühle in Worte fassen

      „Focusing wurde im Rahmen der klientenzentrierten Psychotherapie entwickelt. Carl Rogers, der Begründer der klientenzentrierten Psychotherapie, postuliert das empathische Verstehen, das wirkliche Zuhören-Können. Indem er sich in den Bezugsrahmen des Klienten versetzt, versucht Rogers, die Gefühlsbedeutung der Aussage eines Klienten zu verstehen und dem Klienten sein Verständnis mitzuteilen. (…) Wenn Rogers die Gefühle, die eine Aussage begleiten, widerspiegelt, lässt Gendlin die Aussage zuerst körperlich empfinden, bis aus der Körperempfindung die gefühlte Bedeutung spricht.” (S. 7/8)

      Bereits diese prägnanten Formulierungen skizzieren den unschätzbaren Wert dieser professionellen Interventionsmöglichkeit: Hier wird das Körpererleben auch an Worte gebunden und eine ganzheitliche Kommunikation hergestellt, und damit tragen körperliche Entspannung und bewusstes Wahrnehmen eines Schmerzes zur psychischen Erleichterung bei; aktuelle Publikationen sind beispielhaft folgende:

      Cornell (1997); Feuerstein; Müller & Weiser-Cornell (2000), und zum Thema „Schmerzbewältigung”, „Umgang mit chronischen Schmerzen” liegt auch eine CD-ROM beim FZK (Focusing Zentrum Karlsruhe / Weingarten) vor.

      Burgheim (1994) macht an sieben methodischen Gestaltungselementen – verbunden mit vielen Beispielen und Praxisbezügen – die Aufgaben eines „Lernhelfers” (so nennt er ihn) in der qualifizierten Begleitung von Sterbenden und Trauernden deutlich.

       Burgheims Lehr-Lern-Prozess

      Dazu bedient er sich folgender methodischer Elemente im Lehr-Lern-Prozess als Weg des Lehrens und Lernens (S. 167 – 251):

      

Verstehen (Sprache und Verstehen)

      

Hineinhören (Erzählung und Hineinhören)

      

Schreiben (Schreiben und Vorlesen)

      

Schauen (Bilder und Schauen)

      

Gestalten (Gestalten und Begreifen)

      

Berühren (Körper und Berühren)

      

Bewegen (Leib und Bewegen)

      Damit wird den Beteiligten im Krisen-Lehr-Lern-Prozess ein methodisches „Rüstzeug” an die Hand gegeben um „überleben zu lernen, und das ist wesentlich.” (Burgheim, S. 247)

      Ein Beispiel: Das „Apallische Syndrom”

       Ein Fallbeispiel

      Im so genannten „Wachkoma”(=„Apallisches Syndrom”) befindet sich der Patient in einem schlafähnlichen Zustand, hält aber die Augen offen. Ursachen für diesen Zustand sind mannigfaltig: Etwa ein Herzinfarkt, Schlaganfall, Unfall, Komplikationen in Verbindung mit einer Reanimation oder infolge eines Narkosezwischenfalls. Ca. 100.000 Menschen – so schätzt man – erleiden pro Jahr ein solches schweres Schädel-Hirntrauma in Deutschland (laut Angaben des Vereins „Dornröschen” in Bad Honnef).

      In einer großen Regionalzeitung (Rhein-Zeitung, Koblenz vom 22.09.2001) wird folgender Fall beschrieben:

      Willi Zeck, ein 57-jähriger Maschinenbauer, fällt bei Arbeiten „rund um sein Haus” plötzlich um. Er wird reanimiert, im Krankenhaus ein zweites Mal. Wie lange er unter Sauerstoffmangel gelitten hat, weiß seine Frau nicht. Die Ärzte versetzen den Patienten in ein künstliches Koma. Nach zwei Wochen atmet Zeck wieder selbst, aber das Bewusstsein erlangt er nicht wieder. Seine Frau ist dennoch optimistisch, schaut ihn immer wieder an und denkt: „Er muss doch gleich aufwachen.” Die Ärzte bleiben skeptisch, „ich müsste abwarten”, sagten sie. „Und sie wollten mir nichts versprechen, keine zu großen Hoffnungen machen.”

      Gertrud Zeck lässt sich die Hoffnung nicht nehmen. Bis heute nicht. „So einfach geht das nicht.” Ihr Mann wird in die Akut-Rehabilitation nach Trier verlegt. Sein schlafähnlicher Zustand hält an. Mit geöffneten Augen starrt Willi Zeck zur Decke. Seine Frau sitzt jeden Tag neben ihm, stundenlang hält sie seine Hand. Und sie erzählt, erzählt. Von Tochter Sandra, vom neuen Haus. Von den Rechnungen, die endlich bezahlt sind, und dass das Geld sogar noch fürs Verputzen reichen wird. Gertrud Zeck muss sich erst daran gewöhnen, dass sie keine Antwort bekommt. Fragen stellt sie dennoch, und mit ihrem Mann vereinbart sie: „Wenn du ja sagen willst, dann mach die Augen ein Mal zu.” Als das funktioniert, ist die 46-Jährige endgültig überzeugt, dass ihr Mann im Wachkoma seine Außenwelt wahrnimmt.

       … und die Meinung der Experten

      Ein Experte, der Oldenburger Mediziner Andreas Zieger, wird in dem Artikel der Zeitung wie folgt zitiert:

      „Bei Wachkoma-Patienten handelt es sich um lebende und empfindsame Menschen, deren Leben konsequent gefördert oder begleitet, nicht aber durch Maßnahmen zur Sterbehilfe beendet werden sollte. Menschen im Wachkoma sind weder unheilbar Kranke noch Sterbende oder gar (Teil-) Hirntote, sondern sie sind neurologisch (Langzeit-) Schwerstkranke. Ihre Behandlung, Förderung und Begleitung ist an den gleichen Kriterien zu messen wie der Umgang mit anderen chronisch Schwerstkranken oder Schwerstbehinderten.”

       Die Sprache der Sterbenden

      Die Beschäftigung – eben auch nonverbal – mit der „Sprache der Sterbenden” setzt voraus, dass sich die Begleitenden die Zeit und die Ruhe nehmen, um genau hinzusehen, hinzuhören und sich in den sterbenden Menschen hineinzufühlen (Klessmann, 1994).

      Demnach können sprechunfähige Menschen durchaus noch sehr wahrnehmungsfähig sein und sind auf vielfache Weise noch zu erreichen.

      Klessmann (1994. S. 171) führt dazu aus:

       Wahrnehmungsfähigkeit

      „Hör-, Seh-, Riech- und Geschmackssinn sind mehr oder weniger intakt und natürlich kommen auch die Wahrnehmung von Hautkontakt, Mimik, Gestik, Zeichensprache und die Sprache der Berührung hier voll zum Zug. Krankenschwestern, die darin Erfahrung und Übung haben, berichten erstaunliche Dinge über die Differenziertheit, die in der Verständigung mit solchen Patienten möglich ist.”

       Modulation der Stimme

      Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, wenn Menschen, die Sterbende begleiten, etwas über ihre eigene Mimik und Gestik sowie über ihre Stimme wissen. Ebenso wichtig ist es, dass sie wissen, was sie ausstrahlen und wie sie Zuwendung oder Ablehnung, Gleichgültigkeit oder Freude ausdrücken oder wie sie zu Schwerkranken oder Sterbenden sprechen: Wie klingt meine Stimme? Eher hart oder flüchtig oder warm? Wie rede ich mit einem Schwerkranken? Mache ich ihn zum Kind, oder rede ich mit ihm wie mit einem Erwachsenen?

      Seit langem ist bekannt:

      „Trost und Zuwendung heilen!”

      Dies wird durch die Distanziertheit in der modernen medizinischen Versorgung, aber auch durch Routineabläufe in Krankenhäusern / Altenheimen allzu häufig verhindert.

      Hilft Vertrauen heilen?

      Ein großes