werden. Generalmajor Hegedüs von der 21. Honvédkavalleriebrigade und Oberst Alois Czulik von Thurya, der mit den Reserven der 25. Infanteriedivision und hier vor allem mit dem 84. Infanterieregiment und zwei Bataillonen des 44. Infanterieregiments den Gegenangriff Richtung Sernaglia führen soll, können zwar am frühen Abend des 27. Oktober Geländegewinne erzielen, kommen in der Dunkelheit aber nicht mehr entscheidend weiter, ja, das Infanterieregiment 128 verirrt sich sogar und taucht plötzlich im Rücken der eigenen Truppen auf, die vor Sernaglia kämpfen. Nach Mitternacht befiehlt Hegedüs deshalb den Rückzug nach Pieve del Trevisan. Die abgekämpfte 12. Reitende Schützendivision geht in fester Ordnung hinter den Soligobach zurück, ihre Nachhuten halten die Linie Kote 151 südlich Soligo bis Kote 136 südlich Pieve di Soligo.
Die drei Bataillone der 84er haben sich, nachdem ihr Angriff zum Stehen gekommen ist, auf der Linie Nordrand Mosnigo – Südende Giusin – Gravette–Kote 134 südlich von Antonio eingegraben – in notdürftig ausgehobenen Schützenlöchern inmitten von dichten Obstkulturen, durchnässt vom Regen, versucht man den Scheinwerfern der Italiener zu entgehen, deren Lichtkegel immer wieder suchend über das Schlachtfeld tasten. Ohne Pause toben die Geschütze der Italiener, die schweres Sperrfeuer über die Nachschubwege der Österreicher legen, vor allem auch auf die Straße von Canale nach Posmone, die von Granaten zerpflügt, kaum noch passierbar ist. Zerstörte Geschütze, umgestürzte Wagen, Leichen und Pferdekadaver säumen den Weg, auf dem Verwundete zurückgebracht werden und der Nachschub versuchen muss irgendwie durchzukommen. 70 Italiener, die als Gefangene eingebracht worden sind, werden dazu angehalten die Verwundeten der 84er zurück in die Kirche von Fontane zu tragen, die als Lazarett dient – das Gotteshaus füllt sich rasch mit Blessierten, beim Schein von Taschenlampen leisten die Ärzte unermüdlich die notwendigste Erstversorgung.
Um Mitternacht, nach langen Bemühungen, steht endlich auch die Küche in der Nähe der ersten Schwarmlinie: In kleinen Gruppen kommen die Soldaten aus ihren Stellungen, um Essen zu fassen, da es unmöglich ist, den Kochkessel zu ihnen nach vorne zu schleppen. Zu essen gibt es etwas Brot und Suppe und wie überall an der Südwestfront den unvermeidlichen „Drahtverhau“, staubtrockenes Dörrgemüse, das sich nur mit dem Heißhunger der Kämpfer hinunterschlingen lässt.
Bereits vor Mitternacht ist vom Kommando der 25. Infanteriedivision die Gefechtsdisposition für den 28. eingetroffen. Man ist entschlossen, dem Feind hartnäckigen Widerstand entgegenzusetzen, nüchtern und umsichtig plant man die Attacke auf die Armee Caviglias, von Selbstaufgabe oder Katastrophenstimmung keine Spur: „Morgen allgemeiner Gegenangriff. Feldmarschallleutnant Luxardo mit der 11. und 12. Kavalleriedivision, dem Infanterieregiment 128 und die 34. Infanteriedivision greifen mit dem rechten Flügel vom Westende Farra di Soligo in der Richtung auf das Westende Mosnigo an. Oberst von Czulik und die 50. Infanteriebrigade, letztere mit allen aus der Piavefront entbehrlichen Kräften, schließen sich nach Maßgabe der vorrückenden Truppe Feldmarschallleutnant Luxardo im Angriffe an. Das Bataillon Hauptmann Foschum (84. Infanterieregiment) nimmt noch nachts über Farra di Soligo Verbindung mit der Gruppe des Oberstleutnants Glaser auf. Oberst von Czulik hat eine intensive Aufklärung nach Moriago und Sernaglia durchzuführen. Die eingeschobenen Honvédhusaren Nr. 3 (ca. 200 Mann) im Raume Casa Balbi stellen die Verbindung zwischen der Gruppe Oberst von Czulik und den entbehrlichen Angriffskräften des Oberstbrigadiers Haas her, werden diesem unterstellt. Die Artillerie ist mündlich angewiesen, den Gegenangriff zu unterstützen und wird in den Raum Posmone – Canale vorgeschoben. Die Fernkampfgruppe unterhält ein ständiges Feuer auf die feindlichen Flussübergangsstellen südlich von Fontigo.“ Der Disposition sind Grüße und Glückwünsche Seiner Exzellenz des Korpskommandanten zur braven Haltung in den kritischen Stunden des 27. angeschlossen.
Unverzüglich werden alle Maßnahmen zur Umsetzung dieser Disposition getroffen – in über vier Jahren Krieg sind die Mechanismen der Todesmaschine zur Perfektion gereift, jeder Offizier weiß, was er zu tun hat.
Es ist schon nach Mitternacht, als beim Regimentskommando der 84er ein Befehl der 25. Infanteriedivision eintrifft, der doch etwas Besorgnis auslöst: „Nachdem mit dem Eingreifen einer neuen eigenen Division aus dem Raume Refrontolo erst am Nachmittag gerechnet werden kann, muss sich die 25. Division bis dahin aus eigenen Kräften halten. Geht der Feind zurück, so folgt die Gruppe Oberst Czulik unmittelbar nach. Trifft dies nicht zu, so ist in geeigneter Gruppierung bis zum Eingreifen dieser eigenen Division auszuharren, ein Bataillon des Infanterieregiments 44 aus der Front zu ziehen und bei Fontane bereitzustellen“ – eine Anweisung, die durchklingen lässt, dass man auch den Rückschlag bei der Division bereits einkalkuliert. Oberst Czulik lässt auf diesen Befehl hin ein halbes Bataillon der 44er, die sich bei Mosnigo bereits in einer schwierigen Lage befinden, in eine Reservestellung zurückgehen. Das Risiko, dass die dadurch weiter geschwächte Stellung bei Mosnigo durchstoßen werden kann, nimmt man wohl oder übel in Kauf. Von einem Angriffsbefehl, den man erbeuten konnte, weiß man auch das unmittelbare Angriffsziel Caviglias: die Höhen von Farra di Soligo. Die 25. Infanteriedivision, die ihre Stellungen noch am Ufer des Piave hat, fühlt sich dadurch an ihrer linken Flanke bedroht und beschließt vorsichtshalber gleich den Rückzug. Noch während der Nacht geht man auf die Linie Bigolino – Cobertaldo–Farra zurück Am Piave lässt man nur Feldwachen zurück, denen es in der Folge sogar gelingt, weitere Übergangsversuche der Italiener zu vereiteln.
Das Frontgebiet am Piave mit den drei Brückenköpfen der Alliierten am Morgen des 28. Oktober 1918 (strichlierte Linien).
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Heeresgruppenkommando Udine: Am Piave, so weiß man, muss alles getan werden, um eine weitere Konsolidierung der Brückenköpfe des Feindes zu verhindern. Tatkräftige Gegenmaßnahmen sind unerlässlich. Da braucht man auch die Unterstützung der Flieger: Feldmarschall Boroević lässt in dieser „langen Nacht“ alle verfügbaren österreichisch-ungarischen Fliegerkompanien Angriffe auf die Brücken des Feindes über den Piave fliegen. Der Nachschub von frischen Truppen und Kriegsmaterial in die Brückenköpfe soll so weit wie möglich unterbunden werden. Unterstützung finden die verwegenen Piloten durch die Artillerie, die auf die Übergänge des Feindes ein heftiges Geschützfeuer unterhält. Ein Volltreffer ist zu verzeichnen: Die Brücke bei Pederobba, auf der die Stoßbataillone der 12. Armee der Alliierten über den Fluss gegangen sind, wird zerstört.
Aufgrund der drückenden Überlegenheit der alliierten Luftwaffe ist jeder Feindflug ein Todeskommando, dennoch scheuen sich die k. u. k. Feldpiloten nicht den ungleichen Kampf aufzunehmen: Oberleutnant Steiner von der Fliegerkompanie 60 vollbringt auf einem dieser wagemutigen Schlachtflüge eine besondere Heldentat: Innerhalb der feindlichen Linien abgeschossen, rettet er seinen schwer verwundeten Piloten, Zugsführer Pawlowski, dessen Kleider brennen, durch Untertauchen in das Wasser des Piave. Dann schleppt er seinen halbtoten Kameraden zurück bis in die eigenen Stellungen. Beim gleichen Angriff auf die Piave-Brücken wird Zugsführer Fachs von der Fliegerkompanie 69 durch einen Schuss ins Gesicht, abgegeben von einem feindlichen Jagdflieger, schwer verwundet. Dennoch gelingt es ihm, das Flugzeug zusammen mit seinem Beobachter heil auf dem Flugfeld zu landen.
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Prag, die Goldene Stadt, caput regni Bohemiae, das Lebenszentrum der Tschechen und ihre innig verehrte Hauptstadt, „jenes erträumte Wesen, jene heilige Stätte, jenes Götzenbild“, wie der Dichter Vilem Mrstik in seinem Roman Santa Lucia schreibt, „das jeder zu erblicken sich sehnt und von dem jeder träumt, wie einst die weißhaarigen Großmütter von ihm träumten und erzählten. Prag mit dem Vyšehrader Felsen, den Königsburgen, den Palästen, den Ufern auf der Kleinseite, Prag, errichtet über Jahrhunderte, geheiligt seit Urväter Zeiten.“ Dieses Prag, durchflossen von der Moldau, der Herzschlagader des böhmischen Landes, ist in dieser Nacht im Oktober 1918 noch immer eine Stadt Österreich-Ungarns, überwacht von einem k. u. k. Militärkommandanten, verwaltet von einem k. u. k. Statthalter. Eine Stadt auch, in der in dieser Nacht trügerisch-gespannte Ruhe herrscht, in der die maßgeblichen Männer unter den tschechischen Patrioten auf den großen Augenblick warten …
In der Wohnung von Dr. Alois Rašín, Mitglied des tschechischen Nationalausschusses