Katharina Eigner

Salzburger Rippenstich


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Herta lässt das Telefon 20-mal klingeln, bevor sie abhebt. Auch wenn sie danebensitzt. Den Zeitpunkt für das Gespräch bestimmt sie und nicht der Anrufer. Sie vergibt Termine nach einer Sympathieskala: Antipathie proportional zur Wartezeit. Irgendwann hat sich die Frau Doktor über sinkende Patientenzahlen gewundert und Fragebögen in den Wartezimmern ausgelegt. Das Ergebnis muss nicht näher erläutert werden. Jedenfalls leite ich seitdem die Geschicke am Terminkalender. Herta kommt nur mehr als Aushilfe zum Zug.

      Die Anzeige, die wir nach dem Praxisbesuch noch gegen den Pechtl erstattet haben, war zeitraubend, aber nötig. Irgendwie passt das nicht zusammen, finde ich. Warum nimmt der Dorfsheriff seinen eigenen Hund nicht an die Leine? Komisch.

      Das Liegen am heißen Kachelofen macht mich schläfrig und meine Augenlider schwer. Vielleicht ist es auch das Schmerzmittel, das mir die Frau Doktor verabreicht hat. Gedanklich bin ich beim klugscheißenden Pechtl und seiner Bestie. Vielleicht hat er den Hund normalerweise angeleint, ihn aber aus irgendeinem Grund frei laufen lassen. War ich einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort? Ausgelöst hat den Biss jedenfalls das falsche Wort. Othello hat es als Kommando aufgefasst und sofort befolgt. Ich versuche mich zu erinnern, ob der Pechtl überhaupt eine Leine gehalten hat … War sie um seine Hüfte geknotet, damit sie ihn beim Laufen nicht stört? Oder über seine Schulter gehängt …? Nein. Sieg der Schwerkraft über meine Augenlider. Und dann, kurz bevor der Gedankenstrudel mich in den Schlaf reißt, habe ich eine göttliche Erscheinung: meine Schwiegermutter.

      Niemand wird seinem Namen gerechter als sie. Hermine. Weiblicher Hermes. Also die Götterbotin. Die den Sterblichen Nachrichten überbringt. Und im Überbringen von Botschaften ist Hermi unschlagbar. Top informiert und schneller als das Licht, genau wie der Kollege mit den Flügelschuhen.

      »Der Fischer Xaverl ist mir hinter dem Schlossberg begegnet.«

      »Das ist nichts Neues, Oma.« Um meine älteste Tochter Susi zu beeindrucken, braucht’s mehr als den Fischer Xaverl. Der sympathische Mittsiebziger mit der roten Jacke absolviert täglich seine Runde um den Glanegger Schlossberg. Genau wie Hermi. Und das schon seit Jahren, nur in entgegengesetzter Richtung zu meiner SchwiMu. Am Kreuzungspunkt, also beim Aufeinandertreffen der beiden, kommt es zum wortreichen Nachrichtenaustausch, ebenfalls seit Jahren. So gesehen ist der tägliche Spaziergang für beide eine Bereicherung.

      Den Einwand ihrer Enkelin ignoriert meine Schwiegermutter komplett. Sie setzt sich zu mir auf die Ofenbank und wartet, bis die Blicke aller Familienmitglieder auf sie gerichtet sind. Und dann … Showtime!

      »Was mir der Xaverl erzählt hat, ist was Neues! Es gibt eine Leiche! In Fürstenbrunn!«

      »Geh!« Laurenz winkt verächtlich ab und verschwindet in der Küche. Ende der Aufmerksamkeit.

      Hermi lässt sich nicht beirren. »Doch! Am Glan-Ufer, kurz vor der Grenze zu Wals. In der Nähe der Autobahn.« Dann dreht sie sich zu mir um. »Deine Laufstrecke, oder?«

      Ich nicke zwar, aber an eine Leiche in Fürstenbrunn kann auch ich nicht recht glauben. Leichen kennt man vom Fernsehen, aus Kriminalromanen, aus der Zeitung. Salzburg ist nicht unbedingt ein krimineller Hotspot, muss man wissen. Umso weniger das beschauliche Fürstenbrunn, wo sich Wohnblocks und Reihenhäuser aneinanderquetschen, wo die Winter schattig und die Grundstücke teuer sind. Wo der Kirchenchor veraltet und der Ausländeranteil niedrig ist. Wo man sich bei der Mutter-Kind-Gruppe, beim Seilziehen oder beim Adventkranzbinden trifft. Wo auf den Maibaum gekraxelt, Fastensuppe ausgeschenkt und Wettbewerbe im Gummistiefel-Weitschmeißen abgehalten werden. Hier soll eine Leiche liegen?

      »Und woher weiß der Xaverl das?«, hakt Susi nach.

      Hermi lässt sich nicht stressen, sondern zuckt gelassen mit den Schultern. »Er hat halt wieder seine Runde gedreht. Und während unseres ›Nachrichten-Updates‹ sind die Polizei und der Leichenwagen an uns vorbeigefahren.«

      Also ist es doch nicht nur leeres Gefasel? Plötzlich bin ich hellwach, meine Müdigkeit hat sich verzogen. Ein Leichenwagen fährt schließlich nicht grundlos in Fürstenbrunn spazieren.

      »Der Xaverl ist jeden Tag zur selben Zeit unterwegs. Er hat’s mit dem Herzen, drum hat ihm die Frau Doktor Fleischer Bewegung an der frischen Luft verordnet. Wenn er sich nicht jeden Tag bewegt, liegt er bald ein paar Meter tiefer, hat sie gesagt. Er soll sich etwas suchen, was ihm Spaß macht, aber nichts Anstrengendes.« Dann zählt sie uns sämtliche Freiluftsportarten auf, die der Xaverl nicht ausüben kann: Mountainbiken, Fußball, Tennis, Rudern, Klettern, Skifahren.

      »Sex«, flüstert sie geheimnisvoll und schaut in die Runde, aber das erwartete Interesse unsererseits bleibt aus. Einen rotgesichtigen Xaverl, der mit künstlichem Hüftgelenk mühsam auf seiner Partnerin vor- und zurückschaukelt und sich im Augenblick höchster Ekstase schmerzerfüllt an die Brust greift, will sich keiner von uns vorstellen. Also kehrt sie zum eigentlichen Thema zurück.

      »Der Xaverl ist ein Sparmeister. Also hat er sich fürs Spazierengehen entschieden: Das kostet nix und tut ihm gut. Wobei … in letzter Zeit hat ihm sein Fersensporn ganz schön zu schaffen gemacht.«

      »Keine Sau interessiert sich für den Fersensporn vom Xaverl!« Der Geduldsfaden meines Mannes ist heute extradünn, sein Ton gereizt. Schuld daran sind die Pläne für einen Neubau, die er heute noch fertigzeichnen sollte; der Laurenz ist Architekt und massiv unter Zeitdruck. »Du hast was von einer Leiche gesagt!«

      »Aber genau wegen dem Fersensporn hat der Xaverl ja die Leiche entdeckt! Heute, zum ersten Mal seit einem halben Jahr, hat er wieder den großen Rundweg geschafft!«, rechtfertigt sich Hermi.

      »Der Xaverl hat die Leiche gefunden?« Ich bin platt. »Und das hat sein Herz verkraftet?«

      »Geh, wegen dem bisserl Blut! So ein Weichei ist er auch wieder nicht. Er wollte sogar noch Erste Hilfe leisten, aber der Tote …«

      »Also eine männliche Leiche?«, fragt Susi. Hermi nickt zufrieden. Jetzt endlich hat sie uns da, wo sie uns haben will: Es ist mucksmäuschenstill, alle hängen an ihren Lippen und warten gebannt auf Fortsetzung. Meine Schwiegermutter holt tief Luft, um die Spannung nicht durch unnötige Atempausen zunichtezumachen. Aber Laurenz nimmt ihr den Wind aus den Segeln.

      »Mama, ist dir bewusst, dass du mit deinem Getratsche vielleicht sogar Polizeiarbeit behinderst? Womöglich suchen die schon nach einem Mörder, und du bringst Insider-Infos in die Nachrichtenumlaufbahn.«

      »Geh, jetzt hörst aber auf!«, ist Hermi entrüstet. Sie schaut trotzig und verschränkt die Arme unter der Brust, wobei sie selbige hochhebt. »Was soll denn da hinderlich sein? Ich sag ja nur weiter, was ich selber erfahren habe!«

      »Eben.« Laurenz kennt das Stille-Post-Spiel seiner Mutter nur zu gut. Am Ende kommt immer etwas anderes heraus als das, womit es angefangen hat.

      »Alles, was ich weiß, hat mir der Xaverl selber gesagt. Meine Informationen sind aus erster Hand, quasi pressfrisch. Schließlich hat ja er die Leiche gefunden und nicht die Polizei. Und überhaupt: Mörder! Wer sagt denn, dass das kein natürlicher Tod war, ha? Nur weil der arme Kerl einen zerdepschten Hinterkopf gehabt hat. Und selbst wenn’s ein Mord war: Kommunikation hilft mehr, als dass sie schadet, das sag ich euch! Zuerst einmal muss man herausfinden, wer der Tote ist, und da ist jeder noch so kleine Furz an Information wichtig!«

      Sie lässt uns an den ihr bekannten Informationsfürzen teilhaben: der Tote, entdeckt vom Fischer Xaverl, war ein muskulöser Kerl, noch ganz jung. Ewig schad um ihn. Weder Hermi noch Xaverl haben ihn zuvor irgendwo gesehen. Bekleidet mit Jeans und T-Shirt, auf dem ein komischer Schriftzug war. Abgearbeitete Hände, auffallend große Füße. Für den eingeschlagenen Schädel hat Hermi bereits eine Theorie: »Der ist sicher gestolpert und ganz blöd gefallen.« Sonnenklar, Fall gelöst. Zumindest, wenn es nach meiner Schwiegermutter geht.

      »Im Fernsehen machen sie doch auch nichts anderes. Wie heißt die Sendung, wo man anrufen kann, wenn man sich an irgendwas erinnert …?«

      »Aktenzeichen XY.«

      »Genau.« Hermi nickt meinem Sohn Max dankbar zu. »Also bei Aktenzeichen XY, da ist jeder Hinweis wichtig! Mithilfe dringend erbeten!« Sie reckt ihrem Sohn triumphierend das