David Fuller

Osteopathie und Swedenborg


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die Sinnesorgane, die verschiedenen Teile des Gehirns, das Stammhirn, das Rückenmark, die Nervenfasern, die Muskelfasern und die Ursachen der Kräfte und der Bewegung des gesamten Organismus zu erfassen. Dem wollte er eine Studie über rationale Psychologie folgen lassen, worin diese als vom materiellen Organismus des Körpers induziert beschrieben werden sollte. Konzepte der Form, der Ordnung und des Grades, der Abfolgen und der Gemeinschaft, des Einströmens, der Übereinstimmung und der Repräsentation sollten darin entwickelt werden, und er erhoffte sich, davon ein besseres Verständnis des Mentalen, insbesondere der Fähigkeiten der Sinnesempfindung, der Erinnerung, der Einbildungskraft, des Instinkts, des Intellekts, des Willens und des rationalen Verstandes zu gewinnen23*. Im Anschluss daran plante er eine weitere Studie über die Seele, ihre Stellung im Körper, die Interaktion zwischen Seele und Körper, die Unsterblichkeit der Seele und ihren Zustand nach dem Tod des Körpers. Die Krönung seiner Studien würde aber im Wissen über die Seele bestehen. Swedenborg sah im organischen Körper ein Abbild der Seele, das von der Seele ausgeformt worden sei, um den Geist zu beheimaten. Er hoffte, durch das Studium des Körpers die Seele besser zu verstehen – und umgekehrt. Durch das Studium beider wollte er die Interaktion zwischen Seele und Körper so weit wie möglich verstehen lernen.80

      Im ersten Teil von Regnum Animale erörtert er das gastrointestinale System sehr detailliert. Er beginnt mit dem Mund und lässt den oberen und unteren gastrointestinalen Trakt sowie alle darauf bezogenen Organe wie Leber, Galle, Blase, Pankreas und Milz folgen. Auch der urologische Trakt mit den Nieren und der Blase wird abgehandelt. Der zweite Teil enthält vergleichbare Studien zum pulmonalen System, darunter den oberen und unteren respiratorischen Trakt, die Lungen, die Pleura und das Diaphragma sowie Verbindungen des Perikards zum Herzen. Teil drei bespricht die Haut, den Tastsinn und den Geschmackssinn. Swedenborg übertrug die in der Oeconomia regni animalis entwickelten Konzepte auf alle diese Bereiche. Er beschreibt, wie die Aktivitäten und Bewegungen jedes einzelnen wechselseitig auf das Ganze bezogen sind und mittels des Einflusses von Gehirn und Blut, insbesondere durch den dem Gehirn zugrunde liegenden vereinenden Rhythmus der Beseelung, integriert und wie alle Systeme damit zu einem großen Ganzen harmonisiert werden.81

      Zusätzlich zur minutiösen Beschreibung der Anatomie jedes einzelnen Bereichs konzentrierte sich Swedenborg auf die Funktion, welche die Struktur leitet, stellte Schlussfolgerungen vor und entwickelte und verfeinerte seine Überlegungen. Einige seiner späteren Schlüsselanschauungen sind bereits im vorliegenden Buch behandelt: die Rolle der intrinsischen Bewegungen im gesamten Körper, die Integrität und das wechselseitige Aufeinanderbezogensein des Körpers – insbesondere im Hinblick auf das Gehirn und das Blut, die Rolle der faszialen Verbindungen, die von Pleura, Peritoneum und Nerven in ihrer gemeinsamen, die Organe verbindenden Aktivität vermittelt werden; dazu die Seele als universale Essenz und mächtige Lebenskraft des menschlichen Körpers. Swedenborg betrachtete den Körper als Mikrokosmos, als kleines Universum, welches das große Universum widerspiegelt. Eine weitere interessante Überlegung ist diejenige einer Entsprechung zwischen unterschiedenen Graden der Aktivität nicht nur im Körper, sondern auch zwischen dem menschlichen Körper und der geistigen Existenzebene. Swedenborg hatte dieses Konzept ausgebaut, seit er es zum ersten Mal in Regnum Animale eingeführt hatte. Die Konzepte der unterschiedenen Grade und Entsprechungen wurden in De Cerebro und vor allem in seinen späteren theologischen Arbeiten weiterentwickelt.82

      Swedenborg vollendete seine Pläne für die über die ersten drei Bände hinausreichende Reihe von Regnum Animale nicht und veröffentlichte auch die Skizzen zu den anderen Themen nicht, welche er für weitere Bände vorbereitet hatte. Stattdessen kam es in seinem Leben zu einer großen Transformation, die dazu führen sollte, dass er seine anatomischen und philosophischen Werke ganz hinter sich ließ, um sich einem anderen Werk und der damit verbundenen schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen.

      DIE ÜBERGANGSPHASE

      Während er zwischen Ende 1743 und Anfang 1744 in Holland an Regnum Animale arbeitete, erfuhr Swedenborg eine persönliche Geisteskrise. Nach außen blieb er ein international angesehener Wissenschaftler und schwedischer Adliger. Innerlich aber erlebte er neue und verwirrende Träume und schwankte zwischen Zuständen unbeschwerter Heiterkeit und ernster Selbstkritik sowie Depression. Swedenborg führte gewöhnlich ein kleines Tagebuch während seiner Reisen und wie üblich begann er auch eines bei dieser Reise nach Amsterdam. Seine Reisetagebücher enthielten gewöhnlich Einträge zu Menschen, die er traf, und Orten, die er bereiste. Dieses Notizbuch jedoch wurde zu viel mehr als nur einem schlichten Reisebericht. Um die mächtigen und fremdartigen Träume und Erfahrungen besser verstehen zu können, zeichnete er sie in diesem persönlichen Journal von 1743/​1744 auf. Es wurde posthum unter dem schwedischen Titel Drömboken veröffentlicht und übersetzt.24*Das Journal wurde mit den leidenschaftlichen Beschreibungen eines Mannes gefüllt, der eine Krise und im weiteren Verlauf eine Katharsis durchlief und aus diesem Prozess als ein verwandelter und glücklicherer Mensch hervorgehen sollte.83

      Das Drömboken beschreibt die Abfolge von Swedenborgs Erfahrungen. Es beginnt mit knappen Zusammenfassungen der Reisen, denen eine Schilderung abwechselnder Zustände von Selbstkritik und Freude folgt. Weiter geht es mit komplexeren Bildern und Träumen, die zunächst als unsinnig erscheinen. Erst nachdem er bestimmten wiederkehrenden Konzepten und Bildern besondere Bedeutung zuschreibt, erscheinen sie mit der Zeit sinnvoller. Es wird klar, dass Swedenborgs antreibendes Begehren, Gott zu erkennen, als mächtige Kraft hinter diesem Prozess stand. Zudem kämpfte er mit der Empfindung eigener religiöser Unangemessenheit. Das Drömboken beschreibt somit eine intensive Zeit und einen damit verbundenen Prozess persönlichen Wachsens, an dessen Ende Swedenborg das Verhaftetsein an der Welt und an persönlicher Reputation hinter sich lassen konnte. Dies sollte Swedenborg für den Rest seines Lebens verändern.84

      Moderne Psychologen haben angesichts dieses Vorgangs nicht nur Swedenborgs bedeutenden Intellekt erkannt, sondern gehen auch von einer anfänglich fehlenden Balance zwischen Gefühl und Intuition aus. Zum Ende des Journals reflektieren Swedenborgs zumeist positive Erfahrungen ein sehr viel demütigeres, liebendes und ausbalanciertes Individuum. Offensichtlich bemerkte er selbst die Veränderungen seiner Person während dieser Zeit und wunderte sich über das Verschwinden seines Begehrens nach Selbstrechtfertigung und Reputation. Seine Gefühlsseite hatte sich dagegen entwickelt, seine Fähigkeit zur Intuition und zur Einsicht hatte sich beachtlich erweitert, ebenso seine Fähigkeit, Studien auf selbstlose Weise zu betreiben.85

      Im Laufe dieses Übergangsprozesses erfuhr Swedenborg im April 1744 eine erste mächtige, sein Leben verändernde Vision; diese folgte unmittelbar auf das Osterwochenende, während dem er an großer innerer Unruhe gelitten hatte. Noch am Sonntagabend war er voller Versuchungen und empfand abwechselnd inneren Frieden und äußere Traurigkeit. In seinem Traum traf er einen Bekannten, der ihn zu überzeugen versuchte, sich seinem Unternehmen anzuschließen. Swedenborg interpretierte dies im Kontext von Luxus, Reichtum und Eitelkeit. Darauf folgte ein unbeschreibliches Gefühl himmlischer Seligkeit, eine Empfindung der Liebe Gottes und der eigenen Bereitschaft, sein Leben für ihn hinzugeben. In der nächsten Nacht, am 6. April 1744, hörte Swedenborg etwa eine halbe Stunde, nachdem er schlafen gegangen war, das Heulen der Winde und wurde plötzlich von einem Zittern erfasst. Er empfand etwas Heiliges und fiel aus seinem Bett auf den Boden. Dort erfuhr er, ganz wach, eine Vision Christi. Swedenborg sah sich in Christi Armen und empfand, dass er von Gott für eine spezifische Aufgabe ausersehen war. Darauf erschien ihm ein Bild seines Vaters Jesper Swedberg, der ihm ein Leben außerhalb des Klerikerstandes erlaubte.86

      Swedenborg schloss zwar die ersten Bände von Regnum Animale ab, ließ aber alle anderen wissenschaftlichen Arbeiten fallen, nachdem er diesen Übergangsprozess durchlaufen hatte. In seiner nächsten Arbeit, De cultu et amore Dei,25* versuchte er sich in einem gänzlich anderen und ungewöhnlich poetischen bzw. metaphorischen Schreibstil. Allerdings publizierte er nur einen Teil dieses Werkes. Zwar empfand er seine neue Berufung deutlich, doch es war ihm nicht klar, wohin sie ihn führte. Er empfand, dass er bei der Suche nach der Seele und den Angelegenheiten des Geistes in gewisser Weise an die Grenzen des wissenschaftlichen Weges gekommen war. Obgleich ihm zehn Jahre intensiver anatomischer Studien ein differenziertes und reiches Verständnis des Körpers gebracht hatten, so doch keine Lösung für die Frage der Interaktion