mit seinem Regenschirm unterm Arm, als betrübter Zuschauer, und Angstschweiß und Thränen rinnen ihm vom Gesichte. Da erbarmt sich Immanuel Kant und zeigt, daß er nicht bloß ein großer Philosoph, sondern auch ein guter Mensch ist, und er überlegt, halb gutmüthig und halb ironisch spricht er: ‚der alte Lampe muß einen Gott haben, sonst kann der arme Mensch nicht glücklich seyn – der Mensch soll aber auf der Welt glücklich seyn – das sagt die praktische Vernunft – meinetwegen – so mag auch die praktische Vernunft die Existenz Gottes verbürgen.‘ In Folge dieses Arguments, unterscheidet Kant zwischen der theoretischen Vernunft und der praktischen Vernunft, und mit dieser, wie mit einem Zauberstäbchen, belebte er wieder den Leichnam des Deismus, den die theoretische Vernunft getödtet.
Hat vielleicht Kant die Resurekzion nicht bloß des alten Lampe wegen, sondern auch der Polizei wegen unternommen? Oder hat er wirklich aus Ueberzeugung gehandelt?24
10. Der Idealismus
10.1 Johann Gottlieb Fichte
Die konsequente Entpersonalisierung Gottes zu dem übersinnlichen Inbegriff allen Seins brachte Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814) den Vorwurf des Atheismus ein.
Fichte ist als konsequenter Denker der Freiheit in die Geschichte eingegangen. Anknüpfend an Kant, der Freiheit, Gott und die Unsterblichkeit der Seele aus einer Notwendigkeit der praktischen Vernunft heraus postulierte, bestimmt |53◄ ►54| Fichte nun Gott als eine im Menschen liegende Idee des moralischen Gesetzgebers, in der die Freiheit des Menschen begründet ist. Der Glaube an Gott ist „nichts anderes, als der Glaube an jene Ordnung, deren Begriff sie nur, ihnen selbst unbewusst, ... weiter entwickelt und bestimmt haben“.25 Im menschlichen Geist steht Gott für die intelligible Ordnung, die so wie die Naturordnung maßgeblich ist für seine äußerliche Praxis. Jeder außerhalb des Menschen existierende Gott bedeutete unweigerlich eine Gefährdung seiner Freiheit, sodass Fichte einen sich durch Offenbarung in Szene setzenden Gott für eine den Menschen entwürdigende Vorstellung hält.61 Eine angemessene ‚Bestimmung des Menschen‘ kann nicht aus irgendwelchen Abhängigkeiten gewonnen werden, sondern allein aus einer konsequenten Selbstbesinnung in der Perspektive auf die Gewinnung eines freien Selbstbewusstseins. Damit hat Fichte die Spaltung von Subjekt und Objekt als Grundlage für die Philosophie außer Kraft gesetzt.
Die entscheidende Alternative, vor die Fichte den Menschen gestellt sieht, besteht auf der einen Seite in der Unterwerfung unter die Bestimmungen der Natur oder auf der anderen Seite in der freien Selbstkonstitution mit Hilfe des im Menschen liegenden Geistes.
Ich wollte nicht Natur, sondern mein eigenes Werk seyn; und ich bin es geworden, dadurch dass ich es wollte. Ich hätte durch unbegrenzte Klügelei die natürliche Ansicht meines Geistes zweifelhaft machen und verdunkeln können. Ich habe mich der Freiheit hingegeben, weil ich mich ihr hingeben wollte. ... Ich habe mit Freiheit und Bewusstseyn mich selbst in den Standpunct zurückversetzt, auf welchem auch meine Natur mich verlassen hatte. Ich nehme dasselbe an, was auch sie aussagt; aber ich nehme es nicht an, weil ich muss, sondern ich glaube es, weil ich will.27
Gott wird nicht als persönliches Wesen gedacht, sondern er erscheint in der Latenz der moralischen Praxis, d. h. in der lebendigen moralischen Ordnung.
Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines anderen Gottes und können keinen anderen fassen. Es liegt kein Grund in der Vernunft, aus jener moralischen Weltordnung herauszugehen, und vermittels eines Schlusses vom Begründeten auf den Grund noch ein besonderes Wesen, als Ursache desselben, anzunehmen; der ursprüngliche Verstand macht sonach diesen Schluss sicher nicht, und kennt kein solches besonderes Wesen; nur eine sich selbst misverstehende Philosophie macht ihn. Ist denn jene Ordnung ein Zufälliges, welches seyn könnte, oder auch nicht, so seyn könnte, wie es ist, oder auch anders; dass ihr ihre Existenz und Beschaffenheit erst aus einem Grunde erklären, erst vermittels Aufzeigung dieses Grundes den Glauben an dieselbe legitimieren müsstet? Wenn ihr nicht mehr auf die Forderungen eines nichtigen Systems hören, sondern euer eigenes Inneres befragen werdet, werdet ihr finden, dass jene Weltordnung das absolut Erste aller objectiven Erkenntnis ist, gleichwie eure Freiheit und moralische Bestimmung das absolut erste |54◄ ►55| aller subjectiven; dass alle übrige objective Erkenntnis durch sie begründet und bestimmt werden muss, sie aber schlechthin durch kein anderes bestimmt werden kann, weil es über sie hinaus nichts giebt.62
Fichtes Kritik gilt insbesondere dem Schöpfergott, denn durch ihn würde das in sich selbst gründende Ich wieder auf einen außer ihm liegenden Grund zurückgeführt. So gewiss es eine moralische Weltordnung gebe, so gewiss gebe es auch Gott als den Willen zur Verwirklichung, als den im Gesetz enthaltenen und dieses tragenden reinen Akt der Sittlichkeit, der das Ich im Ruf zur Pflicht ins absolute Sein stelle, sodass sich das Ich nicht aus der Individualität, sondern aus seiner Partizipation am reinen geistigen Leben in seiner Freiheit begreift. Gott ist auf diese Weise unauflöslich mit dem Sichselbstwerden der Menschheit verquickt. Von hier aus gesehen erscheint Fichte der von den Kirchen gepredigte Gott als ein Götze, der durch menschliche Bestimmungen zu etwas Endlichem degradiert sei und damit der sinnlichen Genusssucht des Menschen angepasst worden sei. Dabei hat Fichte besonders die Gnadenlehre der Kirche (vor allem die auf Paulus zurückgehende Lehre der Reformation) im Auge, durch die ein übermächtiger – und damit heidnischer – Gott das Verderben der Menschheit noch unterstützt bzw. sogar verewigt. Diese Rechtfertigungsvorstellung wird durch die Vorstellung von der Wiedergeburt des Menschen ersetzt, die nicht im Horizont von Schuld und Vergebung, sondern – mit E. Hirsch gesprochen – „rein als der Akt, durch den der Mensch aus einem sinnlich-nichtigen Scheindasein in das wahre göttliche Leben, das Leben der das Heilige, Gute, Schöne ersehenden und verwirklichenden Freiheit tritt“,63 beschrieben wird. Wenn man so will, ist die Gewissheit, dass in der wahren menschlichen Freiheit Gott lebe, der einzige Haftpunkt für die Rede von der Gnade. So beabsichtigt Fichte mit seinem Religionsverständnis vor allem,
dem Menschen alle Stützen seiner Trägheit, und alle Beschönigungsgründe seines Verderbens zu entreissen, alle Quellen seines falschen Trostes zu verstopfen; und weder seinem Verstande noch seinem Herzen irgendeinen Standpunct übrig zu lassen, als den der reinen Pflicht und des Glaubens an die übersinnliche Welt. ... Unsere Philosophie läugnet nicht alle Realität; sie läugnet nur die Realität des Zeitlichen und Vergänglichen, um die des Ewigen und Unvergänglichen in seiner ganze Würde einzusetzen. Es ist sonderbar, diese Philosophie der Abläugnung der Gottheit zu bezüchtigen, da sie vielmehr die Existenz der Welt, in dem Sinne, wie sie vom Dogmatismus behauptet wird, abläugnet. ... Unsere Philosophie läugnet die Existenz eines sinnlichen Gottes, und eines Dieners der Begier; aber der übersinnliche Gott ist ihr Alles in Allem; er ist ihr derjenige, welcher allein ist; und wir anderen vernünftigen Geister alle leben und weben nur in ihm.30
Entschlossen wehrt sich Fichte gegen den ihm vorgehaltenen Vorwurf, dass er Atheist sei, indem er den Spieß umdreht und nun seinerseits aller auf die eigene Glückseligkeit |55◄ ►56| ausgerichteten Frömmigkeit offensiv vorwirft, dass sie ungeistlich und keiner ernsthaft so zu nennenden Religion würdig sei.
Wer da Genuss will, ist ein sinnlicher, fleischlicher Mensch, der keine Religion hat und keiner Religion fähig ist; die erste wahrhaft religiöse Empfindung ertödtet in uns auf immer die Begierde. Wer Glückseligkeit erwartet, ist ein mit sich selbst und seiner ganzen Anlage unbekannter Tor; es giebt keine Glückseligkeit, es ist keine Glückseligkeit möglich; die Erwartung derselben, und ein Gott, den man ihr zufolge annimmt, sind Hirngespinnste. Ein Gott, der der Begier dienen soll, ist ein verächtliches Wesen; er leistet einen Dienst, der selbst jedem erträglichen Menschen ekelt. Ein solcher Gott ist ein böses Wesen; denn er unterstützt und verewigt das menschliche Verderben, und die Herabwürdigung der Vernunft. Ein solcher Gott ist ganz eigentlich ‚der Fürst der Welt‘, der schon längst durch den Mund der Wahrheit, welchem sie die Worte verdrehen, gerichtet und verurtheilt ist. Ihr Dienst ist Dienst dieses Fürsten. Sie sind die wahren Atheisten, sie sind gänzlich ohne Gott, und sie haben sich einen heillosen Götzen geschaffen. Dass ich diesen ihren Götzen nicht statt des wahren Gottes will gelten lassen, dies ist, was sie Atheismus