Anschließend verbrachte Swedenborg ein Jahr in Frankreich, wo er führende französische Wissenschaftler traf. Darauf folgte Deutschland und schließlich an der Südküste der Ostsee Rostock, das sich zu jener Zeit in schwedischem Besitz befand. Hier sammelte er seine Notizen, Zeichnungen und Überlegungen zu einer Präsentation der Ergebnisse seiner Reise. Obgleich sich die meisten seiner Studien mit Chemie, Astronomie, Mathematik, Physik und Poesie befassten, war sein Notizbuch auch voll von Zeichnungen und Details der unterschiedlichsten Erfindungen. Mehrere davon dienten später seiner Arbeit sowie der Verbesserung der Sicherheit schwedischer Arbeiter. Und viele seiner Erfindungen standen in Zusammenhang mit dem Bergbau, wie etwa eine mechanische Hebevorrichtung und weitere maschinelle Hilfsmittel, wie Luftpumpen, Seile, Federn und Siphons. Andere Erfindungen waren dagegen eher von theoretischer Natur, so etwa ein universales Musikinstrument, Pläne für eine Luftmaschine und ein Boot, das unter Wasser fahren konnte.22
Swedenborgs Flugzeugpläne sind deswegen bemerkenswert, weil sie später als erster vernünftiger Entwurf eines Luftfahrzeugs anerkannt wurden. Es handelte sich um die ersten Pläne, die einen festen Flügel mit einer wirklichen Tragfläche kombinierten, ein Cockpit für den Piloten und einen Landungshebel einschlossen. Swedenborg hatte die Flügelfläche richtig berechnet, die nötig war, um das Fahrzeug in der Luft zu halten, und ebenso die Notwendigkeit erkannt, eine entsprechende Antriebsquelle zu entwickeln. Jedoch handelte es sich nur um den theoretischen Entwurf eines Flugzeugs, welches er nie tatsächlich baute. Modelle jenes Luftfahrzeugs befinden sich im Raum für frühe Fluggeräte im Smithsonian Aerospace Museum sowie in der Swedenborg-Bibliothek in Bryn Athyn, Pennsylvania.23
Zur selben Zeit entwickelte Swedenborg eine Methode, den Längengrad versuchsweise mithilfe des Mondes zu bestimmen. Diese Lösung schien erfolgreich zu sein, allerdings wurden dazu exakte Tabellen der Mondbewegung benötigt. Flamsteed hatte Swedenborg versprochen, dass diese bald erscheinen würden, als er bei ihm arbeitete, doch sie waren immer noch nicht verfügbar. Als junger, eifriger Wissenschaftler wollte Swedenborg seinen König und sein Land durch die Lösung des Längengradproblems stolz machen.24
Abb. 1: Swedenborgs Flugmaschine, 1714
DER FRÜHE BERUFLICHE WERDEGANG
Der 26-jährige Swedenborg kehrte Ende des Jahres 1714 von seinen Reisen in Europa nach Schweden zurück. Ehrgeizig wie er war, suchte er eine Position oder einen Weg, um sein Wissen und seine Fähigkeiten anzuwenden. Jedoch gab es zur Zeit seiner Rückkehr große Probleme. Aufgrund der Kriege König Karls XII. waren die Landesfinanzen sehr in Mitleidenschaft gezogen. Karl XII. war 1697 Karl XI. nachgefolgt und hatte eine Folge von Kriegen begonnen, die das schwedische Staatsvermögen ernstlich dahinschmelzen ließen. Die Wirtschaft stagnierte und von außen initiierte Innovation gab es nicht. Relativ zu Kontinentaleuropa fiel Schweden in den Wissenschaften zurück und bot nur sehr wenige Möglichkeiten für einen jungen Wissenschaftler. Zudem betrachteten die konservativen schwedischen Gelehrten und Akademiker Swedenborg mit seinen jüngsten Studien in England, Frankreich und Holland eher als einen talentierten Außenseiter denn als einen gleichrangigen Kollegen.25
So betrieb Swedenborg eigenständig wissenschaftliche Aktivitäten. Neben dem Versuch, ein astronomisches Observatorium und eine Gesellschaft für Forschung und Wissenschaft aufzubauen, gründete er Schwedens erste wissenschaftlich-technische Fachzeitschrift mit dem Namen Daedalus Hyperboreus (der nördliche Daedalus). Den ersten Teil des Namens entlehnte er einer Figur aus der griechischen Mythologie, die als erste geflogen war. Swedenborg wollte damit das Interesse an den Naturwissenschaften entfachen und entwarf daher seine wissenschaftliche Zeitschrift entsprechend ähnlicher Vorlagen gelehrter Gesellschaften in anderen Ländern. Er hoffte, dass dies die Basis einer ersten, zukünftigen gelehrten schwedischen Gesellschaft von Wissenschaftlern sein werde.26
Swedenborg widmete den ersten Band des Daedalus Hyperboreus König Karl XII., der sein Interesse für das Projekt bekundet hatte. Er scheint sehr beeindruckt von dem jungen, eifrigen und aufgeweckten Swedenborg gewesen zu sein, vielleicht auch, weil er großes Interesse an der Mathematik hatte und viel von ihr verstand. Zugleich war er aber auch ein König mit bedeutenden praktischen Interessen. Mathematik, Naturwissenschaft und Technologie sollten zum Vorteil der Erhaltung und Entwicklung seines Landes dienen. Da er Swedenborg als nützlichen Gelehrten und Ingenieur betrachtete, nahm er ihn in seiner Gefolgschaft auf vielen seiner Reisen durch das Land mit. Swedenborg seinerseits ermutigte den König, den Fortschritt der Wissenschaft in Schweden zu fördern.27
Während der nächsten Jahre fand Swedenborg viele Freunde und arbeitete eng mit Schwedens bekanntem Erfinder und berühmtestem Wissenschaftler Christopher Polhem zusammen, der ihn unter seine Fittiche nahm. Polhem war mit 72 Jahren eher ein väterlicher Freund Swedenborgs und mit Karl XII. gut vertraut. Er war weithin bekannt und zog Studenten und Besucher aus ganz Europa an. Swedenborg war in jener Zeit mehr als nur ein Student an seiner Seite, er erfüllte vielmehr die Pflichten eines assistierenden Ingenieurs. Schließlich beauftragte König Karl die beiden, einen Kanal durch eine zerfurchte Berglandschaft zu treiben, um Stockholm mit der Nordsee zu verbinden. Swedenborg beaufsichtigte während dieser Zeit den Transport von 14 Kriegsschiffen über Land, um die norwegische Marine bei der Belagerung von Frederikshald zu bekämpfen.28
Polhem war sehr beeindruckt von Swedenborg, was sich auch daran zeigt, dass beide nicht nur Freunde, sondern auch Geschäftspartner wurden. Beide träumten davon, in Uppsala ein mechanisches Institut zu eröffnen. Es sollte den Menschen in Schweden helfen, mit praktischen Erfindungen und Verbesserungen durch Technologie, wie etwa eine verbesserte Dreschmaschine, bessere Erträge bei der ernte zu erzielen.29
Auf Empfehlung des Königs bot Polhem Swedenborg sogar die Hand seiner ältesten Tochter Maria an, doch dieser hatte ein Auge auf deren jüngere Schwester, Emerentia, geworfen. Emanuel und Emerentia wurden verlobt, doch sie war mit dieser arrangierten Hochzeit nicht glücklich. So ließ er sie frei, damit sie einen Anderen heiraten konnte, dem sie sich bereits zuvor zugewandt fühlte. Offensichtlich war diese Entscheidung für ihn sehr schmerzvoll, denn er fühlte sich stark von ihr angezogen. Emerentia war brillant, schön und fähig. Nach dem Tod ihres Vaters übernahm sie die Leitung des Glühofens bei Stjarns.30
Polhem bat den König, Swedenborg eine Ehrenposition zu gewähren und Karl gab Swedenborg die Wahl zwischen einer akademischen Berufung und einer an das Direktorium der Bergwerke. Da sich Swedenborg für letzteres entschied, berief Karl den 28-jährigen Swedenborg 1716 zum ehrenamtlichen ‚außerordentlichen Gutachter’ des Direktoriums der Bergwerke. Das Direktorium hatte eine große Bedeutung, da der Bergbau zu jener Zeit den bedeutendsten Industriezweig Schwedens und das Rückgrat der Wirtschaft bildete. Er war auch die finanzielle Grundlage zahlreicher Familien der Elite und des Königshauses. Zur Zeit Swedenborgs war die Förderung von Metallen, insbesondere von Kupfer und Eisen, am bedeutendsten geworden und um die Jahrhundertwende machten Eisen, Stahl, Kupfer und Blech 80 Prozent der schwedischen Exporte aus.31
Das Direktorium der Bergwerke war sehr aktiv darin, alle Förderaktivitäten zu überwachen, Streitigkeiten zu schlichten, Bergwerke zu inspizieren, effizientere Methoden für den Bergbau zu entwickeln und sie auf dem neuesten Stand der Metallurgie zu halten. Polhem hatte dem König geraten, jemanden für das Direktorium der Bergwerke zu berufen, der sowohl über einen wissenschaftlichen wie auch über einen technischen Hintergrund verfügte, denn er hatte bemerkt, dass das Direktorium bereits genügend Mitglieder hatte, die es bloß verstanden, zu regulieren. Obwohl es noch mehrere Jahre dauern sollte, bis Swedenborg voll bezahlt wurde, genoss dieser seine Arbeit. Er schlug sogar lukrative Angebote aus, wie etwa eine Professorenstelle für Astronomie an der Universität Uppsala. Die Position am Direktorium der Bergwerke passte nicht nur gut zu Swedenborgs Interessen und zu seiner naturwissenschaftlichen Erfahrung, sondern auch zu seinen familiären Beziehungen zum Bergbau.32
Im November 1718 wurde König Karl XII. während der Belagerung einer norwegischen Stadt getötet und im März 1719 folgte ihm seine jüngere Schwester Ulrika Eleonora auf den Thron. Sie festigte ihre Macht und ihre Popularität dadurch, dass sie zustimmte, ihre Herrschaft kooperativ mit dem Reichstag auszuüben.