Gisela Garnschröder

Larissas Geheimnis


Скачать книгу

nicht verbieten dorthin zu gehen. Es ist meine Heimat. Außerdem habe ich dir zuliebe extra hier in Hooksiel gebucht.«

      Larissa Norton lachte gequält:

      »Das Wangerland ist für dich genauso gefährlich«, antwortete sie und knetete unruhig ihre Hände, als müsse sie ein Wischtuch auswringen, bevor sie leise weiter sprach:

      »Deine Mutter hatte eine Zwillingsschwester.«

      »Ach! Das erfahre ich jetzt, nach so vielen Jahren!«, fauchte Frauke böse.

      Larissa nickte.

      »Ich weiß es war nicht richtig, aber deine Mutter wollte auf keinen Fall, dass du es erfährst, ich habe es ihr versprochen.«

      »Mach dich nicht lächerlich, Larissa!«, schnaubte Frauke verärgert.

      »Seit deinem Anruf habe ich keine Ruhe mehr gehabt, solche Sorgen habe ich mir um dich gemacht.«

      Frauke sah wieder die Angst in den Augen ihrer Tante, schüttelte ärgerlich den Kopf und schaute aus dem Fenster.

      »Glaubst du etwa, ich breche zusammen, wenn ich es erfahre?«

      Larissa Norten lächelte nervös.

      »Daran habe ich eigentlich weniger gedacht.«

      Frauke wirbelte herum.

      »Verdammt, sprich nicht in Rätseln, darauf habe ich jetzt wirklich keine Lust.« Larissa erhob sich und ging zur Tür.

      »Ich habe dir etwas mitgebracht. Deine Mutter hat bestimmt, dass du es erst an deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag bekommst. So lange können wir nicht warten.«

      Frauke schaute ihrer Tante nach, die vorsichtig die Tür öffnete und erst nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand davor stand, hinaus ging. Belustigt folgte sie Larissa, die ihr unten im Eingang schon wieder entgegenkam, einen kleinen, braunen Lederkoffer in der Hand. Eilig schob Larissa ihre Nichte ins Zimmer und gab ihr das Köfferchen.

      »Diesen Koffer sollte ich dir geben, sobald du fünfundzwanzig bist, aber ich glaube, dann ist es zu spät.«

      Frauke nahm den Koffer auf den Schoß und versuchte die eingerosteten Schlösser zu öffnen.

      »Gibt es einen Schlüssel?«

      Larissa schüttelte den Kopf:

      »Nein.«

      Frauke holte ihr Taschenmesser, ein Geschenk von Andreas, und schon nach wenigen Minuten gaben die Schlösser nach. Briefe und alte Fotos fielen heraus. Ein Foto zeigte zwei Mädchen mit Zöpfen, lachend auf einem Pferd, sie glichen sich wie ein Ei dem anderen.

      »Waltraud und Verena verstanden sich sehr gut, sie waren immer zusammen, bis Verena vor gut fünfundzwanzig Jahren den Kaufmann Karsten Thilo Bornfeld heiratete.«

      »Mutter ist tot. Was hat sie gegen mich, deine Schwester?«

      Larissa hatte unentschlossen herumgestanden, schrak bei Fraukes Worten auf und sagte:

      »Das musst du schon selbst herausfinden. Ich muss zurück.«

      Frauke ließ den Koffer fallen, sprang auf und umarmte ihre Tante.

      »Tante Larissa, warum bleibst du nicht einfach hier? Wir gehen heute Abend essen und machen uns ein schönes Wochenende.«

      Larissa wehrte ab.

      »Ich muss noch heute zurück. Versprich mir, dass du nicht mehr nach Wilhelmshaven fährst.«

      Sie beschwor ihre Nichte eindringlich, was Frauke dazu veranlasste, lächelnd zu nicken.

      »Keine Sorge. Gute Heimfahrt!«

      Mit gemischten Gefühlen ließ Larissa die junge Frau zurück und stieg in ihren Wagen. Sie war kaum hundert Meter gefahren, als sich plötzlich in ihrem Rücken eine Stimme erhob, die das Blut in ihren Adern erstarren ließ.

      »Du hast unsere Abmachung verletzt, Larissa.«

      Larissa schwieg und steuerte einen Parkplatz an.

      Frauke betrachtete eine Zeit lang die Fotos, die fast immer die beiden Schwestern, manchmal mit, manchmal ohne Larissa zeigten, dann stellte sie den Koffer zur Seite, um sich zurechtzumachen. Keinesfalls wollte sie den Abend allein verbringen, nicht weil sie durch das ängstliche Getue ihrer Tante abgeschreckt worden war, sondern hauptsächlich, weil sie sich über Andreas geärgert hatte.

      Die Pizzeria war klein und gemütlich. Schon am Eingang kam ihr Fried mit strahlendem Lächeln entgegen.

      »Fein, dass Sie da sind«, begrüßte er sie fröhlich, und Frauke fühlte sich zum ersten Mal an diesem Tag wohl. Die Pizza war lecker, und sie tranken Pils dazu. Fried plauderte ununterbrochen über seine Urlaubsaktivitäten und lud sie für den nächsten Tag zu einer Wattwanderung ein.

      »Eigentlich wollte ich nach Wilhelmshaven, meine Tante besuchen«, erklärte sie, denn sie hatte sich vorgenommen, Larissas Warnungen zum Trotz, der unbekannten Schwester ihrer Mutter einen Besuch abzustatten.

      »Das können wir vorher machen. Wir fahren mit dem Rad vorbei«, bot Fried an und sie lachte kopfschüttelnd.

      »Der Besuch kann warten, ich komme morgen mit.«

      Sie verließen die Pizzeria kurz vor Mitternacht zu Fuß. Als sie einen Parkplatz passierten, wollte Fried einen parallel verlaufenden Fußweg benutzen, aber Frauke steuerte direkt auf eines der Autos zu und rief überrascht aus:

      »Schau nur, der Chevrolet meiner Tante! Mir hat sie gesagt, sie müsse sofort nach Hause.«

      Der Wagen stand etwas schief, erst beim Näherkommen sahen sie, dass die Tür nur angelehnt war. Fraukes Herz klopfte plötzlich unruhig, und sie griff unwillkürlich nach Frieds Hand, während er die Autotür öffnete. Die Frau hatte ihren Kopf auf das Lenkrad gelegt, ihre Hände hingen verkrampft hinunter. Sie schlief nicht, sie war tot.

      »Nein!«

      Fraukes Schrei gellte durch die Nacht, und dann sank sie in sich zusammen. Friedrich Lust griff nach seinem Handy, wenige Minuten später waren Polizei und Notarzt zur Stelle. Der Parkplatz wurde durch Scheinwerfer hell erleuchtet und nun erst sah man das Blut, welches aus der Fahrzeugtür nach außen sickerte. Larissa Norton lag mit durchschnittener Kehle auf dem Fahrersitz. Frauke war ohnmächtig geworden, sie erwachte im Krankenwagen, und ein junger Arzt sprach beruhigend auf sie ein. Sie setzte sich abrupt auf.

      »Larissa? Ist sie tot?«

      Der Arzt nickte und erkundigte sich:

      »Ist sie eine Verwandte von Ihnen?«

      Frauke nickte stumm. Eine ältere Dame lugte durch die Tür der Ambulanz und musterte Frauke. Ihr blondes Haar trug sie hochgesteckt und ein kurzes Lächeln huschte über ihr blasses, übermüdetes Gesicht, in dem hellblaue Augen kurz aufblitzten, als sie sich vorstellte.

      »Wiedemann, Kripo Wilhelmshaven.«

      Ihre Stimme war rau.

      »Raucherin«, dachte Frauke und sah den gelben Zeigefinger auf dem Dienstausweis in der rechten Hand. Die Kommissarin nahm Fraukes Personalien auf und stellte ihr Fragen, die Frauke so gut es ging beantwortete.

      »Hatte Ihre Tante Feinde? Kannte sie jemanden hier?«

      Frauke seufzte.

      »Ich weiß es nicht. Sie hatte Angst, aber ich weiß nicht warum.«

      Sie kletterte, ohne auf den Protest des Notarztes zu achten, aus dem Krankenwagen. Eine Mannschaft der Spurensicherung schwirrte um den Wagen ihrer Tante herum, und Fried stand ratlos, die Hände in den Hosentaschen vergraben, dabei. Die Kommissarin blies hastig einige Rauchkringel in die Luft, bevor sie sich wieder an Frauke wandte.

      »Sie sollten nach Hause gehen.«

      Sie reichte ihr noch eine Visitenkarte mit ihrer Telefonnummer und ging schnellen Schrittes zu ihren Kollegen. Fried kam, drückte stumm ihre Hand. Er hatte eine Taxe gerufen und brachte sie zu ihrer