Adriana Stern

Hannah und die Anderen


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was. Bestimmt nicht, Klara! Ich hoffe, du glaubst mir das.

      Warum nur glaubt Mama mir nicht?

      Ich versuche so oft, ihr zu helfen und sie zu verstehen, aber zwischen uns liegt ein riesiger Graben, den ich nicht überwinden kann.

      Ich möchte noch immer ganz oft sterben! Zur Kirche gehe ich aber jetzt nicht mehr. Ich trau mich auch nicht mehr, mit welchen in der Klasse darüber zu reden, nachdem ich Anne gefragt habe, ob sie auch so oft an den Tod denkt. Erst hat die mich angeguckt, als hätte sie einen Marsmenschen vor sich, und dann hatte sie nichts Besseres zu tun als das gleich Frau Liesban weiterzupetzen, und die hat dann mit mir ein Gespräch gemacht, weil sie doch Vertrauenslehrerin ist.

      Dabei hat der Pfarrer doch gesagt, alle Jugendlichen denken in meinem Alter an Selbstmord! Ich habe Frau Liesban natürlich nix erzählt. Die denkt am Schluss doch nur, dass ich verrückt bin und in die Klapse gehöre, nur weil ich sterben will wegen Mama und weil Mama mich niemals lieben wird.

      Ach Klara, was soll ich nur tun? Ich verstehe mich selbst immer weniger und es gibt keinen Menschen, mit dem ich über mich reden könnte.

      Ich bin wirklich total verzweifelt und fühle mich schrecklich allein. Ich glaube, der Pfarrer hat gelogen. Der wollte wahrscheinlich einfach nichts hören von meinen Gedanken und Gefühlen. Na ja, kann man ja verstehen. Aber er hätte trotzdem nicht so tun müssen, als sei das ganz normal mit dem, was ich denke.

      Warum bin ich nur so geworden, Klara? So verkorkst und so. Depressiv, meinte Frau Liesban. Ich würde depressiv auf sie wirken, und dann fragte sie, ob ich Probleme zu Hause hätte.

      Na, die hat vielleicht Nerven! Probleme zu Hause. Mit ihrem Chef womöglich. Das vergessen die Pauker hier immer so gerne. Dass good old Daddy schließlich der Schuldirektor ist. Ich kann das jedenfalls nicht vergessen. Tut mir Leid. Auch wenn ich Paps an sich ganz in Ordnung finde, so weiß ich doch andererseits schon längst, dass er zu Mädchen alles andere als nett ist. Aber das würde mir an dieser Schule sowieso niemand glauben. Also wieso fragt die blöde Lehrerin uns überhaupt, wenn sie die Antwort doch sowieso nicht hören will?

      Und wie ich mit ihr über meine nächtlichen Abenteuer reden soll – das ist mir das absolute Rätsel überhaupt!

      Siehst du, Klara, jetzt hab ich schon wieder die ersten Flecken in meinem neuen Tagebuch. Ich bin doch wirklich ein hoffnungsloser Fall. Bitte, verzeih mir! Ich habe gerade auf die Uhr geguckt. Ich muss unbedingt schlafen. Aber ich verspreche dir, dass ich jetzt öfter in das Buch hier schreibe, weil das toll ist und ich mich jedes Mal nach dem Schreiben richtig gut fühle. Es war übrigens eine gute Idee von dir mit dem Schulbuch. Ich glaube, es ist die perfekte Tarnung.

      Komisch, wer kommt denn da die Treppe rauf mitten in der Nacht? Oh Gott, Mama …

       3. Kapitel, in dem Sascha zwei neue Freunde trifft, ein Märchenbuch sich in einen bösen Traum verwandelt und Hannah heimlich Fragen stellt

      Sie sah in ein freundliches blaues Gesicht mit einem großen lachenden Mund, der sich öffnete und schloss, und sie ließ langsam eine Hand auf die Knie sinken. Warum das Tier da vorne wohl gar nicht spricht, überlegte sie und wagte nicht, sich zu bewegen, um den kleinen blauen Kuscheldrachen nicht zu verscheuchen. Sie wusste sehr genau, wie behutsam man sich bewegen musste, um ängstliche kleine Wesen nicht in Panik zu versetzen.

      Ja, sie hatte schon oft gehört, dass Kuscheltiere gar nicht wirklich lebendig sind. Vati und Mutti sagten ihr das immer wieder, aber irgendwie wollte sie nicht daran glauben. Wenn ihr kleiner gelber Teddy mit ihr sprechen konnte, warum sollte es dieser blaue Drache dann nicht können?

      Sie lächelte unter Tränen und sah den Drachen unverwandt an, in der Hoffnung, dass er etwas zu ihr sagen würde. Dass er ganz lebendig werden würde und sie vielleicht mit ihm spielen könnte. Vorsichtig setzte sie sich ein wenig bequemer hin. Mit jeder ihrer Bewegungen ließ sie sich sehr viel Zeit und nur ganz bedächtig wischte sie sich mit dem Handrücken ein paar Tränen aus dem Augenwinkel.

      »Hallo, du«, sagte der Drache plötzlich. Dabei legte er den Kopf schief und grinste über sein ganzes kleines Gesicht.

      Sie jubelte innerlich. Mutti und Vati hatten Unrecht. Kuscheltiere sprachen wohl. Nur konnten Erwachsene sie nicht hören.

      »Ich heiße Flax Flabi Fledermaus, aber der Einfachheit halber darfst du Flax zu mir sagen, und jetzt bin ich auch noch ein kleiner Drache. Genau genommen nämlich erst achthundertdreiundvierzig Jahre alt, aber die Janne will mir trotzdem schon bald das Feuerspucken beibringen. Das«, fuhr der kleine Drache fort, »habe ich noch nicht gelernt.«

      »Ich heiße Sascha und bin schon fünf«, flüsterte sie, und zum Zeichen ihrer Freundschaft legte sie ihren Kopf ebenfalls ein wenig schief.

      »Dann kannst du wohl auch noch nicht Feuerspucken?«, wollte der Drache wissen.

      Sascha lachte verlegen. »Nein, Feuerspucken, das kann ich nicht. Aber Radfahren«, erklärte sie stolz. Sascha freute sich über den Drachen, und als er ein wenig näher rutschte, streckte sie ihre Hand vorsichtig nach seinem Kuschelfell aus. Nur so weit, dass er noch selbst entscheiden konnte, ob er angefasst werden wollte.

      Der Drache wollte dies ganz offensichtlich, denn er schmiegte sein Köpfchen nun gegen ihre Hand. Sascha gluckste vor Vergnügen und ihre Augen begannen zu strahlen. Sie streichelte den blauen Drachen ganz behutsam und sah ihm dabei in die Augen. Sie sahen aus wie dunkle glitzernde Sterne, und Sascha wurde es ganz warm im Bauch. Da entdeckte sie unter dem Küchentisch eine bunte Glaskugel, die verführerisch glänzte.

      »Du, Flax?« Das du zog sie in die Länge und die Betonung lag zitternd im Raum. Der Drache beobachtete sie mit weiterhin schief gelegtem Kopf, und sie wagte den zweiten Versuch. »Du, Flax, magst du Murmeln auch so gerne wie ich?«

      Der Drache nickte heftig und lachte.

      »Soll ich mal die da holen und wir spielen zusammen?« Sascha deutete mit dem Kopf in Richtung Küchentisch.

      »Au ja«, freute sich Flax und Sascha rutschte auf Knien unter den Tisch.

      Die Murmel fühlte sich kühl an in ihrer Hand. Sie war klein und durchsichtig mit winzigen Regenbögen innen und einem Blauschimmer, der leuchtete, wenn Sascha die Kugel leicht bewegte. Sie rollte die Murmel vorsichtig zu dem kleinen Drachen, der vor Freude ein wenig in die Höhe sprang. Dann ließ er die Kugel zu ihr zurückrollen, und es begann ein Spiel, das im Laufe der Minuten immer ausgelassener und wilder wurde.

      Sascha hatte sich noch nie in ihrem Leben so wohl gefühlt, und sie vergaß, wie groß ihre Angst sonst immer war. Sie fühlte sich sicher und auch verstanden und endlich, endlich hatte sie einen Freund gefunden, dem sie etwas von sich erzählen konnte und der mit ihr spielte und ihr glaubte, dass es sie wirklich gab. Und endlich fror sie nicht mehr so schrecklich und niemand lachte böse auf diesem schönen Holzfußboden.

      Sascha beobachtete immer noch, ob sich Flax vielleicht veränderte und ein böser Wolf wurde, der sich auf sie stürzte und sie zerriss. Aber so lange sie auch hinsah, Flax blieb einfach Flax, der sich über das Glasperlenspiel freute, und deshalb durfte sie endlich auch Sascha bleiben, die mit ihm spielen konnte, ohne sich zu fürchten.

      »Sascha, magst du vielleicht auch einen Saft? Ich habe großen Drachendurst.«

      Sascha nickte.

      »Dann frag ich mal die Janne, ob sie uns was zu trinken holt, ja?«

      Als Sascha nicht antwortete, beugte sich der kleine Drache verschwörerisch zu ihr vor und zog eine Augenbraue hoch. »Die Janne, das ist nämlich schon eine große Freundin und sie gibt mir immer alles, was ich haben möchte.« Der Drache lachte verschmitzt. »Die bringt mich sogar ins Bett und liest mir noch Märchen vor, bis ich eingeschlafen bin.«

      So etwas hatte Sascha noch nie gehört und vor Staunen wurden ihre Augen ganz groß und kugelrund. Solche Freunde hatte Flax? Sie