Johannes Sachslehner

1918


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überzeugt, dass bereits der kommende Tag die entscheidende Wende im Ringen mit Österreich-Ungarn bringen wird. Mit Bleistift notiert Rašín erste Formulierungen für ein Gesetz, das der Nationalausschuss sofort nach der „Machtübernahme“ erlassen wird.

      Alois Rašín, geboren 1867 in Nechanice bei Königgrätz (Hradec Králové) nur ein halbes Jahr nach der Katastrophe der österreichischen Armeen gegen die Preußen in unmittelbarer Umgebung seines Heimatortes, hat allen Grund, um aufgewühlt zu sein: Sein jahrzehntelanger Kampf für die Freiheit der tschechischen Nation scheint nun einem letzten Höhepunkt zuzusteuern. Schon während des Jurastudiums an der Prager Karlsuniversität hatte er sich als radikaler Verfechter der tschechischen Unabhängigkeit hervorgetan, 1893 war er nach einem öffentlichen Auftritt als Redner das erste Mal verhaftet und im so genannten Omladina-Prozess zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, im November 1895 jedoch begnadigt worden: Rašín, von tiefem Hass gegen die Österreicher verzehrt, lehnte zum Erstaunen der Gefängnisbeamten den Gnadenerweis jedoch ab – beinahe mit Gewalt musste er aus seiner Zelle geschleppt werden.

      Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hatte Rašín in Prag eine Anwaltskanzlei eröffnet, daneben aber auch Beiträge für die nationaltschechische Zeitung Národní listy geschrieben und sich weiterhin politisch engagiert; 1911 war er zum Abgeordneten im Reichsrat gewählt worden. Mit Beginn des Krieges hatte dann sein Aufstieg zu einem der führenden Männer des antihabsburgischen tschechischen Widerstandes begonnen, nun war er auch in Kontakt mit Tomáš Garrigue Masaryk, dem Haupt des tschechischen Exils, getreten. Insbesondere die Abwehrabteilung des Armeeoberkommandos, die vor allem negative Auswirkungen auf die Kampfkraft tschechischer Truppen befürchtete, wollte seinem Treiben jedoch nicht lange zusehen: Bereits am 12. Jänner 1915 wird er verhaftet, am 6. Dezember 1915 beginnt vor einem Militärgericht in Wien die Hauptverhandlung gegen ihn und den Reichsratsabgeordneten Dr. Karel Kramář, den Führer der tschechischen Sozialdemokraten. Der Staatsanwalt wirft beiden angeklagten Tschechen Hochverrat vor; zwei weitere Mitstreiter, der Redakteur Vincenz Červinka von den Národní listy und der Buchhalter Joseph Zamazal, sitzen wegen „Ausspähung“, d. h. Spionagetätigkeit, auf der Anklagebank.

      Nach sechsmonatigen Verhandlungen, geleitet von dem berüchtigten Militärrichter Oberleutnant-Auditor Hofrat Dr. Peutlschmid, der mit großer Gründlichkeit in alle Winkel der Tschechenfrage von ihrem Anbeginn her hineinleuchtet, folgt das Urteil: Tod durch den Strang für alle vier Angeklagten. Die Urteilsbegründung bleibt geheim und wird nicht publiziert – Ministerpräsident Stürgkh will die Tschechen nicht „kränken“, obwohl das Armeeoberkommando und Böhmens Statthalter Max Graf Coudenhove für eine Veröffentlichung sind, um jeder Legendenbildung entgegenzuwirken. Eine Nichtigkeitsbeschwerde beim Obersten Landwehrgerichtshof bleibt ergebnislos.

      Während Rašín in der Todeszelle auf seine Hinrichtung wartet, stirbt Kaiser Franz Joseph I. – der Tod des alten Mannes bedeutet für ihn Leben. Die Todesstrafe wird im Jänner 1917 in eine 10-jährige Haftstrafe umgewandelt; am 2. Juli 1917 folgt – gegen den Rat von Generalmajor Max Ronge, dem Chef der Nachrichtenabteilung im Generalstab – die Amnestie durch Kaiser Karl, Rašín und seine drei Landsleute sind wieder freie Männer.

      Die Aufenthalte in österreichischen Gefängnissen haben Alois Rašín nicht mutlos gemacht – im Gegenteil: Er ist agiler denn je, tatkräftig und kompromisslos, kümmert sich wenig um Freund und Feind und hat nur ein Ziel: Österreich-Ungarn muss untergehen!

      Der Grund für die Zuversicht des Ehepaars Rašín, das schlaflos dem Morgen entgegenfiebert, sind die letzten Nachrichten, die man am Vorabend aus Wien erhalten hat. Um 20 Uhr hatte sich Vlastimil Tusar, der Verbindungsmann des Nationalausschusses und Vertreter des Vereins der tschechischen Reichratsabgeordneten, telefonisch gemeldet und Bericht über die letzten Ereignisse erstattet: Bereits zu Mittag habe der neue Innenminister Gayer ihn, Tusar, zu einer kurzen Unterredung ins Ministerium gerufen. Der Generalstab beim Armeeoberkommando in Baden wolle mit ihm sprechen, es handle sich um die Unruhen unter den Truppen an der Front. Man wünsche sich die Unterstützung von Abgeordneten der einzelnen Nationalitäten, die zu den Soldaten sprechen sollten. Er habe aber abgelehnt – nach Baden fahre er auf keinen Fall, zu Verhandlungen in Wien sei er jedoch bereit.

      Am Abend sei dann noch Generalmajor Max Ronge zu ihm ins Hotel gekommen. Man müsse, so der Chef der k. u. k. Abwehr, bei der Armee bolschewistische Ausbrüche befürchten, tschechische Abgeordnete sollten deshalb an die Front gehen und die tschechischen Regimenter zum Ausharren bewegen. Ronge habe die kritische Lage des österreichisch-ungarischen Heeres geschildert, die Verzweiflung der Verantwortlichen wiedergegeben.

      Rašín, der nun die Stunde der Revanche für all das, was er an Verfolgung und Schikanen von Seiten der österreichischen Behörden zu erleiden hatte, gekommen sah, hatte Tusar auf diesen Bericht hin entsprechend hart und triumphierend Bescheid gegeben: „Wir können keine Abgeordneten an die Front schicken, solange nicht Österreich-Ungarn einen Waffenstillstand ohne jede Bedingung unterzeichnet!“

      Dass Ronge, der Tschechenhasser, der Mann, der als fragwürdiger „militärwissenschaftlicher Sachverständiger“ während des Prozesses alles getan hatte, um ihn und Kramář an den Galgen zu liefern, nun so zu Kreuze gekrochen kam, überzeugte Rašín insgeheim in der Auffassung, dass der Zusammenbruch der k. u. k. Armeen unmittelbar bevorstehen müsse. Nach außen hin blieb er jedoch gelassen und ließ Ronge durch Tusar ausrichten, dass er mit dem Nationalrat über diese Sache verhandeln werde, mit einer Antwort sei für den kommenden Morgen zu rechnen. Tusar reichte diese Antwort des Prager Abgeordneten sofort an das Wiener Sekretariat der Südslawen weiter, das seinerseits den südslawischen Nationalrat in Agram informierte.

       Wegen „Hochverrats“ von einem österreichischen Militärgericht zum Tode am Galgen verurteilt und von Kaiser Karl begnadigt: Dr. Alois Rašín, führendes Mitglied des tschechischen Nationalausschusses.

      Nach dem Gespräch mit Tusar hatte Rasín sofort mit Dr. Josef Scheiner, dem Starosten der tschechischen Sokolbewegung, telefoniert – man müsse sofort alle Vorbereitungen für den Umsturz treffen, bereits in wenigen Stunden könne es so weit sein. Scheiner versprach, sofort alles Notwendige zu veranlassen.

      Um 23 Uhr hatte sich dann Tusar noch einmal am Telefon gemeldet, diesmal aber nichts Neues zu berichten gewusst. Rašín gab seinem Wiener Verbindungsmann zu verstehen, dass er fest mit dem „Umsturz“ für den kommenden Tag rechne …

      An der Piavefront bei Nervesa. Die Alliierten versuchen einen neuen Brückenkopf zu bilden: Truppen des VIII. italienischen Korps gehen über den Fluss und versuchen am linken Ufer Fuß zu fassen; der 51. Honvédinfanteriedivision gelingt es jedoch im Gegenstoß den Feind zu vertreiben.

      Ein Missgeschick trifft die von Lord Cavan kommandierte 10. Armee der Alliierten bei der Papadopoli-Insel: Da der Wasserstand des Piave fällt, ändert sich auch die Hauptströmung des Flusses, die nun nicht mehr senkrecht auf die lebenswichtige, über 450 Meter lange Brücke bei Salettuol trifft, sondern in einem Winkel. Der am 26. Oktober von britischen Pionieren fertig gestellte Übergang, auf dem am 27. die Stoßtruppen der 23. britischen Infanteriedivision erfolgreich über den Fluss gingen, ist zur Hälfte eine so genannte „Bockbrücke“, zur anderen eine Pontonbrücke, was nun zum Nachteil wird: Durch die veränderte Strömung werden die „Bockfüße“ unterwaschen und die „Bockschwellen“ leicht ineinander verzwängt, das Wasser beginnt die Brücke zu überströmen, schließlich reißen sich zwei Pontons aus ihrer Verankerung los – die Brücke ist damit unpassierbar für den Nachschub und die am rechten Piaveufer wartenden Reserven; mehrere verzweifelte Versuche zur Reparatur der Brücke scheitern: Ständig gestört von österreichischem Geschützfeuer, gelingt es in der Dunkelheit nicht, neue Pontons so auf die Brücke zuzusteuern, dass sie genau in die Lücken treffen. Als ein Ponton kentert und ein britischer Pionier ertrinkt, gibt man auf. Erst mit Hilfe italienischer pontonieri kann die Brücke wieder instand gesetzt werden. Um der dringend notwendig gewordenen Versorgung der Truppen am linken Piaveufer eine sichere Basis zu geben, entschließt man sich einen zweiten