die Runde kleiner geworden ist, seit die Kinder als Erwachsene das Haus verlassen haben. Nach einem kurzen Tischgebet beginnt jeder schweigend seine Mahlzeit. Es dauert eine Weile, bis Donna, die Uwe immer wieder mustert, das Schweigen bricht.
„Wie lange hat es eigentlich damals gedauert, bis du zu Hause angekommen bist?“
„Ich bin nie wieder nach Hause gekommen. Meine Heimat in Ostpreußen ist ja jetzt russisch. Ich wurde nach Westdeutschland entlassen, in die britische Besatzungszone. Über das Rote Kreuz habe ich nach vier Monaten erfahren, dass Inge, meine Frau, in Düsseldorf lebte. Da bin ich dann auch hingegangen. Inge war ja im Krieg Schreibkraft in einer Rüstungsfabrik. So hat sie bald eine gute Stelle bekommen, bei einem Wirtschaftsberater.“
Uwe macht eine Pause.
„Ich selbst habe alles Mögliche angefangen. Auch auf dem Schwarzmarkt versuchte ich etwas Geld zu verdienen. Aber es ist nichts Rechtes draus geworden. Dann bin ich, sozusagen aus Zufall, zu zwei alten Lastwagen mit Holzvergaser-Motoren gekommen und fing damit einen kleinen Fuhrbetrieb an. Das lief auch nicht schlecht. Ich war ja immer ziemlich geschickt in mechanischen Dingen und konnte somit die beiden alten Wracks am Laufen halten. 1948, als unsere Währung bis auf zehn Prozent abgewertet wurde kam ich ganz gut heraus. Ich habe drei Laster dazugekauft. Aber es ging nur mühsam weiter.“
Uwe räuspert sich, seine Verlegenheit nur mühsam verbergend.
„Ich hatte halt einfach kein Talent fürs Geschäftsleben. Also kurz und gut, es ging kaum mehr vom Fleck. Wir lebten zuerst vor allem von Inges Sekretärinnen-Gehalt.“ Uwes Stimme stockt. Leise fährt er fort.
„Ja, sicher, sie hatte wohl mehr von mir erwartet. Und sie hat angefangen, darüber zu klagen, dass wir keine Kinder haben. Aber es hat nicht geklappt.“
Er macht eine Pause.
„Und was das Geschäftliche anbelangt, hat sie mir immer ihren Chef als Vorbild geschildert, er bringe ihr zunehmend mehr Vertrauen entgegen. Da hat es ein paarmal richtig gekracht. Und ich habe bemerkt, dass ihr der Chef, ein Junggeselle, schöne Augen machte. So sind wir immer mehr auseinandergedriftet. Hin und wieder war auch zu viel Alkohol mit im Spiel.“
Uwe starrt vor sich hin. Ein wenig kleinlaut fährt er nach einer Pause fort.
„Sicher, Inge hat sich viel Mühe mit mir gegeben. Auch nachdem ich aus unserer Wohnung ausgezogen bin. Und vielleicht wären wir wieder zusammengekommen, wenn das mit dem Unfall nicht passiert wäre. Wir verbrachten sogar wieder eine Nacht zusammen in ihrer Wohnung.“
Er schluckt, als seine Stimme beinahe versagt.
„Aber dann ist mir am nächsten Tag nachts auf der Königsallee ein Betrunkener direkt vor das Auto gerannt.“ Wieder eine Pause.
„Er war sofort tot.“
Donna legt mit einer mitleidigen Geste ihre abgearbeitete Hand auf Uwes verkrampfte Faust, die ein paar unkontrollierte Bewegungen auf dem Tischtuch gemacht hat.
„Ich habe das wie ein Gottesurteil genommen. Und auch das Gericht hat eindeutig festgestellt, dass ich gar keine Chance gehabt hätte, so rechtzeitig zu reagieren, damit der Mann, der als notorischer Alkoholiker bekannt war, nicht von meinem Wagen erfasst worden wäre.“
„Aber“, Uwes Augen sind unbeweglich und seine Stimme klingt heiser, „aber ich bin das einfach nicht mehr losgeworden. Es war mir, als hätte hier ein höheres Gericht gegen mich entschieden. Ich kam mir als Versager auf der ganzen Linie vor! Da war meine Ehe, die ich nicht ausfüllen konnte, meine Frau offensichtlich vom Glanz ihres erfolgreichen Chefs geblendet. Ja, wenn wir Kinder gehabt hätten. Aber das hat ja auch nicht geklappt! Im Geschäft war ich den harten Methoden der Branche in unserem Wirtschaftswunderland nicht gewachsen. Und nun das!“
Er spricht leise, sein Blick in die Ferne gerichtet.
John und Donna hören schweigend zu und vermeiden, ihr Mitleid offen zu zeigen.
„Ich wollte neu anfangen, wollte Inge nicht mehr im Wege stehen. Ich habe sie nicht mehr gesehen, sondern in aller Stille durch meinen Anwalt die Scheidung einreichen lassen, alle Schuld an der Zerrüttung auf mich genommen, mein Geschäft verkauft und den Erlös bis auf einen Betrag, den ich hier zum Start von ganz unten brauchte, an sie überweisen lassen. Sobald ich vom kanadischen Konsulat die Einwanderungspapiere erhielt, bin ich abgereist.“
Uwe macht einen erschöpften Eindruck. Aber man merkt ihm auch die Erleichterung an, sich das alles von der Seele geredet zu haben, was er tief im Innern mit sich herumschleppte.
„Ja, es sind jetzt schon sieben Monate her. Mir wäre wohler, wenn ich wüsste, ob ich das Richtige getan habe!“
2
Inge, heirate mich!“. Die Worte kommen leise, aber eindringlich. Die Augen hinter der randlosen Brille strahlen ruhige Entschlossenheit aus. Karl Harder hält Inge Breuers Hände mit den seinen fest umschlossen, als wolle er sie daran hindern, sich ihm zu entziehen.
Er hat das dezente Ambiente dieses vornehmen Restaurants im Düsseldorfer Parkhotel gewählt, weil er Inge nicht durch die Atmosphäre seines eigenen Hauses verunsichern wollte. Keine Zweifel, er weiß was er will, er will diese Frau gewinnen. Er ist sich ihrer Zustimmung nicht gewiss. Trauert sie immer noch ihrer ersten Ehe nach mit einem Mann, der nichts auf die Reihe brachte? Sie kennen sich schon viele Jahre, ob sie sich für ihn entscheiden wird? Nein, er ist nicht mehr der Jüngste. Vor zwei Wochen hat er seinen zweiundvierzigsten Geburtstag gefeiert. Aber was heißt das schon bei seiner Generation! Man hatte ihnen ja die Jugend gestohlen. Als er nach dem Abitur seinen zweijährigen Wehrdienst antrat, wusste er noch nicht, dass er die Uniform für lange sieben Jahre nicht mehr ausziehen würde. Gerade als seine Pflichtjahre abgeleistet waren, brach der Krieg aus. Er, der Oberfähnrich, marschierte mit nach Polen, dann nach Frankreich und schließlich in die endlose Weite Russlands. Dann war alles vorbei. Karl Harder stand in seiner verschlissenen Hauptmannsuniform als Siebenundzwanzigjähriger am Grab seiner Eltern. Sie kamen kurz vor dem Zusammenbruch bei einem Bombenangriff ums Leben.
Aber er hatte insofern Glück gehabt, als er schon nach wenigen Monaten aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen wurde. Und mit der ihm eigenen Zähigkeit nahm er alle Unbilden des Studentenlebens in jenen Anfangsjahren auf sich, sobald die Bonner Universität wieder ihre Tore öffnete. Betriebswirtschaftslehre war sein Fach, weil er sich ausrechnete, dass Wirtschaftsberatung trotz oder gerade wegen der ungeheuren Zerstörungen ein Mangelberuf sein werde. Er sollte Recht behalten. Sein Beratungsunternehmen war ein Erfolg. Er wurde während dieses deutschen Wirtschaftswunders ein wohlhabender Mann. Nur zum Heiraten ist er nicht gekommen.
Jetzt saß vor ihm die Frau, die er damals als seine erste Sekretärin eingestellt hatte. Bald schon bemerkte er, dass er sich auf diese Inge Breuer blind verlassen konnte. Seit zehn Jahren schmiss sie den ganzen Laden und entwickelte zudem jene damenhafte Sicherheit, die gerade sein Kundenkreis zu schätzen wusste. Schon nach kurzer Zeit war sie unentbehrlich geworden. Ihr Mann hatte sich mehr schlecht als recht im Transportgewerbe versucht. Nein, dafür war der nicht gemacht! Er hatte sich auch nichts sagen lassen, und schon gar nicht von ihm, Karl Harder, weil er wohl spürte, dass er in Inge mehr sah als nur eine Angestellte.
Er hätte wohl keinerlei Chance gehabt, sie je von Uwe Breuer loszueisen. Inge war ihrem Mann unverbrüchlich treu. Sie liebte ihn. Karl Harder wusste das. Es wäre ihm nie eingefallen, auch nur den geringsten Versuch zu unternehmen, seine Gefühle für Inge offen zu zeigen.
Aber dann war die Sache mit dem Unfall auf der Königsallee passiert. Uwe Breuer hatte wohl Panik bekommen. Er reichte die Scheidung ein, erklärte sich durch seinen Anwalt als allein schuldig für die Zerrüttung der Ehe und verschwand. Dass seine Frau ein Kind erwartete, scheint ihn nicht gerührt zu haben.
Inge Breuer, die jetzt vor ihm sitzt, ist bleich geworden. Sie starrt ihn an und versucht, ihm ihre Hände zu entziehen.
„Karl, ich bin schwanger mit dem Kind von Uwe!“, sagt sie hilflos.
„In zwei Monaten ist es soweit!“
„Aber