wollen Sie eigentlich hinaus?«
Weller setzte sich aufrecht, und Mira hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass er sich einer Sache wirklich widmen konnte.
»Die Briefe sind an einen Mann gerichtet, warum hat er seine Briefe nicht einfach vernichtet, warum übergab er sie Larissa Norton?«
»Von der Seite habe ich die Sache noch gar nicht betrachtet, aber Sie haben recht.«
Mira sah ihn anerkennend an und Thorben schloss weiter:
»Vielleicht hat die Norton diese Briefe entwendet, um die Schwestern gegeneinander auszuspielen.«
Mira verfolgte die Idee weiter.
»Weil beide denselben Mann liebten, gerieten sie in Streit, der bis heute anhält.«
Nach kurzem Nachdenken schüttelte Mira den Kopf.
»Unmöglich, da muss es etwas anderes geben. Beide Schwestern haben geheiratet und ein Kind vom ihrem Mann, da bringt man sich doch nicht gegenseitig um.«
»Und wenn doch?«
»Fahren Sie raus und vernehmen Sie die Thomas noch einmal. Ich werde versuchen diese Frau Bornfeld zu erreichen.«
Ein Schatten fiel über den Eingang des Strandkorbs, ein blanker Gegenstand blinkte in der Sonne, und Frauke schrak auf.
»He, Sie da! Was machen Sie da?«
Eine herrische Stimme erscholl, jemand lief davon, und ein bärtiges Gesicht über einer blaugelben Wetterjacke lugte in ihren Strandkorb. »Ist Ihnen nicht kalt, Frollein?«
Die gutmütige Stimme des Strandwächters verscheuchte die Angst aus ihrem Gesicht, und sie lächelte.
»Ich packe schon zusammen.«
»Was wollte denn der junge Mann von Ihnen?«, erkundigte sich ihr Retter.
»Ich weiß nicht, Sie haben ihn verscheucht.«
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass jemand sich unbemerkt ihrem Strandkorb genähert hatte.
»Is och man gut so, Frollein.«
Ohne ein weiteres Wort packte Frauke ihre Sachen und radelte davon. An ihrer Pension wurde sie von einem Beamten der Kripo erwartet, der sie noch einmal zu dem Tod ihrer Tante vernahm. Um den neugierigen Augen der Wirtin zu entgehen, bat sie ihn auf ihr Zimmer.
»Hier sind wir ungestört. Gibt es neue Erkenntnisse?«
Sie sah Thorben Weller fragend an. Weller wurde rot, er hatte sich die junge Frau ganz anders vorgestellt, nicht so attraktiv, und diese dunklen Haare mit den großen, grauen Augen machten ihn nervös.
»Wir sind noch in den Ermittlungen«, erklärte er und erkundigte sich: »Hatte Ihre Tante Feinde?«
Unwillig riss Frauke die Augen auf.
»Das hat Ihre Kollegin mich schon gefragt, nein.«
»Sie haben uns Briefe überlassen. Wie kam Ihre Tante in deren Besitz?«
»Es waren Briefe meiner Mutter. Fotos waren auch dabei, die habe ich mitgenommen. Sie sind noch im Auto.«
»Könnte ich sie mir ansehen?«
Weller beobachtete sie bei diesen Worten genau, aber sie willigte sofort ein.
»Ich hole sie.«
Ohne zu zögern stürmte sie davon und kam Sekunden später etwas außer Atem zurück, ein kleines Lederköfferchen in der Hand.
»Hier ist alles drin.«
Der Koffer war leer bis auf die erwähnten Fotos. Weller blätterte sie durch und legte sie zur Seite.
»Darf ich mir den Koffer einmal ansehen?«
»Warum nicht«, antwortete sie gleichgültig und holte eine Mineralwasserflasche aus dem Kühlschrank.
»Möchten Sie auch ein Glas?«
Weller nickte, ohne sie anzusehen, und glitt mit seinen Händen über das Leder des Koffers. In seinem Innern stiegen Bilder von Geheimfächern und doppelten Böden auf, er war fasziniert von dem geschmeidig glatten, hellbraunen Leder, und seine Gedanken arbeiteten fieberhaft. Frauke schaute erstaunt zu, wie er plötzlich eines der Schnappschlösser drehte und sich der Deckel an der Seite anhob und nach Drehung des zweiten Schlosses ganz aufzuklappen war. Ein großer, brauner Umschlag kam zum Vorschein. Frauke hatte seine Untersuchung mit Misstrauen verfolgt und entriss ihm den Umschlag, bevor er auch nur einen Blick darauf werfen konnte.
»Dieser Umschlag geht Sie nichts an!«, giftete sie, insgeheim dankbar, aber das musste er nicht wissen.
»Wie Sie wünschen«, ergab sich Weller frostig in das Unvermeidliche.
Frauke überlegte mit gerunzelter Stirn, wie sie ihn loswerden konnte.
»Ich denke, ich habe alles gesagt. Sollte sich für die Polizei etwas Neues ergeben, werde ich mich umgehend bei Ihnen melden, Herr Kommissar.«
Notgedrungen erhob sich Weller und verabschiedete sich.
Kaum hatte er das Zimmer verlassen, verschloss Frauke die Tür und öffnete den Umschlag.
II
Vergeblich hatte Hauptkommissarin Wiedemann versucht, Verena Bornfeld zu erreichen, auch Herr Bornfeld war in Deckung gegangen und ließ durch sein Hausmädchen melden, dass er verreist sei. Verärgert sprang Mira in ihren Wagen und wollte gerade das Grundstück verlassen, als ein kleines sportliches Auto an ihr vorbeizischte, dass der Kies knallende Geräusche an ihrem Lack verursachte. Wutschnaubend setzte sie zurück, direkt hinter den Verursacher, sprang aus dem Wagen und schrie:
»Was fällt Ihnen ein, hier solch ein Tempo vorzulegen? Sie haben meinen Lack beschädigt!«
Die rothaarige Fahrerin stieg betont lässig aus, was Mira erst recht zum Kochen brachte, nahm ihre Sonnenbrille ab, warf einen abschätzenden Blick auf den Golf und erklärte hochnäsig:
»Bei der alten Karre ist ohnehin ein neuer Anstrich fällig, außerdem befinden Sie sich hier auf einem Privatgrundstück!«
Mira Wiedemann blieb vor Empörung die Stimme weg, und als sie sich endlich gefasst hatte, war die junge Frau schon im Haus verschwunden. Verärgert klingelte sie Sturm; als das Hausmädchen erschien, schob sie es zur Seite und stürmte in die Halle. Stella Bornfeld wollte gerade mit Schwung die Treppe nehmen, als sie den Tumult an der Haustür mitbekam und Frau Wiedemann hereinkommen sah. Augenblicklich drehte sie sich um und schrie:
»Was fällt Ihnen ein!«
Die Beamtin hatte ihre Fassung wieder gefunden.
»Wiedemann, Kripo, ich habe ein paar Fragen an Sie!«
Überrascht kam Stella Bornfeld zurück.
»Sie wollen mich doch wegen dieser Lächerlichkeit nicht verhaften?«
»Es geht um ihre Tante. Sie sind doch die Tochter von Verena Bornfeld, nicht wahr?«
»Sie haben es erraten, ich heiße Stella. Tante? Welche Tante?«
»Larissa Norton, eine Schwester Ihrer Mutter.«
Stella kräuselte die Stirn, dann lächelte sie.
»Ach die, sie wohnt in Bielefeld, nicht wahr. Was ist mit ihr?«
»Sie wurde nur wenige Kilometer von hier ermordet aufgefunden. Hat Ihr Vater nichts gesagt?«
Sichtlich geschockt schüttelte Stella den Kopf.
»Wie entsetzlich. Wissen Sie, wer es war?«
Mira verneinte.
»Es gibt keine verwertbaren Spuren des Täters. Vielleicht können Sie mir sagen, ob Ihre Tante jemanden in Hooksiel, dort wurde sie ermordet, oder in Wilhelmshaven aufsuchen wollte.« Stella war blass.
»Ich