Das Tor öffnete sich augenblicklich, Mira schwang sich wieder hinter das Steuer und fuhr grinsend, als habe sie eine Schlacht gewonnen, hindurch. Der Hausherr erwartete sie bereits am Eingang, elegant wie zuvor, und begrüßte sie lächelnd.
»Frau Hauptkommissarin, was kann ich für Sie tun?«
»Wo ist Frauke Thomas?«
Herr Bornfeld wollte gerade zu einer Entgegnung ansetzen, als aus dem Haus eine empörte Stimme erklang und Sekunden später Verena Bornfeld an der Haustür erschien.
»Verschwinden Sie von unserem Grundstück!«, schnauzte sie, doch ihr Mann beschwichtigte sie mit sanften Worten.
»Die Herrschaften sind von der Polizei, Liebes. Sie suchen unsere Nichte, Frauke Thomas.«
So den Wind aus den Segeln genommen, schluckte Verena einmal kräftig und meinte noch immer leicht empört:
»Da kommen Sie zu uns! Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen.«
»Falsch!«, fuhr Weller dazwischen.
»Frau Thomas behauptet Sie in den Dünen am Strand gesehen zu haben.« Schnippisch zuckte Verena mit den Schultern.
»In den Dünen? Ich war seit Jahren nicht dort. Das kann nur ein Irrtum sein.«
Sie schaute von einem zum anderen, nickte ihrem Mann zu und verschwand mit schnellen Schritten im Haus. Bornfeld malte ein undefinierbares Bild mit der Schuhspitze in den Kies, zuckte mit den Schultern und seufzte:
»Wir können Ihnen leider nicht weiterhelfen.«
Ohne sich weiter um die Beamten zu kümmern, ging auch er hinein und warf die Tür hinter sich zu.
»Eine Unverschämtheit ist das!«, schnaubte Mira.
Weller stieg ohne ein Wort in den Wagen; nach kurzem Zögern tat sie desgleichen und fuhr langsam davon. Kaum im Wagen piepte Wellers Handy. Seine Schwester war am Apparat und erklärte aufgeregt, sie habe den Leihwagen von Frau Thomas vor einem Einkaufsmarkt gesehen. Wenig später standen die Beamten etwas ratlos vor dem Fahrzeug. Mira Wiedemann beäugte es von allen Seiten und informierte die Spurensicherung sowie den Autovermieter.
Sie war fest eingeschlafen, ein leises Geräusch an der Tür ließ sie erschreckt auffahren und augenblicklich wusste sie wieder, wo sie sich befand. Unhörbar setzte sie sich auf und starrte in den Raum. Es war dunkel, das Fenster zeichnete sich schwach vom Weiß der Wand ab.
Nur wenige Sekunden und ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Ein Schatten bewegte sich auf sie zu, instinktiv rollte sie sich zur Seite. Eine Taschenlampe flammte auf, irritiert blickte sie in den hellen Lichtkegel.
»Komm«, flüsterte der Mann, »schnell.«
Er schärfte ihr ein, leise zu sein, zog sie an der Hand zur Tür. Sie wich zurück, griff ihre Tasche, die sie neben sich aufs Bett gelegt hatte, und folgte ihm hinaus. Diesmal nahmen sie nicht den Fahrstuhl, sondern die Treppe. Fast geräuschlos glitten sie hinunter. Erst als er die schwere Haustür sanft hinter sich ins Schloss zog, atmete er auf und flüsterte:
»Ich bringe dich zu mir.«
Jetzt erst erkannte sie Friedrich Lust und blieb erstaunt stehen.
»Wie kommst du denn hierher?«
Ohne ihre Frage zu beantworten, griff er ihren Arm und raunte:
»Die Gefahr ist noch nicht vorüber.«
In diesem Moment ertönte ein Alarm. Ohne sie loszulassen, rannte er durch das Gebüsch bis zu der hohen Mauer, fasste ein Seil und kommandierte.
»Da hoch, schnell.«
Überall gingen Scheinwerfer an und tauchten den Garten in helles Licht. Sie wurden nur durch ein Gebüsch geschützt. Frauke zögerte eine Sekunde, krallte dann ihre Hände in das Seil und schwang sich mit Frieds Hilfe auf die Mauer. Er folgte ihr, und kaum waren beide oben, knallten Schüsse durch das Gebüsch. Ohne nachzudenken rutschten sie an der anderen Seite der Mauer hinunter auf die Straße. Fraukes Hände bluteten, ihre Hose hatte einen Riss, doch Fried zog sie mitleidslos weiter an einem Wagen vorbei in die nächste Seitenstraße. Jetzt erklang Hundegebell, noch im selben Moment hielt Fried ihr die Tür seines Wagens auf, und kaum eingestiegen, fuhr er mit quietschenden Reifen davon. Im Rückspiegel sah er, wie ein schwarzer Hund wild kläffend am Tor der Bornfelds emporsprang. Frauke hatte sich tief in den Beifahrersitz geduckt und schluchzte leise vor sich hin.
»Ist doch gut gegangen«, beruhigte er sie.
»Wie hast du mich gefunden?«
Er antwortete nicht und konzentrierte sich ganz auf den Straßenverkehr. Eine Stunde lang fuhren sie durch die Nacht, dann hielt er an einem kleinen Holzhaus. Beim Aussteigen hörte Frauke das Meer rauschen und sah, wie das Mondlicht die See in silbriges Licht tauchte.
»Wo sind wir hier?«, flüsterte sie.
»In Sicherheit.«
Er öffnete eine Holztür und machte Licht. Sie befanden sich in einem kleinen Wohnraum und Frauke betrachtete die liebevoll zusammengestellten Möbel aus hellem Holz.
»Möchtest du etwas essen?«
Sie schüttelte den Kopf. Er holte zwei Flaschen Bier, schüttete ihr ein Glas ein und trank selbst aus der Flasche.
»Ich kann auch aus der Flasche trinken. Meine Freunde haben bei unseren Partys draußen immer aus der Flasche getrunken.«
Sie lächelte ihn an. Ein dunkles, dankbares Lächeln. Nachdem sie beide den Durst gelöscht hatten, zeigte er ihr das Schlafzimmer. Sie zögerte.
»Wo schläfst du?«
»Im Wohnzimmer, auf der Couch.«
In einer plötzlichen Eingebung legte sie ihm die Hände in den Nacken, zog seinen Kopf zu sich heran und küsste ihn. Ein kühler Schauer fuhr durch seine Glieder, er fasste um ihre Taille und erwiderte den Kuss, dass es ihr den Atem nahm. Frauke ließ ihn gewähren, drängte sich an ihn. Seine Nähe, seine Wärme, sie brauchte das jetzt. Langsam mit zitternden Fingern fuhr sie unter sein T-Shirt.
Der Mond schien durch die Sprossenfenster auf das Bett und die beiden jungen Menschen vergaßen alles um sich herum.
Der Anrufbeantworter blinkte, als Mira Wiedemann gähnend ins Büro kam.
»Frauke Thomas ist in Sicherheit!«
Mehr war auf dem Band nicht drauf. Fluchend steckte Mira sich eine Zigarette an und warf sie gleich wieder in den Ascher. Der Arzt hatte ihr dringend geraten, sich das Rauchen abzugewöhnen. Momentan fiel es ihr besonders schwer. Vor sich hin brummelnd sank sie in ihren Drehstuhl und wählte die Nummer ihres Assistenten. Thorben Weller meldete sich verschlafen, war aber sofort hellwach, als sie ihn mit den neuesten Ereignissen konfrontierte und stand kaum eine halbe Stunde später vor ihrem Schreibtisch.
»Wer hat die Info abgegeben«, erkundigte er sich aufgeregt.
»Kein Name angegeben. Ich denke, das ist eine schöne Aufgabe für Sie.«
Weller, der sich persönlich für Frauke Thomas verantwortlich fühlte, seit er sie bei seiner Schwester untergebracht hatte, machte sich gleich an die Arbeit, und schon nach einer Stunde hatte er den Sprecher ermittelt.
»Die Handynummer gehört zu Friedrich Lust. Er muss die Thomas entführt haben.«
»Konnten Sie feststellen, von wo er angerufen hat?«
Weller schüttelte den Kopf.
»Trotzdem bin ich sicher, dass wir sie bald finden, denn Lust besitzt ein Wochenendhaus im Vogelschutzgebiet.«
»Ach.« Mira staunte nicht schlecht. »Woher wissen Sie das?«
»Alte Geschichte. Stand vor zwei, drei Jahren in der Zeitung. Er hatte das Grundstück geerbt und man wollte die Hütte abbrechen lassen, er hat sich gerichtlich dagegen gewehrt und Recht bekommen.«
Mira schüttelte den Kopf.
»Manche