Jan Heilmann

Lesen in Antike und frühem Christentum


Скачать книгу

href="#fb3_img_img_57340cd8-d54b-5003-951b-13be78e0ff65.jpg" alt=""/>72).10–12.13, bei dem es angesichts der eigenartigen Zusammenstellung, die durchaus ein redaktionellesRedaktion/redaktionell Interesse erkennen lässt,31 sowie angesichts des im Vergleich zu anderen Hss.Handschrift/Manuskript eigenwilligen Formats fraglich erscheint, ob es sich um ein ManuskriptHandschrift/Manuskript handelt, das die VorlageVorlage für performative Lesungen gebildet hat. Es finden sich einige Stellen, an denen analog zu den schon angeführten Beispielen, einsilbige Wörter mit einem spiritus asper versehen worden sind.32 Daneben findet sich aber z.B. auch mitten im Kompositum εισὁδος ein spiritus asper (f. 25,3; 2Petr 1,112Petr 1,11), den A. Mugridge als Irregularität interpretiert.33 M. E. erklärt sich der spiritus asper hier aber durch den Zeilenumbruch, der durch das Wort geht (εισὁ-δος) und der möglicherweise auch die Disambiguierung von Vorsilbe und Präposition notwendig erscheinen ließ.

      Auch die wenigen AkzenteAkzent,34 die sich in den frühen Hss.Handschrift/Manuskript finden lassen, haben zumeist die Funktion, eine semantische Ambiguität auszuschließen. Auch hier scheint es nicht um die richtige phonologischePhonologie Realisierung zu gehen. In 1 (P.Oxy. 1 1) findet sich vermutlich ein Akut auf einem ή (vo,14 [Mt 1,18Mt 1,18])35 und disambiguiert die Partikel vom Artikel oder Relativpronomen, möglicherweise auch vom folgenden Wort. In 46 (200–225; P.Beatty 2) zeigt der Akut auf πέρας (f. 26vo,7 [Hebr 6,16Hebr 6,16]) möglicherweise den Unterschied des Nom. Sg. ntr. vom Dat. Pl. fem. von πέρα bzw. von Formen des Verbes περάω in der 2. Pers. Sg. an.36 Der Akut in 66 (P.Bodm. II) f. 101.8 (Joh 13,29Joh 13,29) hilft potentiell -δοκουν vom PartizipPartizip von δοκοω zu disambiguieren. Es könnte hier im speziellen Fall als notwendig erachtet worden sein, weil das Augment in der vorhergehenden Zeile geschriebenSchriftGeschriebenes ist.

      Besonders aufschlussreich ist die Verwendung des ApostrophApostroph in den neutestamentlichen Hss.Handschrift/Manuskript Der Apostroph wird dort analog zu antiken Hss. insgesamt37 sowie zum inschriftlichenInschriften Befund38 vor allem als Auslassungszeichen verwendet.39 Die Funktion erschließt sich, berücksichtigt man, dass die parafovealeparafoveal preview WorterkennungWort-erkennung in der scriptio continuaSchriftscriptio continua vor allem durch Buchstabenkombinationen am Anfang und vor allem am Ende der Worte geleitet wird (s. o. 4.1). Fällt nun ein BuchstabeBuch-stabe aus lautlichen Gründen aus, wird dies markiert, um die gewohnte Worterkennung zu gewährleisten. Dadurch lässt sich auch die in ihrer Funktion für die Forschung z. T. nicht direkt erschließbare, in den frühen Hss. sehr regelmäßig zu findende40 Apostrophierung von indeklinablen semitischen Namen in den neutestamentlichen PapyriPapyrus erklären,41 die wegen der fehlenden Passung in das griechische Endungssystem ebenfalls sehr häufig mit einem Apostroph markiert werden.42 Die Praxis, fremdsprachliche Wörter mit einem Apostroph zu kennzeichnen, findet sich auch vielfach in dokumentarischen Papyri.43 Auch beim Apostroph handelt es sich also nicht um eine Vorlesehilfe und auch nicht um ein Zeichen, das zu „clarity of pronunciation in the public readingpublic reading“44 beitrüge – dagegen spricht auch der statistische Befund.45 Der Apostroph ist vielmehr eine Worterkennungshilfe, welche die parafoveale Wahrnehmung des Textes sowohl beim Vortragslesen, aber v.a. bei verschiedenen Modi des (nicht-vokalisierendenStimmeinsatznicht-vokalisierend) individuellen Lesens unterstützen kann.

      Aus dem Vorkommen von TremataTrema, Akzenten, Spiritus und ApostrophenApostroph in einer Hs. kann also nicht auf ihren primären Verwendungskontext geschlossen werden.46 Dieses Ergebnis wird dadurch gestützt, dass sich diese Merkmale auch in nicht-christlichen Hss.Handschrift/Manuskript finden lassen, die eindeutig zu Studienzwecken verwendet worden sind – Grammatiklehrbücher,47 Manuskripte mit Kommentartexten,48 oder mit kommentierenden Annotationen (zumeist am Rand, aber z. T. auch interlinear).49 Noch eindrücklicher sind Belege von diakritischenDiakritika Zeichen in listenartigen50 oder anderen dokumentarischen PapyriPapyrus51 sowie in InschriftenInschriften,52 bei denen eine performative Lesung auch nicht anzunehmen ist. Ältere Studien deuten zudem darauf hin, dass die Zeichen in den nicht-christlichen Hss. ebenfalls in der Mehrzahl semantische Ambiguität vereindeutigen.

      So kommt B. Laum in seiner einschlägigen Studie53 zum alexandrinischen Akzentuationssytem, in der er neben den Homerscholien zahlreiche PapyriPapyrus auswertet, zu dem Ergebnis: „Die LesezeichenLese-zeichen dienen dazu, bei Wörtern bzw. BuchstabenBuch-stabe- und Wortverbindungen, die verschieden gedeutet werden können, dem LeserLeser die richtige Auffassung klar zu machen. Das Zeichen für den Hauchlaut bzw. Psilose ist vornehmlich auf Wörtern gesetzt, die je nach dem Spiritus eine andere Bedeutung hatten […]. Das Quantitätszeichen dient in gleicher Weise der Unterscheidung von Vokalen oder Vokalverbindungen, die gleichgeschrieben waren, aber je nach Quantität Verschiedenes bedeuteten […]. Der Charakter als Unterscheidungszeichen tritt besonders bei der Akzentsetzung deutlich hervor. Vor allem werden jene Wörter, die in der Buchstabenzusammensetzung gleich sind, aber je nach der Bedeutung verschieden betont werden können, mit dem zukommenden AkzentAkzent versehen. […] Sodann hat der Gravis auch den Zweck gehabt, bei Textstellen, wo wegen der scriptio continuaSchriftscriptio continua Trennungen bzw. Zusammenfassungen von einzelnen Buchstaben bzw. Buchstabengruppen umstritten waren, dem Leser die richtige Auffassung zu verdeutlichen. Die frühen Alexandriner scheinen in solchen Fällen mit Vorliebe Akzente als Mittel der Unterscheidung angewendet zu haben (man hat, um die Verdeutlichung zu erreichen, sich nicht gescheut, gegen die Akzentregeln zu verstoßen, hat Doppelakzente gesetzt, Akzente vertauscht oder verrückt) […]. Alle Zeichen (Akzente, Spiritus, Quantitäten und Diastolai) dienen also dem Zwecke, an mehrdeutigen Stellen dem Leser die richtige Auffassung kenntlich zu machen. Diese Tatsache tritt sowohl aus der Interpretation der Homerscholien wie aus der prosodischen Praxis in den Papyri deutlich hervor.“54

      Inwiefern dieser Befund auch den seit den 1920er Jahren erheblich gewachsenen Bestand an edierten PapyriPapyrus halten lässt, müsste eingehender untersucht werden. Eine dafür notwendige, sehr umfangreiche, vergleichende Untersuchung, die außerdem auch noch den inschriftlichenInschriften Befund miteinbezieht, kann im Rahmen dieser Studie jedoch nicht geleistet werden.55 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass schon Aristoteles die Praxis reflektiert, dass im Schriftlichen diakritischeDiakritika Zeichen gesetzt werden, um Ambiguitäten zu vereindeutigen.56 Bei Ps.-ArcadiosPseudo-Arcadios – es gibt gute Gründe, Theodosios von Alexandria als VerfasserAutor/Verfasser zu vermuten,57 – findet sich im Kontext der Beschreibung der Funktionsbezeichnung der diakritischen Zeichen die Formulierung, dass „die Längen, AkzenteAkzent und Hauche – von Aristophanes geformt – entstanden sind für die Unterscheidung zweideutiger Wörter (πρός τε διαστολὴν τῆς ἀμφιβόλου λέξεως)“58. Dies entspricht exakt der hier diskutierten Funktionsbestimmung.

      Auch viele der Beispiele für einen spiritusspiritus asper in dokumentarischen PapyriPapyrus, die R. Ast jüngst aufführt, „are clearly used in order to avoid ambiguity“.59 So handelt es sich auch dort zumeist um die „kleinen Wörter“, die mit einem spiritus asper versehen werden, wie in seiner Zusammenfassung des Befundes deutlich wird.

      „While one might expect that spiritusspiritus asper would be used to alert the reader to cases of aspiration in rare or unusal words, quite the opposite is actually the case. By far the most common terms that are aspirated are relative pronouns (e.g. ὅς, οὗ, ὅν, ὧν, οἷς, οὕς, ἧς, ἥν, ἅ) […]. In addition, articles (ὁ, ἡ, οἱ), adverbs such as ὡς, and cardinal numbers, especially ἑν and on a couple of occasions ἕξ, can bear a rough breathing mark. [In Anm. 38 ergänzt er dann noch:] As an aside, I note that in Attic Greek inscriptionsInschriften, too, the same types of words tend to be