Rainer Hamberger

Verschollen am Nahanni


Скачать книгу

das er sich normalerweise nicht gönnt, um sein Gewicht zu halten. Am Flugplatz erwartet ihn eine blasse, aber glücklich lächelnde Diane mit einem in Tüchern gewickelten winzigen Menschlein. „Der sieht aber wirklich seinem Vater sehr ähnlich“, kommentiert er das Bündel mit Blick auf den stolzen Erzeuger, wofür er einen freundschaftlichen Rippenstoß erhält. An der Maschine wartet schon ein junges Paar, das den außerplanmäßigen Flug wahrnimmt, um schneller zum Wanderziel im kanadischen Norden zu kommen. Bald darauf sticht die Beaver in den stahlblauen Himmel. Unwirklich ruhig verläuft der Flug.

      Bereitwillig gibt Uwe Auskunft, was die jungen Leute in der Wildnis erwartet und worauf es zu achten gilt.

      „Ihr könnt mit Joe noch mitfahren. Er wohnt dort oben. Dann spart ihr euch den Marsch die Straße entlang.“

      Die Wanderer sind erstaunt, auf wie viel Hilfsbereitschaft sie stoßen.

      „Alles klar zur Landung?“

      Das übliche Prozedere. Vor dem Hangar haben sich viele Freunde versammelt, die den Neubürger mit lautem Hallo willkommen heißen. Uwe fühlt wie sich Müdigkeit seiner bemächtigt. Die Anspannung des vergangenen Tages macht sich bemerkbar. Sandy hilft ihm beim Befestigen der Maschine.

      „Jetzt nimm dir erst mal einen Tag frei und geh fischen. Ich mach Wochenenddienst. Lisa verbringt ein paar Tage bei ihren Eltern. Meine Frau braucht mal wieder Tapetenwechsel!“

      Gerne nimmt Uwe das Angebot an. Die halbe Meile zu seinem Mobile Home geht er zu Fuß.

      „Hey Uwe, schön, dass du wieder da bist. Hat dich der Sturm nicht erwischt?“

      Sein Nachbar streckt neugierig die Nase zur Türe hinaus. Er hat gleich gemerkt, dass in Uwes Trailer letzte Nacht kein Licht brannte. Eigentlich wie auf einem Dorf in Deutschland. Hier wird alles genau beobachtet, denkt Uwe und öffnet schmunzelnd die unverschlossene Tür. Das von außen unscheinbare Gebäude entpuppt sich in seinem Innern als gemütlich eingerichtete Junggesellen-Wohnung. Doch entgegen der landläufigen Meinung über alleinstehende Männer herrscht hier Sauberkeit und Ordnung. Küche und Esszimmer gehen ineinander über. Im Wohnzimmer steht eine ziemlich deutsch wirkende Schrankwand, die auch als Bücherregal dient. Bei genauem Hinschauen ist ein kleines oval geformtes Bild einer hübschen Frau zu erkennen: die junge Inge. Uwe lässt sich in den nächstbesten Sessel fallen. Dabei wird ihm seine Einsamkeit mal wieder bewusst. Trotz der vielen Jahre nach der Trennung von Inge wollte ihm bisher keine engere Beziehung mehr gelingen.

      Eine heiße Dusche und das kalte Bier danach heben seine Stimmung etwas.

      „Ja, Sandy hat recht, jetzt fahr ich mal übers Wochenende zum Fischen“, denkt er und packt wetterfeste Kleidung und Angelausrüstung in seinen vor der Tür geparkten Ford Bronco.

      Der grau-schwarze Jeep sieht nicht nur chic aus, der Achtzylinder mit Allrad hat ihn bei seinen Ausflügen in die Wildnis bisher nie im Stich gelassen. Noch ist er unschlüssig, ob er seinen Zeltanhänger mitnehmen soll.

      „Ach was, die eine Nacht roll ich mich in den Kofferraum. Da ist genug Platz.“

      Nur fünfzig Meilen von hier kennt er eine gute Stelle am Fluss, wo er bisher erfolgreich beim Angeln war. Während der Fahrt durch die eintönige Landschaft überkommt ihn wohltuende Ruhe. Wie so oft wandern seine Gedanken zurück nach Deutschland. Würde er mit Inge in einem Reihenhaus leben, für dessen Abzahlung er jeden Monat aufkommen müsste? Oder wäre er wieder auf Inges finanzielle Unterstützung angewiesen wie damals? Keine angenehmen Erinnerungen.

      Plötzlich steigt er reaktionsschnell auf die Bremse: Ein Elch überquert die Schotterstraße. Bewundernd schaut er dem Tier mit seinen mächtigen Schaufeln nach. Wieder einmal wird ihm bewusst, in welchem Paradies er zu Hause ist, auch wenn sich der nächste Supermarkt nicht um die Ecke befindet und das Unterhaltungsprogramm in der Bar jedes Wochenende das Gleiche bietet.

      Angekommen an seinem Stammplatz packt er Tisch und Klappstühle aus. Zwei Angelruten und verschiedenerlei Blinker tauchen kurz darauf ins Wasser. Eine halbe Stunde später liegen eine kräftige Forelle und ein Hecht neben ihm an Land. Für ein ordentliches Lagerfeuer findet er genügend Äste. Da hört er das Herannahen eines Autos.

      „Hey Kumpel, da gönnt dir einer deine Beute nicht! Schau mal nach hinten ins Gebüsch.“

      Eine tiefe Männerstimme lässt Uwe aufschrecken.

      Den Stammplatz kennen wohl noch andere. Vorsichtig dreht er sich um und sieht einen braunen Bärenkopf aus dem grünen Chaos auftauchen. Für Uwe nichts Neues. Jetzt heißt es Ruhe bewahren. Auf seinen Ausflügen kommt es immer wieder zu solchen Begegnungen. Obwohl er sein Bärenspray parat hat, weiß er genau: gegen einen Grizzly kommt er mit dem scharfen Gas kaum an. Doch dieser hat bereits den Rückzug angetreten. Gleich zwei Autos in seinem Revier – das ist unerträglich für ihn.

      Inzwischen parkt der Ankömmling sein Auto neben dem Bronco. Als sich die Tür öffnet, sind zuerst einmal spitz zulaufende Cowboystiefel zu sehen. Der etwa fünfzigjährige Fahrer mit grauem Bart und Wuschellocken begrüßt Uwe mit einem kräftigen Handschlag. Der lädt den Fremden zum Essen ein, als er seinen Fang auf dem Lagerfeuer brät.

      „Ich bin Uwe, und wie heißt du?“

      „Jack“,

      „Ok Jack, komm mach es dir gemütlich. Zu zweit schmeckt es doch besser.“

      In Kanada ist man sehr gesellig, vor allem in dieser verlassenen Gegend. Die beiden kommen schnell ins Gespräch, als sich herausstellt, dass auch Jacks Eltern vor vielen Jahren von Deutschland einwanderten. Er selbst betreibt eine kleine Farm nicht weit vom Fluss entfernt. Als es dunkel ist, macht sich Uwes neuer Freund auf den Heimweg. Müde von der frischen Luft und nach ein paar Fläschchen kanadischen Biers, zieht sich Uwe in den Kofferraum seines Geländewagens zurück. Er kontrolliert die Fenster. Gar zu schnell würden gierige Moskitos eine Lücke entdecken. Die Schreie verschiedener Nachtvögel dringen zu ihm herein. Dann übermannt ihn Müdigkeit und er fällt in tiefen Schlaf. Dass der Bär am ausgehenden Lagerfeuer schnüffelt, ob noch etwas für ihn übrig geblieben ist und dabei die Stühle umwirft, bekommt er nicht mehr mit.

      „Gut, dass du schon früher zurück bist. Ich hab mal wieder einen Spezialauftrag für dich. In Yellowknife wartet ein gut betuchter Amerikaner, der zu dieser Lodge am Ostarm des Sees gebracht werden soll, die nur per Boot oder Flugzeug erreichbar ist. Gleichzeitig kannst du Lisa mitnehmen. Sie hat genug von dem Tratsch ihrer Mutter. Sie sehnt sich nach ihrem schweigsamen Ehemann, ha, ha.“

      Sandy empfängt ihn freudestrahlend bei der Rückkehr. Persönliche Wunschtransporte sind für Buschpiloten einträgliche Geschäfte.

      „Du nimmst am besten die Havilland Beaver und startest morgen möglichst früh.“ Uwe schlendert zum Hafen. Ein Flugauftrag mit seiner Lieblingsmaschine, das ist eine feine Sache. Außerdem findet sich mit einem Wasserflugzeug oftmals leichter ein Lande- bzw. Startplatz in der seenreichen Landschaft. Nach dem Auftanken kontrolliert er noch die Schwimmer. Alles in Ordnung. Morgen kann es losgehen.

      Am nächsten Tag nach dem Aufstehen entdeckt Uwe beim Blick aus dem Schlafzimmer, dass der Himmel wolkenverhangen ist. Doch der Wetterbericht gibt Entwarnung.

      „Du sammelst den ambitionierten Angler ein, lädst Lisa in deine Kiste und fliegst zum Ostarm des Großen Sklavensees. Dort will er es sich auf der exklusiven Lodge gutgehen lassen und seine Trophäen aus dem Wasser ziehen.“

      Sandy kann den Spott über diese Art von Sports-Leuten nicht für sich behalten. Doch das Geschäft geht vor.

      In der Maschine überprüft Uwe sicherheitshalber alle Schalter, auch die Spucktüten sind ersetzt, dann fährt er langsam zur Wasserrinne, die genügend lang ist für einen Start. Die Motoren dröhnen auf Hochtouren und es geht los. Bald schon lässt die Maschine den See unter sich und schraubt sich hinauf. Es wird ein ungemütlicher Flug. Tiefe Wolken verursachen Turbulenzen. Die Strecke nach Yellowknife kennt Uwe wie seine Westentasche. Und doch verläuft sie jedes Mal anders.

      „Dreh noch eine Schleife. Wir haben gerade Rushhour auf der Landebahn, ha-ha“, bekommt er vom Tower Anweisung. Schneller als er