Jan Heilmann

Lesen in Antike und frühem Christentum


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ἔκδοσις.“19

      Aufschlussreich ist insbesondere die Institution der recitatiorecitatio (s. auch Publikation/Veröffentlichung). Diese war, wie die Quellen so gut wie ausnahmslos zeigen, an die Präsenz des Autors gebunden.20 Die recitatio nahm im Rahmen des Redaktionsprozesses von Texten eine Korrektivfunktion ein und stellte eine Art Probelauf vor ausgewähltem PublikumPublikum (s. auch Lesepublikum) dar, dessen Impulse für die redaktionelleRedaktion/redaktionell Überarbeitung genutzt wurden.21 Bei der recitatio handelt es sich allerdings, wie H. Krasser ausdrücklich betont, „nicht um das eigentliche Instrument der PublikationPublikation/Veröffentlichung und [auch nicht um] die vom AutorAutor/Verfasser letztlich intendierte Präsentationsform seines Werkes in der ÖffentlichkeitÖffentlichkeit.“22 Der soziale Rahmen einer recitatio ist gerade kein vollständigUmfangvollständig öffentlicherÖffentlichkeitöffentlich, sondern ein klar umgrenzter.23 Deutlich wird dies vor allem an Stellen, an denen explizit zwischen der recitatio und der eigentlichen Publikation und Rezeption (insb. auch im Hinblick auf Dramentexte) unterschieden wird.24 Auch in den wenigen Quellen aus dem klassischen Griechenland (und auch bei späteren griechischen Autoren) sind Rezitationen an die Präsenz des Autors gebunden.

      Vgl. v. a. das VorlesenRezeptionkollektiv-indirekt der unpublizierten Werke von Zenon in einem Privathaus bei Plat.Platon Parm.Parmenides 127c; ferner Plat. Hipp.Hippolytos von Rom mai. 286a/b; Xen.Xenophon mem. 2,1,21; Cic.Cicero, Marcus Tullius Brut. 51,191 über eine recitatiorecitatio (s. auch Publikation/Veröffentlichung) des Dichters Antimachos, bei der das gesamte PublikumPublikum (s. auch Lesepublikum) während des Vorlesens bis auf Platon den Raum verlässt; u. Athen.Athenaios deipn. 13,1 (555a). Vgl. außerdem zu Isokrates MÜLKE, AutorAutor/Verfasser, 85. Inwiefern es sich bei den von Lukian.Lukian von Samosata Herod. 1–3 und in FD 3 3,124,2–7; SEG 28 534,4–9 (3. Jh. v. Chr.) beschriebenen Autorenlesungen um unpublizierte Texte handelt, ist unklar. Jedenfalls kann man aus den Quellen nicht schließen, dass die beschriebenen Lesungen die eigentliche Form der PublikationPublikation/Veröffentlichung darstellten.25 Die Formulierung ἀκροάσεις περὶ τούτων (SEG 28 534,6) kann m. E. sogar so verstanden werden, dass es sich um einen Vortrag über die genannten Schriften handelt und nicht um eine Verlesung der Schriften selbst. Lukian selbst hat seine Schriften wohl auch im Rahmen von recitationesrecitatio vorgelesen (vgl. Lukian. apol. 3). Zudem findet sich bei Lukian eine aufschlussreiche Unterscheidung. Auf der einen Seite stehen die gegenwärtigen ErstrezipientenRezipient von Geschichtswerken, die er mit dem PartizipPartizip von ἀκροάομαι (Lukian. hist. conscr. 5) oder ἀκούωἀκούω (Lukian. hist. conscr. 39), bezeichnet – mutmaßlich die HörerHörer von recitationes. Dafür spricht der Hinweis auf den Applaus (ἐπαινέω) in Lukian. hist. conscr. 5.26 Auf der anderen Seite stehen die Sekundärrezipienten, die Lesern, die er z.B. mit dem Partizip von ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω (Lukian. hist. concr. 9: τοῖς ὕστερον ἀναγνωσομένοις; Lukian. hist. concr. 17: Dass hier die Sekundärrezipienten gemeint sind, geht daraus hervor, dass sich Lukian auf ein Prooemium bezieht, das ja als Teil eines bereits publizierten BuchesBuch zu verstehen ist.) oder dem Partizip von σύνειμι (Lukian. hist. conscr. 39: τοὺς μετὰ ταῦτα συνεσομένους τοῖς συγγράμμασινσυγγράμματα)27 bezeichnet.

      Zahlreiche Quellen lassen erkennen, dass PublikationPublikation/Veröffentlichung in der Antike durchaus ein wichtiger Weg war, schriftliche Erzeugnisse einem größeren, auch überregionalen PublikumPublikum (s. auch Lesepublikum) zur Verfügung zu stellen. Eine repräsentative Auswahl an Quellen sei im Folgenden angeführt.28

      Als Alexander erfährt, dass einige der Lehren von Aristoteles, in die er durch diesen persönlich eingeführt wurde, „in Büchern an die ÖffentlichkeitÖffentlichkeit gegeben worden seien (ἐκδίδωμι)“ (Plut.Plutarch Alex. 7, Üb. ZIEGLER/WURHMANN), tadelt er Aristoteles in einem bei Plutarch und Aulus GelliusGellius, Aulus überlieferten BriefBrief: „Du hast nicht recht getan, daß du die fürs Hören bestimmten Lehren veröffentlichtPublikation/Veröffentlichung hast (οὐκ ὀρθῶς ἐποίησας ἐκδοὺς τοὺς ἀκροατικοὺς τῶν λόγων·)“ (Plut. Alex. 7, Üb. ZIEGLER/WURHMANN, leicht mod. JH). Dass Alexander stört, dass die RedenRede nun Allgemeingut wären und er nicht mehr zum exklusiven Kreis der erwählten AdressatenAdressat gehört,29 zeigt genauso wie die verlegene Reaktion von Aristoteles, Alexander solle die Schriften als „veröffentlicht und auch wieder nicht veröffentlicht“ (Plut. Alex. 7, Üb. ZIEGLER/WURHMANN)30 begreifen, da sie ja nur für Insider verständlich seien, dass ein durchaus großes LesepublikumLese-publikum vorauszusetzen ist. Ein Mensch, der im Maßstab Alexanders denkt, hätte sich wohl sonst kaum über eine Veröffentlichung beschwert. Zudem impliziert die Stelle, dass veröffentlichte Schriften nicht für das Hören, sondern für das Lesen bestimmt sind. HorazHoraz formuliert eindeutig: „Wer UnterhaltungUnterhaltung dem LeserLeser gewährt und mit ihr Belehrung./Solch ein BuchBuch trägt den Gebrüdern Sosius ein, über das Meer hin/Zieht es und meldet der Welt noch lange den Namen des Autors“ (Hor. ars. 343–346; Üb. KAYSER, leicht mod. JH).31 Plinius, der nicht für den kleinen Kreis der Rezitationszuhörer schreibt, sondern für alle (Plin. ep.Plinius der Jüngere 3,18,9), freut sich über die Nachricht, dass seine Bücher in einer Buchhandlung in Lugdunum verkauft werden (Plin. ep. 9,11,2). In einem Brief an Tranquillus schreibt er, dass dessen Werk perfekt sei und durch Überarbeitung nicht weiter poliert werden könne. Und dann fordert er: „Laß mich Deinen Namen auf dem Titelblatt sehenSehen, laß mich hören, daß die Bücher meines Tranquillus vervielfältigt, gelesen und verkauft werden“ (Plin. ep. 5,10,3; Üb. KASTEN). Zudem betont Plinius, dass er durch stilistische Vielfalt „verschiedene Leserkreise“ (diversa genera lectorum; Plin ep. 2,5,7) zu erreichen versuche.32 Weite Verbreitung seines Romans antizipiert auch Ov.Ovidius,