Роман Масленников

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ein getrenntes Selbst ist die Quelle unseres bedrückendsten dukkha oder »Leidens«. Es geht nicht etwa darum, etwas anderes zu erreichen, sondern die wahre Natur dieser Welt (einschließlich unserer selbst) hier und jetzt zu erkennen – und das schließt eine eher nichtduale Art des Erlebens ein, die etwas ganz anderes ist, als diese Welt einfach so anzunehmen, wie sie ist oder zu sein scheint.

      Dass das Selbst ein Konstrukt ist, stimmt mit den Entdeckungen der Entwicklungspsychologie überein. Ein buddhistischer Konstruktivismus öffnet überdies die Tür zu Möglichkeiten, die man in der Moderne nicht ernsthaft erwogen hat, weil sich diese Potenziale mit der naturalistischen Sichtweise nicht vereinbaren lassen. In diesem Sinn kann man eine erwachte Art, diese Welt zu erfahren und in ihr zu leben, durchaus als ein Transzendieren auffassen, denn die vom Buddhismus gebotene Alternative »übersteigt« tatsächlich unser gewöhnliches dualistisches Verständnis der Welt und uns selbst darin.

      Diese Art, den buddhistischen Pfad und seine »Frucht« (wie die Überlieferung es ausdrückt) zu beschreiben, wirft weitere wichtige Fragen auf. Ist die im ersten Teil entwickelte nichtdualistische Sicht mit dem vereinbar, was die zeitgenössische Wissenschaft erforscht? Es scheint schwierig, einen spirituellen Pfad mit dem materialistisch-reduktionistischen Paradigma zu versöhnen, das die Welt so erfolgreich unserem Willen unterworfen hat – einem Weltmodell, das viele Wissenschaftler, wie schon gesagt, heute selber problematisch finden.

      Eine andere Frage, die sich angesichts dieser Auffassung des buddhistischen Pfades stellt, betrifft ihre soziale und ökologische Tragweite. H. G. Wells zufolge ist Geschichte »ein Wettlauf zwischen Bildung und Katastrophe«, und beide Seiten steigern das Tempo. Vielleicht ist »Katastrophe« kein zu starkes Wort für die Zukunft, die ja schon begonnen hat. Alldieweil die Erderwärmung (das Wort ist ein Wohlfühlbegriff für die Klimakatastrophe) schneller steigt als von den meisten Klimaforschern vorausgesehen, bleiben unsere kollektiven Bemühungen, sie anzugehen, völlig unangemessen. Falls Sie weder Banker noch Spekulantin sind, werden Sie sich von der großen Rezession, die 2008 begonnen hat, kaum oder gar nicht erholt haben, und für Schul- und Hochschulabsolventen der letzten Jahre sieht die wirtschaftliche Zukunft eher düster aus. (Mein Autoaufkleber: »Wäre die Umwelt eine Bank, dann hätten wir sie schon gerettet.«) Auch scheint es unwahrscheinlich, dass die politische Lähmung in Washington und Brüssel bald enden wird, denn sie spiegelt eine Spaltung in unserem Bewusstsein wider.

      Zur gleichen Zeit aber kämpft etwas anderes darum, das Licht der Welt zu erblicken. Paul Hawken schrieb sein Buch Wir sind der Wandel: Warum die Rettung der Erde bereits voll im Gang ist – und kaum einer es bemerkt aus der Erkenntnis heraus, dass heute etwas historisch noch nie Dagewesenes passiert: Viele kleine und große Organisationen sprießen auf, um für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu arbeiten. Hawkens ursprüngliche Schätzung ging von einer bis eineinhalb Millionen aus, doch inzwischen hat er ermittelt, dass es wohl weit mehr als zwei Millionen sind. »Aufsprießen« trifft das Geschehen, denn diese Bewegung ist nicht von oben nach unten organisiert: Die meisten Gruppen sind unabhängig, mit ihrer jeweils eigenen Leitung und ohne einheitliche Ideologie. Das spiegelt einen Wandel in unserem kollektiven Bewusstsein wider, der wohl gerade erst beginnt und zu dem auch der sich globalisierende Buddhismus gehört – und in dem er vielleicht sogar zu einem wichtigen Teil wird.

      Wenn Erwachen heißt, diese leidende Welt zu transzendieren, dann dürfen wir deren Probleme getrost ignorieren, denn wir sind ja für einen besseren Ort bestimmt. Ist der buddhistische Pfad hingegen – ganz immanent – Psychotherapie, dann können wir uns weiterhin unseren persönlichen Neurosen widmen. Beide Auffassungen unterstellen und verstärken aber die Illusion – das Grundproblem an der Wurzel unserer Unzufriedenheit –, dass jede und jeder wesensmäßig von allen getrennt sei und deshalb gleichgültig für das sein könne, was den anderen und der Welt allgemein widerfährt.

      Die Aufgaben, vor denen wir heute stehen, verlangen mehr von uns, als anderen Individuen zu helfen, ihr persönliches Gefühl von Getrenntheit aufzulösen (das wäre die klassische Aufgabe der Bodhisattvas). Das höchste Ideal der modernen westlichen Überlieferung war, die Gesellschaften so zu gestalten, dass sie sozial gerechter werden. Das wichtigste buddhistische Ziel ist, zu erwachen und (in einer Zen-Formulierung) die eigene Natur zu verwirklichen. Heute wird zunehmend offenbar, dass wir beides brauchen: nicht nur, weil diese Ideale einander ergänzen, sondern weil beide Arten von Befreiung einander benötigen. Der dritte Teil erörtert diese Beziehung zwischen persönlichem und gesellschaftlichem Wandel.

      DER PFAD

      Wir sind hier, um aus der Illusion unserer Getrenntheit zu erwachen.

      Thich Nhat Hanh

      Im Kern der buddhistischen Lehren gibt es eine wichtige Zweideutigkeit. Das Problem ist nicht neu: Eine gewisse Ambivalenz scheint schon in einigen der frühesten, im Palikanon überlieferten buddhistischen Schriften auf. Heute allerdings, da der Buddhismus sich überall verbreitet und zur modernen Welt gehört, wird diese Unklarheit zunehmend lästig. Wenn die buddhistische Überlieferung ihr befreiendes Potenzial verwirklichen will – also nicht nur erfolgreicher als bisher individuelles Erwachen fördern, sondern überdies helfen will, ökologische und gesellschaftliche Aufgaben anzugehen –, dann müssen wir diese Zweideutigkeit auflösen.

      Gautama Buddha sagte, er lehre bloß dukkha und sein Ende; in den Vier Edlen (oder »veredelnden«) Wahrheiten geht es ausschließlich um Dukkha, seine Ursachen, sein Ende und wie man es beendet. Gewöhnlich wird dukkha als »Leiden« übersetzt, doch dieses Wort trifft nur dann zu, wenn man es in seiner weitesten Bedeutung versteht, die auch allgemeine Besorgnis und Unzufriedenheit einschließt. Warum eigentlich sucht uns ein nagendes Unbehagen heim und trübt unsere Lebensfreude? Die Zweideutigkeit im Buddhismus, um die es hier geht, ist direkt damit verbunden, wie wir die Quelle unseres Dukkha verstehen: Ist die Natur dieser Welt selbst das Grundproblem, oder ist es unser Unvermögen, die Welt so anzunehmen, wie sie ist? Oder noch etwas anderes?

      Das »Ende des Leidens« ist dem frühen Buddhismus zufolge Nirvana, was wörtlich so etwas wie »ausgeblasen« oder »abgekühlt« bedeutet. Es ist nicht ganz klar, worauf sich diese Bilder genau beziehen, denn der Buddha umschrieb das Wesen von Nirvana hauptsächlich mit Negationen (das Ende von Begehren, Unwissenheit und so weiter) und einzelnen Metaphern (Schutz, Hafen, Zuflucht und so weiter). Damit bleibt die Frage offen: »Was für eine Zuflucht?«

      Die offenkundige Zurückhaltung des Buddha, das Ende des Leidens zu definieren, lässt uns mit der wichtigen Unklarheit zurück, ob Nirvana für das Erreichen einer anderen Dimension von Wirklichkeit steht, die diese Welt transzendiert, oder ob es um eine Erfahrung geht, die dieser Welt immanent ist, eine Seinsverfassung, die man eher psychologisch verstehen und (beispielsweise) als Ende von Gier, Übelwollen und Verblendung im jetzigen Leben beschreiben könnte. Muss Nirvana nicht entweder das eine oder das andere sein?

      Besonders sinnfällig wird diese grundlegende Zweideutigkeit heute am Gegensatz zwischen zwei Lesarten des Palikanons. Die eine versteht Nirvana als eine nichtbedingte (asamskrta) Sphäre oder Dimension; die andere zeigt sich in der »Psychologisierung« des US-amerikanischen Buddhismus, die man neuerdings besonders in der Popularität der Achtsamkeitsbewegung sehen kann. Wenn wir den Unterschied zwischen diesen beiden verstehen, dann werden wir eine dritte Möglichkeit erkennen, die weder auf die Transzendierung dieser Welt noch auf ihre Annahme als solcher (wie sie ist oder zu sein scheint) abhebt. Stattdessen fasst sie die Welt, die wir normalerweise erleben – einschließlich der Art, wie wir uns selbst normalerweise erleben –, als psychisches und soziales Konstrukt auf, das sich dekonstruieren und rekonstruieren lässt. Wir müssen nichts erlangen und auch keinen anderen Ort erreichen, aber ebenso wenig müssen wir die üblichen, von der Moderne unterstellten Möglichkeiten annehmen. Was uns nottut, ist, zu erkennen, dass diese Welt ganz anders als unsere üblichen Annahmen über sie und uns ist.

      TRANSZENDENZ?

      Die frühesten buddhistischen Lehren wurden im sogenannten Palikanon gesammelt, der annähernd elfmal so lang ist wie die Bibel. Das darin enthaltene Material ist so umfassend und vielfältig, dass fast jede Verallgemeinerung riskant wäre. Das gilt besonders