Rex Schulz

Im Jahr des Wolfes


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      Neben dem Bewerberhaus gegenüber dem Wohngebäude standen eine Mühle für Getreide und Öl, der Hofladen und die Käserei. Gegen sie wirkte das Hühner- und Gänsehaus fast winzig, das sich daran anzuschmiegen schien. Rechter Hand zog sich bis zum Wohnhaus das Vorratsgebäude. Die Ernte war bereits eingebracht, so strotzte es von reifen Früchten, frischem Gemüse, gemahlenem Korn und gepresstem Öl. Auch waren die Rinder schon von den Wiesen geholt, kurzum der ganze Hof bereitete sich auf den kommenden Winter vor. Etwas abseits stand ein Energiehaus mit dem Fusionsmeiler. Seit es germanischen Wissenschaftlern gelungen war, das Verfahren zur Entstehung der kalten Fusion soweit fortzuentwickeln, dass man es praktisch überall einsetzten konnte, stellte die Energiegewinnung kein Problem mehr da. Wasser wurde im Reaktor in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten, und die dabei freigesetzte Energie für Wärme, Strom und den Antrieb von jeder Art von Maschinen genutzt.

      Zu dieser frühen Stunde lag der Hof noch wie verlassen da, doch schon bald würden die Bewohner ihn mit buntem Treiben und Geschäftigkeit füllen.

      Sarulf verließ sein Zimmer und begab sich hinunter in die Küche. Es duftete nach frischen Brötchen, Rührei mit Speck und Kaffee. Als er den Raum betrat, sah die Magd, die eben das Geschirr spülte, zu ihm auf und grüßte freundlich.

      „Guten Morgen, junger Herr!“

      „Guten Morgen, Alida! Du sollst mich doch nicht Herr nennen. Gieß mir einen Kaffee ein und setz dich bitte zu mir!“

      „Sehr wohl, junger Herr!“

      „Alida!“

      „Ja, Herr … äh Sarulf!“

      „Na, geht doch! Wie geht es dir heute Morgen?“

      Alida goss Sarulf dampfenden Kaffee ein und stellte die Kanne zurück auf den Herd. Der junge Mann betrachtete sie mit unverhohlener Neugier. Alida war ein hübsches Mädchen, geradezu eine Augenweide! Ihr langes rotes Haar hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, der über ihrer Schulter lag.

      Sie kam zurück an den Tisch, raffte ihre Schürze und setzte sich auf den am weitesten von Sarulf entfernten Stuhl.

      „Danke, Herr … Sarulf! Mir geht es gut! Wie geht es Ihn… dir?“

      „Gut, Alida! Muss gleich in die Kaserne. Die Wölfe rufen, mein freies Wochenende ist leider heute Abend vorbei!“

      Sarulf biss beherzt in sein Brötchen, er schaufelte das Rührei in sich hinein und schlürfte genussvoll den Kaffee dazu. Alida fühlte sich nicht recht wohl, doch saß sie brav daneben und sah ihm mit großen Augen zu. Als Sarulf sein Frühstück beendet hatte, wischte er sich den Mund mit einer Serviette ab und stand auf.

      „Danke für das Frühstück, Alida! Ich muss zum Vater, dann mach ich mich auf den Weg. Wirst du noch da sein, wenn ich das nächste Mal wieder komme?!“

      „Ja, natürlich bin ich dann noch da! Warum sollte ich den Hof wechseln?“

      „Schön, dann bis nächstes Mal, Alida!“

      Sarulf verließ die Küche und stieg die Treppe zum Büro seines Vaters empor. Er klopfte an die Tür und betrat den Raum. Wie der Thronsaal eines Königs sah es hier nicht aus, eher wie das Refugium eines Geschäftsmannes. Was sein Vater ja auch in erster Linie war, das Amt des gewählten Königs der Sueben übte er darüber hinaus aus. Seine Reputation, sein Sinn für Gerechtigkeit und seine Weitsicht hatten ihm dieses Amt eingebracht, und die Sueben waren überaus zufrieden mit seinen Entscheidungen.

      „Guten Morgen, Vater! Ich muss mich von dir verabschieden, ich breche nach Wolfsheim auf!“

      „Guten Morgen, Sarulf! Schön, dass du noch mal vorbeigekommen bist. Deine Ausbildung läuft gut, oder?“

      „Ja, Vater! Es läuft alles prima, zum Fest der Ostara bekomme ich sicher meinen Wolf auf die Schultern und die Runen auf den Ärmel!“

      „Sehr gut, streng dich trotzdem an, noch besser zu werden! Ich wünsche dir eine gute Fahrt. Ich freue mich schon auf das nächste Wiedersehen. Dann können wir hoffentlich etwas mehr Zeit miteinander verbringen. Zurzeit gibt es viel Arbeit für mich, aber zum Julfest ist das meiste getan, dann habe ich sicher endlich mal wieder etwas freie Zeit. Mach’s gut, mein Junge!“

      „Auf Wiedersehen, Vater!“

      Sarulf umarmte seinen Vater, und Swidger Rabenfeder drückte ihn fest an seine Brust.

      „Halt die Ohren steif, mein Sohn!“

      „Mach ich, Vater!“, sagte Sarulf und verließ das Büro. Er stieg die Treppe hinab und ging über den Hof in die Käserei. Sieglunde Rabenfeder schritt ein Regal mit reifendem Käse ab, sie nahm hie und da einige Stichproben.

      „Hallo, Mutter!“

      „Hallo, mein Sohn!“

      „Es wird Zeit für mich, Mutter, ich möchte mich von dir verabschieden!“

      „Oh, ist das Wochenende schon wieder vorbei? Wie die Zeit doch verfliegt!“

      „Ja, leider! Aber zu Jul habe ich Urlaub und komme nach Hause!“

      „Das ist schön, mein Sohn! Pass auf dich auf und komm gesund wieder. Möge Odin dich beschützen!“

      „Dich auch, Mutter! Jetzt muss ich aber los, ich will nicht zu spät kommen. Bis Jul, Mutter!“

      „Bis Jul, mein Junge!“

      Sarulf warf seiner Mutter eine Kusshand zu und ging zurück in sein Zimmer. Er schnappte sich den gepackten Rucksack, schulterte ihn und ging hinter das Wohnhaus, wo sein Antigrav-Scooter geparkt war. Die Technik dieser Fahrzeuge faszinierte ihn immer wieder. Wenn man bedachte, dass das Fahrzeug nur durch seinen Generator, der ein Feld erzeugte, welches Schwingungen aussendete, vom Boden abhob, konnte man schon ins Stauen kommen. Er musste nur noch den Fahrhebel betätigen, der den Generator startete. Die Schwingungen trafen schräg auf die Oberfläche auf und schoben das Fahrzeug vorwärts. Erhöhte er die Intensität der Schwingungen, beschleunigte das Fahrzeug. Sarulf strich über die glatte Oberfläche des Scooters und lächelte. Dann legte er seine Hand vor den Scanner, worauf dieser mit einem Piep meldete, dass er bereit war. Sarulf schwang sich auf die Sitzbank, rückte den Rucksack zurecht und startete. Mit einem leisen Surren hob der Scooter ab, Sarulf schob den Fahrthebel langsam nach vorn und schwebte vorwärts. Automatisch baute sich das Kraftfeld vor Sarulf auf, er schob den Hebel weiter vor. Mit zunehmender Geschwindigkeit fuhr Sarulf Rabenfeder in den diesigen November hinaus und in den nächsten Abschnitt seiner Ausbildung hinein.

      * * *

      Eine einsame Kerze versuchte die tiefe Dunkelheit des Raumes zu durchdringen und verbreitete ein diffuses Schimmern. Auf einem schlichten Lager, den ausgemergelten Körper umhüllt von verschlissenen Laken, ruhte eine bleiche Gestalt. Regungslos lag sie da, ein schwaches Röcheln verriet, dass sie noch lebte. Seit Wochen bekam der Mann nur das Nötigste an Nahrung und Flüssigkeit von seinen Glaubensbrüdern. Doch störte ihn dieses Martyrium nicht, im Gegenteil, es erfüllte ihn mit Stolz. Er war etwas Besonderes! Er war es, der den vernichtenden Schlag gegen die Ketzer und Frevler einläuten würde. Er würde dafür sorgen, dass seine Brüder und Schwestern über dieses verruchte Land kommen und seine führenden Köpfe abschlagen konnten.

      Für seinen Gott würde er alles tun, wirklich alles. Er war ein heiliger Krieger, und bald würde er in den Krieg ziehen und die Welt von diesen Teufeln befreien.

      Doch noch musste er etwas warten. Bis sein heiliger Leib gereinigt und wieder aufgebaut war. Erst dann war die Zeit gekommen, mit Feuer und Schwert über diese Brut der Hölle niederzugehen und sie mit Stumpf und Stiel auszurotten. Die Ketzer würden in Scharen ihren verderbten Göttern den Rücken kehren und ihr Heil bei dem einzig wahren Gott suchen. Doch der würde ihnen in seiner unermesslichen Gnade den Tod bescheren und sie von ihrem sündhaften Leben befreien. Ja, Gott war groß, und er war weise!

      Er hörte er ein leises Schlurfen vor seiner Unterkunft. Einer seiner Brüder kam, um ihm Nahrung und Wasser zu bringen. Die Zeit der Reinigung war noch nicht vorbei, er musste sich in Geduld fassen. Leise murmelte