Gisela Garnschröder

Larissas Geheimnis


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war später Nachmittag, als Frauke Richtung Norden aufbrach, das Geld der Tante hatte sie sicherheitshalber eingesteckt, um den Rest ihres Urlaubs in Friesland zu verbringen.

      Das Fax spuckte eine Mitteilung aus, die Mira Wiedemann wieder einmal bestätigte, dass ihr Anwärter schusselig gearbeitet hatte. Die Beamten aus Bielefeld meldeten einen Einbruch in die Eigentumswohnung von Larissa Norton. Fingerabdrücke, Einbruchspuren: Fehlanzeige, und das Merkwürdigste, Geld und Schmuck waren unangetastet geblieben. Es wurde höchste Zeit, die Schwester der Norton aufzusuchen. Mira hatte im Standesamt die Geburtsurkunden überprüft und festgestellt, dass die Nortonzwillinge 1958 am dritten August geboren waren und Waltraud Norton im Jahre 1982 den Biologen Werner Thomas geheiratet hatte. Verena Norton hatte im selben Jahr den Kaufmann Karsten Thilo Bornfeld geehelicht. Nach ihren Ermittlungen wohnten die Bornfelds in einer Villa am Stadtrand von Wilhelmshaven und hatten eine Tochter. Bornfeld galt als wohlhabend, womit er sein Geld verdiente, war ihr nicht bekannt.

      Zwei Stunden später stand sie mit Thorben Weller vor einem eisernen Tor und betätigte die Klingel. Aus der Gegensprechanlage ertönte eine weibliche Stimme: »Sie wünschen, bitte?«

      »Kripo Wilhelmshaven, können wir Herrn Bornfeld sprechen?«

      Das Tor öffnete sich fast lautlos und der Hausherr erschien, im eleganten Nadelstreifen mit passender Krawatte zum hellblauen Hemd. Mira zeigte ihren Ausweis und erklärte:

      »In der letzten Woche wurde in Hooksiel eine Larissa Norton mit durchschnittener Kehle aufgefunden. Kennen Sie die Frau, Herr Bornfeld?«

      Bornfeld, schlank, fast hager, mit für sein Alter dichtem, mittelblondem Haar, welches von einigen Silberfäden durchzogen war, wurde bleich:

      »Larissa? Tot? Wie entsetzlich!«

      »Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.« Mira lugte durch den Türspalt und fuhr fort: »Können wir hereinkommen?«

      Bornfeld zögerte einen kurzen Moment, bevor er antwortete:

      »Natürlich, kommen Sie.«

      Die Beamten traten in eine Halle mit stuckverzierter Decke und dem Charme einer vergangenen Epoche. ‚Die Restaurierung dieser Halle muss ein Vermögen gekostet haben‘, dachte Mira und nahm in einem Sessel Platz, der in der Ecke unterhalb einer geschwungenen Treppe stand.

      »Rita«, rief der Hausherr. Wie von Geisterhand schwang eine Tür auf. Eine junge Frau in einem adretten Westenkostüm mit weißer Bluse erschien knicksend:

      »Haben Sie einen Wunsch, Herr Bornfeld?«

      »Bringen Sie bitte etwas zu trinken. Wasser?«

      Ein fragender Blick, Mira nickte zustimmend.

      »Also Wasser für die Herrschaften, mir bringen Sie bitte einen Bourbon.«

      Sie hatten sich nur kurz aufgehalten. Bornfeld berichtete von einem Zerwürfnis der Schwestern, konnte allerdings den Grund nicht angeben. Seine Frau befand sich außer Haus und so blieb den Polizeibeamten nichts anderes übrig, als sich für einen späteren Zeitpunkt anzumelden.

      »Irgendwo habe ich den Mann schon gesehen«, erklärte Mira, als sie wieder im Wagen saßen. Thorben Weller zuckte gleichgültig mit den Schultern.

      »Wie ein Mörder sah er jedenfalls nicht aus.«

      Mira warf ihm einen verständnislosen Blick zu und bog in die nächste Seitenstraße ein.

      Die Wirtin hatte das Zimmer für sie frei gehalten, und Frauke packte schnell ihren Koffer aus, lieh sich ein Rad, fuhr an den Strand und mietete sich einen Strandkorb. Sie hatte den Umschlag mitgenommen, den sie im Safe der Tante gefunden hatte. Das Familienbuch hatte sie zurückgelassen. Es enthielt die Heiratsurkunde der Eltern ihrer Mutter und die Geburtsurkunden der Zwillingsschwestern und von Larissa. In dem Umschlag befanden sich Zeitungsausschnitte, das Foto ihrer Mutter und einige Unterlagen, alte Rechnungen, handgeschriebene Notizen, die zu sichten längere Zeit in Anspruch nehmen würde. Die Zeitung war gut dreizehn Jahre alt und zeigte das verbeulte Auto, mit dem ihr Vater tödlich verunglückt war. In dem Artikel wurde die Unfallursache mit Bremsversagen angegeben. Da es sich um einen fabrikneuen Wagen handelte, war laut Polizeibericht von einer Manipulation am Fahrzeug ausgegangen worden, diese Vermutung konnte aber trotz gründlicher Untersuchung nicht belegt werden. Frauke las den Artikel zweimal. Niemals hatte ihre Tante davon gesprochen, dass ihr Vater einem Anschlag zum Opfer gefallen war. Und wenn es so war? Wer steckte dahinter? Und warum? Hatte der Einbrecher in Larissas Wohnung diese Unterlagen gesucht?

      Kalt lief es Frauke über den Rücken, und sie spürte die Gefahr fast körperlich. Vorsichtig lugte sie aus dem Strandkorb hervor, nur wenige Menschen, hauptsächlich Familien mit Kleinkindern waren am Strand, die Ferien hatten noch nicht begonnen, und nur vereinzelt waren die Strandkörbe besetzt. Kinder liefen zum Wasser, die Flut hatte eingesetzt, besorgte Eltern liefen ihren Sprösslingen nach, Lachen und Schreien gingen unter im stetigen Auf und Ab der Wellen. Frauke wäre so gern hinausgelaufen mit dem Wind um die Wette, aber die Unterlagen brannten in ihrer Hand und verlangten ihre ganze Aufmerksamkeit. Ihre Angst war schnell wieder verschwunden, eingekuschelt in die windgeschützte Wärme des Strandkorbs fühlte sie sich vollkommen sicher. Ihre schwarzen, sorgfältig gezupften Brauen zusammengezogen, saß sie da mit angewinkelten Knien und vertiefte sich immer mehr in die Geschichte ihrer Familie.

      Eine sanfte Brise wehte ins Kommissariat, Mira Wiedemann holte tief Luft und trat ans Fenster, just in dem Moment stürmte Thorben Weller herein, und der Fensterflügel donnerte gegen ihren Kopf.

      »Autsch, verdammt!«

      Stöhnend rieb sie sich die schmerzende Stelle und fauchte:

      »Können Sie nicht vorsichtiger hereinkommen?«

      Weller grinste frech, schloss die Tür und hielt ihr ein Schriftstück unter die Nase.

      »Sie wollten umgehend informiert werden, Frau Wiedemann. Ein aktuelles Fax der Kollegen aus Bielefeld.«

      Seufzend nahm Mira das Schriftstück entgegen. Ein Einbruch in die Wohnung von Larissa Norton, keinerlei Hinweise auf den Täter, und nach Aussage der Nichte war nichts entwendet worden, Schmuck und Bargeld blieben unangetastet.

      »Interessant! Aber das gleiche Fax habe ich schon vorher bekommen. Nur nicht so ausführlich.«

      Mira rieb nachdenklich an ihrer Beule.

      »Es muss in dieser Familie etwas geben, was einen Mord rechtfertigt«, sinnierte Weller und Mira pflichtete ihm bei.

      »Nur, was?«

      Weller hatte sich in den Sessel gegenüber von Miras Schreibtisch geworfen und kritzelte auf seinem Stenoblock herum.

      »Wir müssen diese Frauke Thomas noch einmal vernehmen.«

      »Ist sie nicht in Bielefeld, ihre Tante beerdigen?«

      Weller schüttelte den Kopf.

      »Die Kollegen in Bielefeld haben mitgeteilt, dass sie gestern Nachmittag wieder an die Nordsee gefahren ist.«

      Mira blickte ihn anerkennend an.

      »Wie haben Sie denn das so schnell herausgefunden?«

      »Gut recherchiert.«

      Er grinste.

      »Sie wohnt in Hooksiel, in derselben Pension wie vorher.«

      Mira überlegte nur kurz.

      »Diesmal fahren Sie.«

      Weller grinste.

      »Meinen Sie, das ist eine gute Idee?«

      Mira funkelte ihn böse an.

      »Ein wenig Übung im Aushorchen tut Ihnen ganz gut.«

      »So schlecht bin ich auch nicht«, maulte Weller beleidigt und fuhr fort, »Ich habe mir die Briefe noch einmal angesehen. Hat die Thomas Ihnen gesagt, woher sie stammen?«

      Mira runzelte unwillig die Stirn.

      »Sagte ich das nicht bereits?