Jan Heilmann

Lesen in Antike und frühem Christentum


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nicht nur in vielen Fällen ambigue, sondern viele von ihnen können auch leicht mit Endungen verwechselt werden, was wiederum die WorterkennungWort-erkennung erschwert. Denn, wie oben zu sehenSehen war und worauf schon bezüglich des Gebrauchs des ApostrophsApostroph bei fremdsprachlichen Termini hingewiesen wurde, wird die parafovealeparafoveal preview Worterkennung in der scriptio continuaSchriftscriptio continua vor allem durch Buchstabenkombinationen am Anfang und vor allem am Ende der Worte geleitet (s. o. 4.1).

       ad b) Markierungen, die eine Bedeutung für die Syntax haben bzw. größere Texteinheiten strukturieren

      In den frühen neutestamentlichen PapyriPapyrus finden sich verschiedene Merkmale, welche dazu dienen, die Texte zu strukturieren, wobei erstens kein einheitliches und durchgängiges System zu finden ist und zweitens der Textbestand bei zahlreichen Papyri zu fragmentarisch ist, um eine statistisch valide Aussage zu treffen.

      WortzwischenräumeWort-zwischenraum (Spatien) und Interpunktion: Schon im mutmaßlich ältesten PapyrusPapyrus mit Texten aus dem NT, 52, finden sich Wortzwischenräume (ro., Z. 2: ουδενα|ινα; re., Z. 3 [ει]πεν|σημαινων; vs., Z. 2 [κοσ]μον|ινα), die L. Hurtado als „LesehilfenLese-hilfe (reading aid)“ interpretiert, die Sinneinheiten voneinander abtrennten.61 Auch wenn er im Anschluss an ROBERTS, 1936, 226f, Parallelen anführt (P.Ryl. 3 458; P.Egerton 2), an denen Wortzwischenräume möglicherweise Sinnabschnitte markieren, so ist die Stichprobe in 52 zu gering und zu disparat, um sichere Schlussfolgerungen zu ziehen. So ist etwa der Abstand zwischen ουδενα und ινα genauso groß wie der Abstand zwischen dem ι- und den beiden darauffolgenden BuchstabenBuch-stabe -να innerhalb von ινα: ουδενα|ι|να. Zudem ist im Übergang von Joh 18,32Joh 18,32 f zu 33 gerade kein Wortzwischenraum zu erkennen, obwohl ein neuer Hauptsatz beginnt, der eine deutlichere Zäsur zum Ausdruck bringt als die von Hurtado angeführten Beispiele. Interessant sind sodann die markanten Wortzwischenräume vor Relativpronomina in 104 (II, ro 3.5), die als Hilfe für die WorterkennungWort-erkennung der „kleinen Worte“ gedacht gewesen sein könnten, die in der scriptio continuaSchriftscriptio continua tendenziell etwas schwieriger zu identifizieren gewesen sein müssen, da sie leicht mit Endungen verwechselt werden können.62 Dennoch bleibt das methodische Problem bestehen, das die Untersuchung aller Wortzwischenräume in den frühen Papyri betrifft – nämlich intentionale und versehentliche Wortzwischenräume v. a. angesichts der geringen Stichprobe sauber voneinander zu unterscheiden.63 Einige neutestamentliche Papyri mit größerem Textbestand bieten mehr MaterialMaterialität für die Analyse des Gebrauchs von Wortzwischenräumen, wobei weder die Forschungsdaten vollständigUmfangvollständig digital erschlossen sind noch eine systematisch vergleichende Untersuchung vorliegt. Einzelne Texte sind allerdings in letzter Zeit untersucht worden. So hat E. B. Ebojo die Wortzwischenräume im Hebräerbrief von 46 (P.Beatty 2/P. Mich. inv. 6238) systematisch untersucht.64 Er kommt zu dem Ergebnis, dass a) „space-intervals, enough for one or more letters, occur before (almost always) and after (always) a nomen sacrumnomina sacra“65, dass b) die meisten ZitateZitat aus dem ATAT/HB/LXX durch Wortzwischenräume markiert werden,66 und dass c) Wortzwischenräume die Funktion von Interpunktion übernehmen, um Sinneinheiten bzw. syntaktische Gefüge zu markieren.67 Daneben finden sich dann auch schon in den Papyri Belege für die (gelegentliche) Interpunktion mit Doppelpunkten oder Punkten, die entweder oben, in der Mitte oder unten gesetzt werden.68 Auch eine vergleichende Untersuchung, die versucht, Muster bzw. Funktion der Interpunktion in den frühen Papyri zu erschließen, ist m. W. ein Desiderat.

      EkthesisEkthesis und ParagraphosParagraphos: Allein aus der einen Hs. ist der Befund eines nach links ausgerückten Alphas in Mt 26,31Mt 26,31 in 64 nicht eindeutig, den L. Hurtados als Ekthesis interpretiert.69 So ist zunächst fraglich, ob aus den vier erhaltenen Zeilen eines linken Randes eine solche Schlussfolgerung gezogen werden kann. Zudem gehört das ausgerückte Alpha zum dritten Wort der Sinneinheit und steht mitten im Satz. Dies merkt auch Hurtado und argumentiert, dass der Schreiber die erste volle Zeile des neuen Abschnitts markiert. Er selbst führt hierfür keine exakten Parallelbeispiele an,70 diese lassen sich aber beibringen. Ebenfalls zu fragmentarisch bleibt der Befund in 90.71 Eindeutig strukturierende Funktion haben mehrere Ektheseis aber in 4, 64/67 (ursprünglich vermutlich aus einem KodexKodex), wie S. Porter herausgearbeitet hat.72 Die strukturierende Funktion der Ektheseis zeigt sich darin, dass sie in den meisten Fällen durch eine Paragraphos (ein horizontaler Strich) ergänzt werden und an Textstellen stehen, die sich auf Grund von Textsignalen als Einschnitte interpretieren lassen (vgl. v. a. Lk 1,76Lk 1,76.80Lk 1,80; 2,1Lk 2,1; 3,18Lk 3,18 f.21Lk 3,21.23Lk 3,23; 5,36Lk 5,36; 6,1Lk 6,1.6Lk 6,6.12Lk 6,12; Mt 5,21Mt 5,21.27Mt 5,27; 26,31Mt 26,31). Besonders aufschlussreich sind die Ektheseis in Lk 1,76Lk 1,76 (f. 1vo, col. 1,9 f: και|συ) und 6,12Lk 6,12 (f. 4 vo, col. 2,9 f: ε̣[γ]ε̣-|ν̣ετ̣ο̣), da jeweils nicht der erste BuchstabeBuch-stabe ausgerückt wird, sondern analog zum Befund in 64 und 90 die erste volle Zeile des neuen Abschnitts, der zusätzlich durch eine Paragraphos markiert wird. Interessant ist zudem der Befund am Übergang von Mt 23,36 fMt 23,36 f in 77, wo in der Zeile vor dem Beginn von V. 37, in modernen Bibelausgaben überschrieben mit „Klage über Jerusalem“, fast eine gesamte Leerzeile Platz gelassen wurde; ob die Zeile darunter mit einer Ekthesis beginnt, ist aufgrund des fragmentarischen Charakters nicht mehr festzustellen.73 In 66 finden sich zahlreiche Abschnittsmarkierungen, wobei zumeist eine Ekthesis auf eine nicht voll ausgeschriebene Zeile folgt, die zumeist durch Interpunktionszeichen beendet wird (vgl. exemplarisch Joh 1,24Joh 1,24; 2,11Joh 2,11; 2,23Joh 2,23; 3,22Joh 3,22; 4,1Joh 4,1).74 Ein recht elaboriertes System der Textstrukturierung in thematisch zusammenhängenden Einheiten, angezeigt durch Ekthesis und/oder einen kleinen WortzwischenraumWort-zwischenraum vor dem ersten Wort der Zeile und/oder einer Paragraphos und mit erstaunlichen Übereinstimmungen zu späteren Kapitel- und Perikopeneinteilungen, findet sich in 75,75 dessen Aussagekraft als Zeuge aber wegen der neuen Datierungsdiskussion unter einem kleinen Vorbehalt stehen muss.76 Die Schlussfolgerung von C. H. Roberts,77 dass die Anfänge des in den großen MajuskelnMajuskel des 4./5. Jh. zu findenden Systems von Textstrukturierung,78 in das späte zweite Jh. zurückgeführt werden können, ist daher unsicher.

      Zuletzt ist ferner noch darauf hinzuweisen, dass vermutlich durch das Wiederansetzen des Schreibrohrs visuellevisuell Strukturierungsmerkmale in den Texten vorhanden waren, die möglichweise durch den Produktions- oder Reproduktionsprozess in gewisser Weise syntaktische Strukturen visuell darstellbar