Grenz- und Volkskunde und Bevölkerungspolitik“180.
Jedes der vier in der Hitlerjugend verbrachten Jahre stand unter einer bestimmten, aufeinander aufbauenden Thematik. Im ersten Jahr begannen die Jungen wie auch die Mädchen mit dem Thema „Der Kampf um das Reich“. Während die Jungen im zweiten Schulungsjahr das Thema „Das Volk und sein Blutserbe“ abhandelten, wurde dies im BDM erst im dritten Jahr behandelt. Die Mädchen wurden im zweiten Schulungsjahr zum Thema „Die nationalsozialistische Bewegung im Kampf um Volk und Reich“ unterwiesen. Im dritten und vierten Jahr wurden aktuellen politischen Ereignisse, sowie das Verhältnis des 'Dritten Reiches' zu anderen Ländern besprochen.181
Den Mädchen sollte durch diese Schulungsarbeit nicht nur die NS-Weltanschauung nahe gebracht werden, sie sollten auch befähigt werden, diese ihren zukünftigen Kindern zu vermitteln.182
Die Betonung der nationalen, heldenhaften Werte und Taten der eigenen Nation nahm während der weltanschaulichen Schulung mitunter fast religiöse Züge an, wobei allerdings der Glaube an den Nationalsozialismus die Religion ersetzte.
Innerhalb der vier Jahreszyklen waren die einzelnen Heimabende wiederum wie in nachfolgender Tabelle183 untergliedert:
Januar | Deutsche Einheit, Überwindung der Gegensätze von Stämmen, Klassen, Bekenntnissen |
Februar | Brauchtum und Geselligkeit im Jahreslauf, u. a. Fastnacht |
März | Du hast die Pflicht gesund zu sein, gesunde Lebensführung, Erbgesundheit u. a.m. |
April | Osterbrauchtum, Leben und Werk Adolf Hitlers, Geschichte der NSDAP |
Mai | Tag der Arbeit, Erziehung zu sozialem Verständnis und zu Mitverantwortung |
Juni | Familie und Dorfgemeinschaft |
Juli | Naturbetrachtungen, Anleitungen zur Naturbeobachtungen; Kennenlernen von Pflanzen, Heilkräutern etc. |
August | Heimat und Staatskunde |
September | Die Arbeitswelt, Berufsberatung, Reichsberufswettkampf, Jugendschutz |
Oktober | Erntedank und Erntebrauch, Anleitungen zu Erntedankfeiern etc. |
November | Das Winterhilfswerk. Was können wir dazu beitragen?, Totengedenken |
Dezember | Weihnachten und Jahreswende |
Abb. 12: Heimabend
Formal war der jeweilige Heimabend nach einem speziellen Plan, der sich nur selten änderte, strukturiert. Nach einem kurzen politisch-gesellschaftlichen Wochenbericht, der die Jugendlichen mit den aktuellen politischen Geschehnissen bekannt machte, folgte die Vermittlung und Besprechung des anstehenden Themas aus der Schulungsmappe durch den jeweiligen Führer. Es kam auch vor, dass die Mitglieder von HJ und BDM ihrerseits Themen aufarbeiteten und sie ihren Gefährten vorstellten. Zu bestimmten Gelegenheiten wurde die dreißigminütige Radiosendung 'Die Stunde der jungen Nation', die neben Musik auch aktuelle politische Themen sowie ideologische Standpunkte thematisierte, in den Heimabend integriert.184
Obwohl die weltanschauliche Schulung etwa „ein Drittel der gesamten Schulungsarbeit“185 umfassen sollte, fiel die Umsetzung der geforderten Standards in vielen Regionen, beispielsweise in ländlichen Gebieten, schwer. Gerade in strukturschwachen Gebieten mangelte es an ausgebildeten Führern, wie auch an technischen Geräten oder Materialien.
5.5 Kulturarbeit
Der kulturelle Zweig war, wie auch die anderen Bereiche des Lebens, vollständig von der nationalsozialistischen Ideologie beeinflusst und durchdrungen. So wurde nur sehr einseitig und wenig differenziert über die unterschiedlichen Bereiche der Kultur gelehrt und gelernt; mit der Folge, dass sich die jungen Menschen keinesfalls kritisch und umfassend mit ihr beschäftigen konnten, da ihr Wahrnehmungsspektrum stark eingeschränkt war. Es wurde ihnen damit nicht nur verwehrt, eigene Standpunkte, Geschmäcker und Vorlieben zu entwickeln, sondern auch die Wahrnehmung vorenthalten, die große Bandbreite der kulturellen Güter und die mit ihr einhergehende unendliche Phantasie und Kreativität des menschlichen Geistes wahrzunehmen. Dieser wählerische Umgang mit dem kulturellen Bereich ging auf die Aussage Hitlers zurück, nur arische Menschen seien in der Lage, kulturelle Güter zu erschaffen, da sie „die ursprünglichen Träger der menschlichen Kultur waren und damit die wirklichen Begründer dessen, was wir mit dem Wort Menschheit alles umfassen.“186
Die praktische Kulturarbeit war ebenfalls Bestandteil der Heimabende von HJ und BDM. Besonders im Bund Deutscher Mädchen spielte sie aufgrund der Rolle der Mädchen, als zukünftige 'Kulturträgerinnen', eine wichtige Rolle. Nach nationalsozialistischer Auffassung hatten die Mädchen naturgemäß „eine engere Beziehung zu Volkstum, Heimat und Musik [aufzuweisen] als die Jungen“187. Kaufmann sah die Aufgabe der Kulturarbeit darin, „von der Seele her zum Erlebnis der nationalsozialistischen Weltanschauung zu führen.“188
Als wichtiges kulturelles Gut galten die deutsche Sagen- und Märchenwelt, die nationale Dichtung und Musik sowie die Philosophie und bildende Kunst189.
Für die Vermittlung wurde dem Medium Theater besondere Bedeutung beigemessen, bot doch gerade die theatralische Inszenierung die Möglichkeit einer unmittelbaren emotionalen Beeinflussung der jugendlichen Zuhörer. „Das Theater des nationalsozialistischen Reiches ist für die Jugend eine Stätte innerer Erhebung und Begeisterung.“190 Die Inhalte der Theaterstücke sollten zu großen Teilen „kriegerisches Heldentum und heroischen Opfergang“191 idealisieren. Neben Festspielen und Reichstheatertagen standen auch örtliche Veranstaltungsringe für Jugendliche auf der Tagesordnung.192 Die frühe Heranführung der Jugend an das Medium Theater ist durchaus positiv zu werten, allerdings lag die Zielsetzung nicht im persönlichen Erlebnis, vielmehr diente auch der Theaterbesuch der alleinigen Vertiefung nationalsozialistischer Kulturwerte. Häufig wurde auch auf die nordisch-germanische Mythenwelt zurückgegriffen, da sie in anschaulicher Weise die von den Nationalsozialisten favorisierten Tugenden der Treue, Ehre, Tapferkeit, Kraft, Mut und Stärke heroisierten, wie folgendes Zitat aus der Sage des Nibelungenliedes, einem deutschen Epos aus Mittelalterzeiten, zeigt:
„'Verhüt' es Gott vom Himmel!', so sprach da Gerenot,
'Wenn unser tausend wären, wir lägen alle tot,
Die Sippschaft deiner Mage, eh’ wir dir einen Mann
Zur Geisel übergäben! Nein, das wird nimmermehr getan'„193
„'Wir müssen doch ersterben', so sprach da Giselher,
'Drum soll uns niemand scheiden von ritterlicher Wehr!
Wer gerne mit uns stritte, wir sind noch immer hie!
Was Treue anbelangt, verließ ich meine Freunde nie!'„194
Der Begriff der Nibelungentreue, ein durch Reichskanzler Bernhard von Bülow (1849 - 1929) in einer Rede vom 29. 03. 1909 bereits geprägter Ausdruck, spielte im gesamten politischen Geschehen des 'Dritten Reiches' eine wichtige Rolle.195 So galt beispielsweise der Wahlspruch der Schutzstaffel (SS) 'Meine Ehre heißt Treue'.
Zudem erwartete Hitler von jedem Bürger, von den politisch Verantwortlichen über die Soldaten bis hin zu den gewöhnlichen Bürgern, die Treue und den Glauben zum politischen System des 'Dritten Reiches' zur Erzeugung einer großen Einheit gleich denkender und handelnder Personen.