Katharina Eigner

Salzburger Rippenstich


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und her reißt! Die ersten Schrecksekunden ist mein Gehirn im Stand-by-Modus, dann schreie ich. Ich schreie meinen Schmerz, meine Wut über den Pechtl und den Ekel über die gelben Hundezähne in die Welt hinaus.

      »Jetzt tun Sie doch was!«

      Der Pechtl hebt nur ratlos die schmächtigen Schultern. »Sie haben ›FASS‹ gesagt. Das hat der Othello wohl falsch verstanden!«

      Schmerz, Entsetzen und … Bin ich im falschen Film? Alles, was dem Pechtl einfällt, ist Psychologen-Gefasel, während sein Hund sich durch meine Haut und Muskeln in Richtung Knochen arbeitet? Jetzt greift der Pechtl auch noch beherzt nach dem Hundehalsband und zerrt dran. Aber anstatt den Hund von mir wegzureißen, steigert er nur meine Schmerzen, was mich beinahe in die Ohnmacht treibt. Schließlich holt er aus und versetzt seinem Othello einen Tritt in die Flanke, dass der nur so jault. Und siehe da: Maul auf, Bein frei. Endlich.

      Das sabbernde Hundsviech steht knurrend und schnaufend neben seinem Besitzer und leckt sich das blutige Maul. Ich schaue an mir herunter: Der Haxen ist zerbissen und zerfleischt, die Leggings hängen nur mehr in Fetzen weg. Von den pochenden Schmerzen einmal abgesehen.

      Für den Heimweg brauche ich ein Transportmittel, so viel steht fest. Ich fische mit zittrigen Fingern das Handy aus der Laufjacke und rufe meinen Mann an. So gut es eben geht, wenn einem vor Schmerzen die Zähne klappern, informiere ich ihn im Telegrammstil über das Nötigste.

      Er verspricht, in fünf Minuten bei mir zu sein, und legt auf. Der Pechtl bleibt pflichtschuldigst stehen, allerdings ist seine Anwesenheit eher dekorativ als sinnvoll. Seiner Verantwortung als Hundehalter ist er sich nicht bewusst, finde ich. Jedenfalls nicht in angemessener Art und Weise. Wenigstens ein herzhaftes »Pfui« in Richtung Othello hätte ich mir erwartet. Falsch. Ganz falsch. Der Pechtl krault seinem Vierbeiner Rücken und Ohren, liebevoll und wie zum Trost. Irgendetwas murmelt er dem Hund ins Ohr. Ein Lob? Das Versprechen auf ein Leckerli? Oder Anti-Aggressions-Globuli?

      Ich entdecke eine Art Peilsender auf Othellos Halsband. Es blinkt und piepst leise; wie ein Smartphone, nur kleiner.

      »Was ist das?«, frage ich genervt und nur, um mich vom Schmerz abzulenken.

      »Ein Dogtracker. Damit misst man Strecke, Geschwindigkeit und Kalorienverbrauch des Hundes«, klugscheißt der Pechtl.

      Jede weitere Konversation erübrigt sich Gott sei Dank, denn mein Mann rast in unserer Familienkutsche auf mich zu und bremst mit quietschenden Reifen auf dem Kies.

      »Sie hören von uns!«, knurrt er den Pechtl an und öffnet die Beifahrertür. Ich lasse Klugscheißer und Höllenbestie links liegen und plumpse erschöpft auf den Beifahrersitz.

      Eine Stunde und viel Wunddesinfektion später in der Allgemeinpraxis meiner Chefin, Frau Doktor Fleischer. Fleischer. Der Name passt so gar nicht zu dieser fürsorglichen und feinfühligen Person. Bei Fleischer denkt man an scharfes Werkzeug, Kühlvitrinen, Kettenhemden, Gemetzel und Wadschinken.

      »Gott sei Dank ist der Knochen unverletzt.« Sie tupft ein letztes Mal mit dem jodgetränkten Wattebausch über die Wunde.

      »Hat sich anders angefühlt.«

      Sie schüttelt den Kopf und lächelt. Dann klärt sie mich noch über den Verlauf einer möglichen Tollwuterkrankung auf. Drei bis acht Wochen Inkubationszeit, drei Stadien des Krankheitsverlaufs: zuerst Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Fieber. Dann verkrampfte Schlundmuskulatur, rinnender Speichel. Schließlich das Finale grande in Form von Lähmungserscheinungen und Koma.

      »Ist die Tollwut erst einmal ausgebrochen, endet sie tödlich«, plaudert meine Chefin, roh wie ein Metzgerhund. Angstbedingt steigt mein Puls und ich schwitze.

      »Jetzt mach dir nicht gleich ins Hemd, Rosmarie! Der Pechtl ist ein Paragrafenreiter; der hat seinen Hund sicher gegen Tollwut impfen lassen, da passiert schon nichts!«

      »Ihr Wort in Gottes Gehörgang«, murmele ich tapfer.

      Meine Chefin duzt mich, aber ich sage immer noch »Sie« zu ihr. Hat sich mit der Zeit so eingebürgert und ist für uns beide in Ordnung. Wie bei SOKO Kitzbühel, wo Gräfin Schönberg und Haubenkoch Hannes seit Ewigkeiten ein Liebespaar sind und sich immer noch siezen.

      »Der Pechtl ist vor allem eines: ein selbstgefälliges Arschloch. Nicht einmal entschuldigt hat er sich für seine Bestie!«

      Frau Doktor Fleischer schnauft. »Er ist … wie soll ich sagen … nicht unbedingt ein Gewinn für die Gemeinde.« Diplomatisch ist sie, die Frau Doktor, das muss man ihr lassen. Über Patienten herziehen: ein No-Go! Trotz ihrer negativen Erfahrungen mit dem Pechtl.

      Voriges Jahr zum Beispiel, hat er ihre Praxisräume einem Hygienecheck unterzogen. Er ist allen Ernstes über den Boden gekrochen, um Staub zu sammeln. Die Proben hat er in einem Labor untersuchen lassen. Ein anderes Mal hat er mitten im Wartezimmer, quasi vor versammelter Kundschaft, die Patientenfrequenz pro Tag berechnet und darauf hingewiesen, dass zu wenig Sitzgelegenheiten zur Verfügung stünden. Auch am Stift, mit dem die Pieselbecher bei der Abgabe von Urinproben beschriftet werden, hat er was auszusetzen gehabt. Weil der Schreiber nicht wasserfest war und somit Proben leicht verwechselt werden könnten, wenn die Schrift auf dem Becher verwischt. Die Frau Doktor hat sich aber von all der Pechtl-Schlaumeierei nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ich an ihrer Stelle hätte dem Pechtl empfohlen, sich eine andere Allgemeinärztin zu suchen. Aber da ist meine Chefin tough. Man geht Problemen nicht aus dem Weg, man geht sie an, ist ihr Grundsatz. Also hat sie die Putzfrau gewechselt, drei Stühle mehr ins Wartezimmer gestellt und einen wasserfesten Edding zu den Pieselbechern gelegt. Solche Wichtigtuer gibt es immer, sagt sie. Ist es nicht der Pechtl, dann eben ein anderer.

      Die Wunde ist versorgt; meine Chefin rollt schweigend den restlichen Verband auf und fixiert ihn mit einer Klemme. Irgendwas liegt ihr auf der Zunge, das merk ich genau. Wie eine Henne kurz vor dem Eierlegen druckst sie herum, nimmt Anlauf und lässt es dann doch wieder.

      »Bei einigen Herzinfarkten, die ich im Lauf der letzten Jahre hier in der Gemeinde miterlebt habe, war er … wie soll ich sagen?«

      »Der Auslöser?«, souffliere ich. Sie schüttelt den Kopf und sucht nach einer entschärfteren Formulierung.

      »Sagen wir so: Er ist im Leben der Betroffenen öfter aufgetaucht, als es denen gutgetan hat.«

      »Soll heißen?«

      »Bei Bluthochdruckpatienten fehlt oft nicht viel zum Infarkt. Jede zusätzliche psychische Belastung oder Aufregung kann sich extrem negativ auswirken; das können auch Personen sein.« Sie wickelt weiter und meidet meinen Blick. »Wie der Pechtl.« Schweigen. Ich starre auf mein verbundenes Bein und grüble über die Hauptrollen der letzten Begräbnisse. So sehr die Frau Doktor auch um den heißen Brei herumredet: Der Pechtl hat ein paar Leute ins Grab gebracht. Indirekt, aber trotzdem.

      Seit seiner Pensionierung nimmt er sich als Dorfsheriff wichtig. Er sieht sich als Arm des Gesetzes, als Clint Eastwood vom Untersberg.

      Ein über den Zaun wucherndes Asterl, ein schlecht gesichertes Baustellengerüst, ein unbeleuchtetes Fluchtwegschild: Pechtl-Superman kommt angedüst und gschaftelt. Als ehemaliger Jurist kennt er das Gesetz, verfasst mahnende Schreiben und zeigt ungehorsame Bürger an.

      Die Frau Doktor scheint meine Gedanken lesen zu können. »Der Pechtl hält seinen Gerechtigkeitssinn für gottgegeben und entschuldigt damit alles, was er anrichtet. Wahrscheinlich hat er sich seinen blöden Othello zugelegt, weil er schon so oft bedroht worden ist.«

      »Echt? Von wem?«, will ich wissen. Aber die Frau Doktor steht von ihrem Stuhl auf und reißt energisch ein Blatt von ihrem Rezeptblock; Thema beendet. »Du brauchst Ruhe! Nimm dir morgen frei, die Herta springt für dich ein.«

      Herta. Der ausrangierte, Pardon, pensionierte Vorzimmerdrachen. Sie war schon Arzthelferin und Sekretärin beim Vorgänger meiner Chefin, gehörte quasi zum Inventar und wurde von der Frau Doktor in Bausch und Bogen übernommen. Zusammen mit dem alten Wasserkocher, den Arzneimittelschränken und einem wackeligen Sessel aus dem Wartezimmer. Herta ist eine Schreibtischdiva der alten Schule, fast schon eine schützenswerte Art.

      Wir