Johannes Sachslehner

1918


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gegen einzelne Personen vorzugehen. An eine Entwaffnung der Bosniaken ist nicht zu denken, es bleibt dem Obersten nichts anderes übrig, als das Heeresgruppenkommando in Belluno um Hilfe zu bitten – so genannte „Assistenztruppen“ werden angefordert, womöglich auch Artillerie …

      An der Piavefront. Ernste disziplinäre Probleme auch bei der 20. Brigade im Kampfverband der 10. Infanteriedivision. Das tschechische Infanterieregiment Nr. 21 weigert sich geschlossen zum geplanten Gegenstoß anzutreten, die dem Regiment zugeteilten „deutschen“ Offiziere werden von der Mannschaft in einem Kirchhof eingeschlossen. Falls man sie nach Hause marschieren lasse, so erklären die Soldaten, würden sie weiter nichts unternehmen. Vergeblich versuchen die Kommandanten die Meuterer von ihrem Vorhaben abzubringen; schließlich lässt man das Regiment abmarschieren, um im Rücken der schwer kämpfenden Truppen Ordnung zu halten, wie Hauptmann Oskar Regele später erklärt. Die 10. Infanteriedivision, auf dem Papier der Generalstäbler eine kampfkräftige „Eingreifdivision“, bietet ein trauriges Bild: große Abgänge an Malaria, schlecht verpflegte Soldaten, jedes Regiment besteht eigentlich nur mehr aus einem Bataillon, von der Artillerie ist kaum mehr als die Hälfte bespannt und bemannt, die Geschütze hat man in so genannten „Rücklaufgruppen“ hinter der Front gesammelt – ein Angriff auf die vorrückenden Alliierten ist in dieser Verfassung Utopie, was bleibt ist der Rückzug zum Monticano und weiter zum Tagliamento.

      Inzwischen gehen Teile der italienischen 56. Division unter dem Kommando von General Vigliani und der italienischen 33. Division, befehligt von General Sanna, beide Einheiten zum XXIII. italienischen Korps zählend, im Bereich des XIV. Korps über den Piave und besetzen den Frontabschnitt von C. la Sega bis C. Tonon.

      Bahnhof der nordwestkroatischen Grenzstadt Koprivnica an der Strecke Budapest – Zagreb. Der Personenzug aus Budapest fährt pünktlich ein. Auf dem ansonsten einsamen und nur schwach beleuchteten Bahnsteig wartet schweigend eine Schar seltsam gekleideter bärtiger Männer, die sich in kleine Gruppen geteilt hat und nun rasch in die Waggons steigt: eine mit Bajonetten bewaffnete Bande von Deserteuren, die während der Weiterfahrt des Zugs Richtung Süden in aller Ruhe mit dem Ausrauben der Fahrgäste beginnt. Das ungarische Zugpersonal ist machtlos; wer Widerstand leistet, wird von den ehemaligen Soldaten der kaiserlichen Armee brutal zusammengeschlagen; die Deserteure raffen zusammen, was sie nur kriegen können: Bargeld, Uhren, Schmuck und selbst die Kleider ihrer Opfer werden in die mitgebrachten Säcke gestopft. Alles ist exakt geplant: Erst unmittelbar vor Zagreb wird die Bande mit ihrer Beute den Zug verlassen, Verfolgung durch Militär oder Polizei hat sie nicht zu befürchten, aus Angst vor den Deserteuren ist das Bahnpersonal in den meisten Stationen bereits geflüchtet; ungehindert konnten so am Vortag auf der Strecke Zagreb – Brod an der Save 150 Waggons geplündert werden. Da die Bahnen ungarisches Staatseigentum sind, sind sie ein bevorzugtes Ziel der meist antimagyarisch eingestellten Deserteure.

      Zur gleichen Zeit im Bahnknotenpunkt Našice in der slawonischen Gespanschaft Osijek-Baranja: An die 700 meuternde Soldaten vom dalmatinischen Schützenregiment Nr. 23 halten seit dem Nachmittag des 27. Oktober die Stadt besetzt, seit 18 Uhr toben in den Straßen blutige Auseinandersetzungen. Bürgermeister und Stationskommandant haben alles versucht, um es nicht zu dieser Orgie der Gewalt kommen zu lassen: Man hat die Soldaten mit einem ausgiebigen Essen bewirtet, hat ihnen ein sicheres Quartier versprochen und sogar einen eigenen Zug, der sie nach Prijedor in Bosnien bringen sollte – vergeblich, denn mit den Meuterern sind auch Komitadschis des so genannten „Grünen Kaders“, irreguläre Freischärler, in die Stadt gekommen, die nun an vorderster Front an den Ausschreitungen beteiligt sind: Vor allem jüdische Geschäfte, Gast- und Kaffeehäuser werden geplündert und in Brand gesteckt, die Wahrzeichen der alten Herrschaft, Bezirkshauptmannschaft, Gemeindeamt und Gutskanzlei, werden verwüstet, ein Magazin in der Stadtmitte wird ausgeraubt und niedergebrannt; aus dem Pferdespital von Našice führt man 195 Pferde fort.

      Als die Feuerwehr anrückt, drohen die Komitadschis mit dem Einsatz von Schusswaffen. Russische Kriegsgefangene, die in Našice stationiert sind, und auch die Bevölkerung aus der Umgebung schließen sich den Plünderungen an, die sich schließlich auch gegen Privathäuser richten und bis in das Morgengrauen hinein andauern. Mit Pferdefuhrwerken wird die Beute weggebracht; schließlich zündet man auch noch das Bahnhofsgebäude an und macht damit jeden weiteren Bahnverkehr unmöglich. Und auch vor Mord und Totschlag schrecken die Plünderer nicht zurück: 20 Menschen überleben diese Nacht des Schreckens nicht …

       Über den Piave: Die Pontonbrücken der Alliierten von Salletuol zur Grave di Papadopoli (oben) und von der Insel zum „österreichischen“ Ufer.

      Piavefront bei Pederobba. Französische Pioniere haben im Kampfabschnitt der 12. alliierten Armee, die von General Jean Graziani befehligt wird, die Nacht durchgearbeitet und eine der zerstörten Brücken wiederhergestellt. Das 138. Regiment kann nun über den Fluss gehen und die fünf Bataillone verstärken, die am Tag zuvor gegenüber Pederobba einen Brückenkopf freigekämpft haben. Den Franzosen folgen italienische Alpini-Einheiten über den Fluss.

      Fortschritte gibt es in der Nacht auch für die 10. Armee der Alliierten bei der Grave di Papadopoli: Über die intakte Brücke bei Salettuol haben trotz heftigem österreichischem Artilleriefeuer die Como-Brigade der 56. Division und ein Regiment der Bisagno-Brigade der 33. Division das linke Ufer des Piaveerreicht. Wie geplant setzt Punkt fünf Uhr vor der gesamten Front der 10. Armee das Sperrfeuer der italienischen und britischen Artillerie ein: Angriffsvorbereitung für die Como-Brigade. Als Zeitpunkt des Angriffs ist 9 Uhr festgelegt; Ziel ist es, die Frontlinie am linken Flügel der Armee etwa 3.000 Yards (ca. 2.800 m) weiter vorzuschieben. Jeweils nach 6 Minuten, so die exakte Disposition für die Männer an den Geschützen, müsse das Feuer 100 Meter weiter feindwärts liegen.

      Inzwischen beginnt auch am rechten Flügel der Isonzoarmee wieder der Kampf. Ein Sturmbataillon der 64. Honvédinfanteriedivision erobert das Dorf Roncadelle zurück, wird dann jedoch von italienischen Truppen umfasst und kann sich nur mit knapper Not durch die feindlichen Linien zurück in die eigenen Stellungen durchschlagen.

      Noch herrscht Zuversicht bei den österreichisch-ungarischen Truppenführern, noch glaubt man die Engländer und Italiener wieder über den Piave zurückdrängen zu können. Der Kommandant der 6. Armee, General der Kavallerie Alois Fürst Schönburg-Hartenstein, während der Juni-Offensive durch einen Granatsplitter am Magen verwundet und nun bereits wieder im Einsatz, lässt neue k. u. k. Truppen heranführen: Die zweiten Stellungen am Monticano werden durch die 10. Infanteriedivision, die 26. Schützendivision und die 24. Infanteriedivision verstärkt; bei Oderzo bereitet sich die 8. Kavalleriedivision zum Gegenangriff über Ormelle vor. Reserven der 70. Honvédinfanteriedivision verstärken bei Roncadelle die 64. Honvédinfanteriedivision und versuchen neuerlich dieses Dorf und die Negrisialinie anzugreifen. Im Raum östlich von Conegliano sammeln sich, aus Sacile und Pordenone kommend, die 36. Infanteriedivision, die 43. Schützendivision und die halbe 44. Schützendivision – aus den drei Einheiten soll eine neue, schlagkräftige Stoßgruppe gebildet werden, befehligt von Feldmarschallleutnant Maximilian von Nöhring. Der Plan sieht vor, dass diese Stoßgruppe im Verein mit der 10. Infanteriedivision und den drei Eingreifdivisionen der Isonzoarmee in einem konzentrierten, massiven Gegenangriff den Brückenkopf der Alliierten westlich von Oderzo „eindrückt“ und den Feind über den Piave zurückwirft. Keine schlechte Planung des Generalstabs, allerdings soll sich bald zeigen, dass man zwei Faktoren nicht ausreichend berücksichtigt hat, nämlich erstens den Faktor Zeit: Man hat auf den Vorstoß der Briten über die Insel Papadopoli hinweg etwas zu langsam reagiert, ihnen zu wenig entschiedenen Widerstand entgegengesetzt. Die britischen und in ihrem Gefolge italienischen Verbände können daher den Brückenkopf rascher ausweiten als erwartet, zugleich sammeln sich die k. u. k. Reserven in eher behäbigem Tempo – die Chancen eines erfolgreichen Gegenangriffes