Jan Heilmann

Lesen in Antike und frühem Christentum


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noch mit niedrigeren PreisenPreis rechnen.

      Bei Martial finden wir in den 80er Jahren des 1. Jh. die Angabe, dass man seine Xenien in Rom für vier SesterzenSesterze erwerben könne bzw. dass der BuchhändlerBuch-händler (bybliopola) Tryphon auch Gewinn machte, wenn er sie für zwei Sesterzen verkaufte (Mart.Martial 13,3). Diese Angabe deckt sich mit Evidenzen in den Quellen für Preisschwankungen und der Möglichkeit, mit Händlern den PreisPreis zu verhandeln,54 und belegt die Existenz deutlicher Handelsspannen im BuchhandelBuch-handel. Bei den Xenien handelt es sich um ein relativ kleines BuchBuch mit knapp 2000 Wörtern. Überträgt man diese Angaben hypothetisch auf die Länge z.B. des Markusevangeliums, das etwa 11.000 Wörter umfasst, dann käme man für ein äquivalent gestaltetes Buch auf einen ungefähren Preis von 11–22 Sesterzen (4 Sesterzen entsprechen 1 DenarDenar) für den Erwerb eines Markusevangeliums in Rom.55 Für die Luxusversion des etwa 5100 BuchstabenBuch-stabe umfassenden ersten Buches seiner Epigrammata56 (mit Bimsstein geglättet und mit Purpur eingebunden) gibt Martial an, man bekäme es im Buchladen von Atrectus gegenüber vom Caesarforum zu einem Preis von fünf Denaren, den Martial selbst für hoch gegriffen hält (vgl. Mart. 1,117).57 Dass Martials Angaben getraut werden kann und sich in seinen satirischen Ausführungen eine reale Situation des römischen BuchmarktesBuch-handel widerspiegeln, geht im Übrigen daraus hervor, dass Epiktet bezeugt, eine Schrift von ChrysipposChrysippos von Soloi könne man für 5 Denare kaufen (Epikt.Epiktet diatr. 1,4,16).

      Ein zu Martials erstem Buch seiner Epigrammata äquivalent ausgestattetes MkEvMk hätte etwas mehr als 10 DenareDenar (40 SesterzenSesterze), also etwa das Doppelte gekostet. Dabei ist auch im Hinblick auf die Möglichkeit privaterÖffentlichkeitnicht-öffentlich/privat AbschriftenAbschrift hervorzuheben, dass die MaterialMaterialität- und Fertigungskosten, um dem Händler einen Gewinn zu ermöglichen, unter den genannten Preisen gelegen haben müssen. Ferner ist zu betonen, dass Bücher durchaus einem Wertverlust unterlagen und Gebrauchtbücher recht günstig erworben werden konnten.58 (Umgekehrt sind aber Wertsteigerungen von seltenen alten Sammlerstücken belegt.59) Literarische Bücher konnten sogar einen völligen Wertverlust erleiden und wurden als „Altpapier“ zweitverwertet.60 Die Tatsache, dass biblische und christliche Bücher insgesamt sogar nachweislich auf den Müll geworfen wurden,61 lässt es plausibel erscheinen, dass sie potentiell auch als Gebrauchtbücher auch im antiken antiquarischen BuchhandelBuch-handelBuchantiquarisch zu haben gewesen sein könnten.

      Zur Veranschaulichung seien diese Daten exemplarisch in Zusammenhang mit Wirtschaftsdaten zu Preisen und Löhnen im 1./2. Jh. gesetzt. Aus einem Edikt des Legaten Lucius Antistius Rusticus (92/93 n. Chr.) wissen wir, dass in Antiocheia in Pisidien ein modius (ca. 6,7 kg) Weizen maximal 1 DenarDenar, also 4 SesterzenSesterze kosten durfte, vor dem Winter aber vermutlich etwas mehr als die Hälfte kostete,62 womit exakt die Preisspanne angegeben ist, die Martial für seine Xenien angibt. Nimmt man bei beiden Preisen einen Mittelwert (3 Sesterzen für einen Modius Weizen), hätte ein den Xenien vom Martial äquivalent gestaltetes Markusevangelium (16,5 Sesterzen) also in etwa so viel wie knapp 37 kg Weizen gekostet.63 Oder so viel wie etwa 16 Gläser guter Wein in einer Taverne in Pompeji (CIL 4 1679); gut 5 kg mittelmäßiges Olivenöl (CIL 4 4000),64 eine Tunica jeweils in Pompeji (15 Sesterzen; CIL 4 9108); 65 wie die Miete einer oberen Etage in einem Stadthaus in Rom für drei Tage (Plut.Plutarch Sulla 1,4 gibt die Jahresmiete im Obergeschoss mit 2000 Sesterzen an) oder wie acht Dachziegel (CatoCato der Ältere, Marcus Porcius agr. 14,3). Im Hinblick auf das frühe ChristentumChristentum sei ferner auch noch auf die hohen Kosten von Reisetätigkeiten verwiesen, die ja im NT und in der frühchristlichen Literatur vielfach bezeugt sind66 und die ein Vielfaches von Büchern gekostet haben müssen.

      Ios.Josephus, Flavius ant. 12,4,3 (168-170) gibt den Aufwand für eine ReiseReise von Samaria nach Alexandria in einfacher Ausstattung (der Reisende wird von den ebenfalls diese Strecke Reisenden von den hohen Beamten aus den Städten Syriens und Phöniziens für seine ArmutArmut verspottet!) mit 20.000 Drachmen an. Mit 10.000 Drachmen reist Hyrkanos zwar günstiger (Ios. ant. 12,4,7 [198]), es handelt sich aber immer noch um eine beträchtliche Summe, vergleicht man dies mit den 28 Drachmen, die Lond. inv. 2110 (SB 20 14599) als PreisPreis für das SchreibenSchreiben von 10.000 StichenStichen angibt. Was Reisen der OberschichtElite kosten konnten, veranschaulicht Ios. ant. 17,5,3 (96) bzw. bell. Iud. 1,32,2 (625), der angibt, Antipas, der Sohn des Herodes hätte 300 Talente (die unvorstellbar große Summe von 1,8 Mio Drachmen) für seine Reise nach Rom angewiesen bekommen.67

      Setzt man diese Preiskalkulation zugrunde, wäre ein solches MkEvMk sogar theoretisch für einen ArbeiterArbeiter,68 aber z. B. auch für SoldatenSoldat69 – für Offiziersränge ohne Frage70 – potentiell erschwinglich gewesen (ob diesen Gruppen ein BuchBuch eine solche Investition wert gewesen wäre, ist eine andere Frage!), um so mehr für die gesellschaftliche Gruppen, die wahrscheinlicher als potentielle LeserLeser in Frage kämen: z.B. für BerufsrednerRedner,71 für LehrerLehrerLehrer,72 ÄrzteArzt und Juristen,73 erfolgreiche Händler,74 Künstler und Schauspieler.75 Diese Daten zeigen, Bücher waren keine, für die meisten gesellschaftlichen Schichten unerschwingliche LuxusprodukteLuxusprodukt, sondern Handwerksprodukte,76 die sich im Vergleich zu wirklichen Luxusprodukten77 potentiell nicht nur Mitglieder der obersten EliteElite leisten konnten. Dies wird auch in den Quellen selbst bestätigt. So besitzt der mittellose CordusArmut bei Juvenal neben einem BettBett und einigen Gefäßen immerhin eine Kiste mit griechischen Büchern (vgl. Iuv.Juvenal 3,200–211).78

      Aus allgemeiner kulturgeschichtlicher Sicht bleibt also festzuhalten, dass Leserinnen und LeserLeser im frühen ChristentumChristentum nicht prinzipiell darauf angewiesen waren, ihre Literatur durch Vorlesungen in GemeindenGemeinde zu rezipieren, sondern dass eine Verfügbarkeit christlicher Literatur durch den antiken BuchmarktBuch-handel durchaus in den Bereich des Vorstellbaren gehört – neben der Möglichkeit der Beschaffung über „privateÖffentlichkeitnicht-öffentlich/privat“ Kanäle (sei es zur AbschriftAbschrift oder zur einfachen Ausleihe79), was wiederum „privaten“ BuchbesitzBuch-besitz voraussetzt. Die Möglichkeit der Partizipation am antiken Buchmarkt gehört umso mehr in den Bereich des Wahrscheinlichen, als das Paradigma des frühen Christentums als Unterschichtenphänomen nicht mehr aufrecht zu erhalten ist und man davon ausgehen kann, dass die frühchristlichen Gemeinden sich maßgeblich aus mittleren Gesellschaftsschichten zusammensetzte und z. T. auch mit Mitgliedern aus reicheren Gesellschaftsschichten zu rechnen ist.80 Auch die Tatsache, dass der Kämmerer in Act 8Act 8 einen Text des ProphetenProphet Jesaja liest (s. dazu u. 4.2.2), deutet auf die Bekanntheit des Konzepts käuflichen Erwerbs biblischer Schriften hin. Auch die TitelangabenTitel in den HandschriftenHandschrift/Manuskript81 deuten darauf hin, dass neutestamentliche Texte nicht bloß in privaten Netzwerkstrukturen zirkuliertenZirkulation.82 Diese Einsicht, dass literarische Schriften in der frühen Kaiserzeit keine absoluten LuxusprodukteLuxusprodukt darstellten, hat auch unmittelbare Relevanz für die oben schon erwähnte Debatte in der Judaistik um den „öffentlichenÖffentlichkeitöffentlich“ Zugang zur ToraTora und zur Frage nach der Tora im Privatbesitz – und zwar insofern, als es ein Indiz gegen die skeptische Position liefert, welche den „privaten“ Buchbesitz im antiken JudentumJudentum weitgehend negiert.

      Die Debatte kann hier nicht ausführlich dargestellt werden. Im Hinblick auf die Frage nach