Rainer Hamberger

Verschollen am Nahanni


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zu sagen: „Er weiß nichts von dem Kind!“

      Die Worte hängen schwer in der Luft.

      „Was? Du hast es ihm nicht gesagt?“

      Zum ersten Mal fällt die überlegene Sicherheit von ihm ab.

      „Ich habe es nicht fertiggebracht“, kommt leise die Antwort.

      Und dann öffnet sie sich, ganz langsam, stockend, Wort hinter Wort setzend.

      „Es war wohl mehr meine Initiative, damals, die Nacht vor dem Unfall, er wohnte ja nicht mehr bei mir, war ausgezogen. Ich lud ihn zum Essen ein und wir sprachen von den alten Zeiten, damals während des Krieges, von den Briefen, die wir uns geschrieben haben dann, als er verwundet war und bei uns in Stettin im Reservelazarett lag, und als er plötzlich die Heiratsgenehmigung herauszog – mit meinem Namen darin, er zweiundzwanzig und ich neunzehn. All die Erinnerungen an unsere Kriegstrauung kamen hoch, an die Trennung, und dass er dann wenige Wochen später abgeschossen wurde und in Gefangenschaft geriet. Die Erinnerung an die gemeinsamen Erlebnisse machten uns beide glücklich.''

      Sie schluckt.

      „Da ist er bei mir geblieben. Als er nach dem schrecklichen Unglück auf der Kö nicht mehr auftauchte und dann später sein Anwalt anrief, wegen der Scheidung“, sie schluckt wieder und hält einen Moment inne, „da habe ich es einfach nicht fertiggebracht, das mit der Schwangerschaft zu sagen. Ich war verletzt und ich wollte ihn auch nicht mit dem Kind erpressen, bei mir zu bleiben.''

      Karl war der Erzählung mit ungläubigem Gesicht gefolgt.

      „Inge, ich bewundere dich, du bist eine unglaublich starke Frau, aber du musst doch auch an deine Zukunft und an die des Kindes denken.“

      Er zwingt sich zur Ruhe.

      „Du bist eine geschiedene Frau und hättest dann ein uneheliches Kind, unsere Gesellschaft ist ja nicht übertrieben tolerant, wie du weißt.“

      Er schaut sie mit einem sachlichen Blick an, um dann weich zu werden.

      „Inge, ich bin kein übertrieben impulsiver Mann, du weißt das, aber du hast in diesen Jahren unserer Zusammenarbeit doch sicher gespürt, dass ich ein tiefes Gefühl für dich habe. Ich habe nie versucht mich dir aufzudrängen. In eure Ehe hätte ich mich niemals eingemischt. Aber soll ich jetzt, wo du frei bist, so tun, als würdest du mir nichts bedeuten? Wir sind in diesen Jahren verlässliche Freunde für einander geworden.“

      Er zwingt sie mit seinem Blick, ihm in die Augen zu schauen.

      „Ich werde mich nie einer anderen Frau wirklich zuwenden können, ich brauche dich! Wir passen zusammen, wir haben schon bewiesen, dass wir ein Team sind.“

      „Aber das Kind ...“, wirft sie ein.

      Er sieht sie fast flehend an.

      „Ich kann es doch nicht einfach beiseiteschieben.''

      Ihre Augen haben einen verzweifelten Ausdruck.

      „Inge, das Kind ist ein Teil von dir, und ich würde es mit aller Liebe umgeben, als wäre es mein eigenes. Es würde meinen Namen tragen, und wenn du nicht willst, wird es nie erfahren, dass es einen anderen Vater hat. Ich werde nichts tun, um deine Liebe zu erzwingen, aber ich werde versuchen, sie mir zu verdienen. Inge, ich bitte dich, heirate mich!“

      Alles klar zur Landung.“

      Uwe Breuer weiß nicht wie oft er diese Antwort während der letzten Jahre vom Tower bekam. Vorsichtig setzt er die Beaver auf und lässt sie ausrollen. Ein Glücksgefühl durchströmt ihn. Auch ein erfahrener Pilot ist jedes Mal froh, sich und seine Passagiere wieder gesund auf den Boden zu bringen. Dann wird das Flugzeug mit Seilen festgezurrt. Plötzlich auftretende Winde haben schon manchen Schaden an nicht gesicherten Maschinen angerichtet.

      „Für heute ist Feierabend“, überbringt Sandy Foster, Eigner der Northern Flying Services Ltd, sein Chef, die gute Nachricht. Mehr als zehn Jahre arbeiten die beiden nun schon zusammen. Sandy fand in ihm einen zuverlässigen Piloten, den er unbedingt für sein Transportgeschäft benötigte. Als Uwe sich aus seiner Fliegerkluft schält, läutet das Telefon. Sandy nimmt ab.

      „Ist es wirklich gleich notwendig? Glaubst du nicht, dass es noch eine Weile dauert? Ok, du wirst es ja wissen, ist schließlich nicht dein erstes“, beendet er das Gespräch. „Uwe, du musst doch gleich wieder los. Diane Curtiss hat Wehen und sie glaubt, dass es diesmal nicht so lange dauert bis das Baby kommt. Also schnell ab ins Krankenhaus.“

      Schon ist Uwe unterwegs. Schnell zieht er sich die Fliegerkluft wieder über. Die Maschine muss frisch betankt werden. Das Wetter sieht auch nicht einladend aus, aber dieser Flug erlaubt keine Verzögerung. Diane und ihr Mann stehen schon im Warteraum bereit. Im Koffer das Notwendigste fürs Krankenhaus. Ein Stoßgebet zum Himmel schickend verstaut Uwe die beiden in seiner Maschine. Trotz der Dringlichkeit absolviert er in aller Ruhe seine Startvorbereitungen. Die nächstgrößere Krankenstation ist eine gute Flugstunde entfernt, wenn das Wetter mitmacht.

      „Alles wird gut. Versucht euch zu entspannen. Wir schaffen das rechtzeitig“, beruhigt er die werdenden Eltern.

      Eine Geburt im engen Flugzeug, eventuell mit einer Notlandung, ist nicht gerade die Traumvorstellung eines Piloten. Immer wieder streift sein Blick die schwer atmende Diane auf dem Rücksitz. Wie gern wäre er mit Inge in dieser Situation gewesen. Beide hatten sie sich eine Familie gewünscht. Der Unfall veränderte alles.

      Doch denkt Uwe zurück an die Zeit, als er Deutschland den Rücken kehrte und in Kanada Fuß fasste, müsste er fast dankbar für dieses eingreifende Ereignis in seinem Leben sein. Hier oben im Norden konnte er seine Leidenschaft für die Fliegerei berufsmäßig ausleben. Viele Freunde halfen beim Neuanfang. Allen voran John, bei dem er sich während des Krieges als Kriegsgefangener aufhielt. Ein ferner Verwandter von John lebte als Buschpilot in dieser einsamen Gegend und suchte dringend Verstärkung. Die Gelegenheit für Uwe! Sandy und er verstanden sich vom ersten Augenblick an. Eine langanhaltende Freundschaft begann.

      Auf dem Rücksitz atmet Diane regelmäßig. Zum Glück werden die Wehen nicht stärker.

      „Ich glaube, das Baby merkt, dass es noch etwas warten muss“, meint sie lächelnd, als sie erleichtert die blau blinkenden Lichter des Krankenwagens auf dem inzwischen sichtbar gewordenen Landefeld sieht. Dann übergibt Uwe den wartenden Sanitätern seine Passagiere. Ihm fällt ein Stein vom Herzen.

      Das Funkgerät rauscht. „Hallo hier ist Sandy, kannst du mich hören? Das Wetter ändert sich. Es soll stürmisch werden. Das Risiko für einen Rückflug kannst du nicht eingehen. Bestimmt ist bis morgen das Unwetter durchgezogen.“

      „Gut, wenn du meinst, werde ich mich in diesem aufstrebenden Ort heute Nacht amüsieren. Selbstverständlich auf deine Kosten!“

      Uwe nimmt es gelassen. Sicher findet er eine Bleibe. Seine Gedanken weilen bei Diane. Hoffentlich geht alles gut. Im nächstgelegenen Motel beim Flugplatz bucht er ein Zimmer. Beim Öffnen der Türe gleitet ein Lächeln über sein Gesicht. Der etwas muffige Geruch, die einfache, aber saubere Ausstattung, die schräg hängende Jalousie, altmodische Baseboard Heater, die bei niedrigen Temperaturen für Wärme sorgen: Für ihn ist es das Kanada, das ihm nach all den Wirren seines früheren Lebens ein Gefühl von Heimat vermittelte, als er erstmalig hier Fuß fasste. Gerade diese Unzulänglichkeiten machen es so liebenswert. Dann am Morgen der erlösende Anruf: Der neue Einwohner für seinen Heimatort in der Wildnis kam wohlbehalten auf die Welt. Mutter und Sohn geht es gut. Auch Uwe freut sich für die Eltern. Soweit abseits von der Zivilisation in einer kleinen Gemeinde lebt es sich wie in einer großen Familie. Jeder kennt jeden. Das bedeutet auch jeder hilft jedem.

      „Hallo Sandy. Gute Nachrichten hier. Die Curtiss haben einen Sohn und wie ist das Wetter bei euch? Da bring ich die drei doch gleich wieder mit zurück. Also dann bis später.“

      „Wie viele Eier möchtest du zum Speck?“

      fragt die freundliche Bedienung ihn am nächsten Morgen beim