Ursula Klein

Geburtsort: Königsberg


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Ein Stückchen Holz stellte eine Puppe dar, ein Karton war das Bettchen oder ganz und gar das Haus für das Singspiel:

      Als wir kleine Kinder waren,

      spielten wir Soldatje,

      oder Braut und Bräutigamm,

      oder Muttchje, Vatje.

      Ein anderes Mal wurde aus einfachen Mitteln ein Ball selbst angefertigt, z. B. ein Stück Stoff mit Heu und Stroh und einem Stein gefüllt und kunstgerecht zusammengenäht. Das Nähen mussten immer die größten Mädchen übernehmen, die sowieso nicht so oft mitspielten, weil sie im Haushalt helfen mussten. Mit so einem Ball konnten herrliche Spiele gemacht werden. Besondere Freude bereitete immer das Balltreiben. Leider waren die Jungens bei diesem Spiel immer am besten, weil sie am weitesten werfen konnten, aber das machte nichts. Beim Völkerball dagegen waren die Mädchen wieder gefragt, weil sie flink ausweichen konnten. Doch manchmal flog der Ball im hohen Bogen über das Ziel hinaus und landete in einer Fensterscheibe. Brummend setzte der Vater die Scheiben dann wieder ein, um die Mieter nicht zu verärgern. Doch die Folge für Hanna war in solchen Situationen, dass sie der Mutter mehr helfen musste oder auf ihre Geschwister aufpassen. Und Mutter konnte immer Arbeit verteilen, sie hatte genug. So musste die Wäsche in der Waschküche, die auf dem Hof war, gewaschen werden. Dafür musste aus dem Brunnen, der zwischen Vorder- und Hinterhaus stand, das Wasser geholt und in Eimern über den Hof getragen werden. Damit das Wasser erwärmt werden konnte, wurde das Brennmaterial aus dem Holzstall geholt. Die Asche wurde im Garten verstreut und damit als Düngung verwendet. Das Helfen beim Essenkochen, Abwaschen, Fegen, Wischen, Aufräumen usw. war immer an der Tagesordnung. So ein Waschtag war aber jeden Donnerstag und hatte es in sich. Er war aber auch immer notwendig, denn jedes Kind hatte für den Alltag nur einmal Wechselkleidung und für den Sonntag die Sonntagssachen. Selbstverständlich wurde die Kleidung von allen nachwachsenden Geschwistern aufgetragen, so dass eigentlich immer nur die Größeren neue Sachen bekamen.

      Doch die Arbeit war ja mit dem Waschen und Trocknen nicht beendet. Kleidung und Wäsche wurde ausgebessert, verkürzt oder verlängert, je nach dem, wer die Garderobe bekam.

      Für das Bügeln musste auch der Herd in der Küche geheizt werden, damit das Bügeleisen erwärmt werden konnte. Mutter hatte zwar ein ganz modernes Bügeleisen vom Vater bekommen, das mit glühenden Kohlen gefüllt wurde, aber es hatte auch seine Tücken. Es war zwar länger heiß, aber wenn es zu heiß war, konnte die Wäsche beim Glätten auch verbrennen.

      Da war es für Hanna schon einfacher, auf Fritz und Lotte aufzupassen als im Haushalt zu helfen. Da wurde sie ja nie fertig!

      Und darum schmeckte ihr die Arbeit im Haushalt nicht. Die Mutter klagte dann nur: „Ach, Hanna, an dir ist ein Junge verloren gegangen.“

      Und das war begründet, denn für Hanna gab es keinen Unsinn, den sie nicht mit ihren Cousins ausprobiert hätte. Stallungen und Wirtschaftshof boten viele Möglichkeiten. So nahmen sie wie eine verschworene Gemeinschaft die Forke und trieben das Schwein mit „Hallo“ aus dem Stall, um es dann quiekend wieder einzufangen. Die Häsin wurde heimlich gedeckt und der Vater wunderte sich, warum sie schon wieder tragend war. Im Gemüsegarten wurden die Karotten heimlich gegessen und das Kraut wieder kunstgerecht in die Erde gesteckt, damit der Verlust nicht auffiel. Birnen und Äpfel wurden vom Baum geschüttelt, damit sie „molsch“ waren und gegessen werden durften. Die Hühnereier wurden abgenommen und ausgetrunken, obwohl sie die Mutter dringend für die Versorgung brauchte. Der Ideenreichtum auf diesem Gebiet war unerschöpflich.

      Wurden Wettkämpfe ausgetragen, strengte sich aber jeder wie zu Wettbewerbsbedingungen an und hatte am Abend einen hochroten Kopf, wenn es hieß: „Reinkommen! Abendbrot essen!“ Das war meist eine Milchsuppe, die schnell sättigte und außerdem billig war. Denn zwei Liter Milch wurden mit so viel Wasser verdünnt, bis die Menge für 7 Personen reichte. Ein Löffel Zucker und Mehlklunkern machten die Sache dick und schmackhaft.

      Oft machte die Mutter erst eine Inventur bei Hanna: „Was hast du denn da für eine Brusche (Bäule)? Deine Schlorren (Holzschuhe mit Lederoberteil) sind ja so moddrig (verschmutzt) – du musstest wohl wieder unbedingt durch ein Patschloch (Pfütze) durch?“ In der Aufregung war Mutter ins Plattdeutsche geraten, obwohl sie nachdrücklich auch bei den Kindern auf die hochdeutsche Sprache bestand.

      Schuldbewusst senkte Hanna dann den Kopf und war traurig über sich selbst. Doch Mutter konnte mit den Kindern nicht lange schimpfen. Wenn die Kinder dann vor dem Bett knieend das Abendgebet sagten, war aller Kummer vergessen und sie schliefen mit dem Versprechen ein, Böses nie wieder tun zu wollen. Und Hanna versprach das auch ehrlichen Herzens.

      *

      Aber manchmal war es auch in der Schule schön, wenn nämlich der Herr Lehrer in die Klasse trat und nach der Begrüßung sagte: „Heute will ich euch eine Geschichte erzählen, wie nämlich Königsberg entstanden ist. Wer weiß denn von euch, woher unsere Stadt seinen Namen hat?“ Eifrig meldeten sie fast alle Kinder. „Weil der König im Schloss wohnt!“ „Warum heißt es aber Königsberg/​Preußen?“ „Weil Königsberg in Preußen liegt.“ „Gibt es dann noch ein anderes Königsberg?“, war die bohrende Frage des Lehrers. Hier wurden alle stutzig. Und darum fing der Lehrer zu erzählen an.

      „Ja, es gibt noch einen anderen Ort in Deutschland, der auch so heißt. Aber er hat nicht so eine große Bedeutung wie unsere Stadt. Unsere Stadt ist vor vielen, vielen Jahren gegründet worden und das kam so:

      Es war im Jahre 1231, als Ritter des Deutschen Ordens – das sind Ritter der Kirche – unter Führung des Ordensmeisters Hermann v. Salza von der Richtung Lübeck kommend in Richtung Osten marschierten.“ Dabei zeigte er auf die Landkarte und die Richtung, die die Ordensritter genommen hatten. „Sie wollten dem Herzog Konrad von Masovien helfen, sich gegen die Pruzzen zu verteidigen.“ Gespannt hörten die Kinder zu. Der Lehrer fragte: „Wisst ihr, wie Ritter aussehen?“ Vor lauter Aufregung erzählten sie alle durcheinander, bis der Lehrer sagte: „Hans, erzähle du bitte, wie ein Ritter aussieht!“ Hans – der Auserwählte – stellte sich sofort brav neben die Bank und mit bedeutungsvoller Stimme und leuchtenden Augen sagte er: „Ritter sind Kämpfer. Sie haben eine Rüstung. Das ist ein Anzug aus Metall, der schön glänzt und auch Verzierungen hat. Die Ritter sitzen hoch zu Ross – wie Kaiser Wilhelm I auf dem Denkmal – und haben Spieße, Stangen, Lanzen und Schilde, mit denen sie gegen die anderen kämpfen. Ritter wohnen auf einer Burg und sind immer tapfer.“ Beifallheischend setzte er sich wieder in seine Bank. Aber der Lehrer sagte einfach: „Ja, das stimmt, was du sagst.“

      Der Lehrer setzte nun seinen Vortrag fort und die Kinder wurden wieder ruhiger. „Unterstützt durch die Kreuzfahrer aller Nationen der Christenheit drangen die Ritter unter dauernden Kämpfen bis zum Frischen Haff vor – immer an der Weichsel entlang. Es gab dabei viele Tote und Verwundete, denn die Pruzzen – das wird übersetzt mit Undeutschen, also den Alteingesessenen – wollten ihr Land nicht den Kreuzrittern überlassen. Die Kämpfe waren sehr hart und dauerten lange. Dabei wurden viele Menschen verwundet und getötet. Der Deutsche Orden als Armee der Kirche war aber gut im Umgang mit den Waffen ausgebildet und hatte auch viele Waffen. Und so konnte er nach langen Kämpfen siegen. Nur das stark befestigte Samland wurde erst erobert, als der polnische König Ottokar II. von Böhmen mitkämpfte. Ihr wisst ja, dass das Samland zwischen dem Haff und der Ostsee liegt und dort die Bernsteinvorkommen sind. Als der Deutsche Orden gesiegt hatte, baute er sich eine Ordensburg auf den Trümmern der Feste der Pruzzen. Die Feste war das schlossähnliche Gebäude der Pruzzen gewesen, die durch den Krieg kaputtgegangen war. Da mit Hilfe König Ottokar II. der Krieg gewonnen werden konnte, bestimmte er auch in diesem Gebiet und benannte die Burg Königsberg. Kurz darauf erhielt die Siedlung die Stadtrechte von ihm. Heute sind an dieser Stelle die Reichsbank und das Denkmal Friedrichs I.

      Damit hatte der Deutsche Orden mit Hilfe des polnischen Königs ein Zentrum im Osten und konnte die unterworfenen Stämme kontrollieren und befehligen.

      Die Bauern und Händler waren gegenüber dem Orden auch zinspflichtig, das heißt, sie mussten an ihn landwirtschaftliche Produkte oder Geld liefern. Je mehr Bauern sich also ansiedelten, um so mehr Einnahmen hatte der Orden für seine Ritter und Bediensteten. Außerdem hatte er auch das alleinige Recht zum Bernsteinhandel.