Zweck als Objekt (des Willens), welches unabhängig von allen theoretischen Grundsätzen, durch einen den Willen unmittelbar bestimmenden (kategorischen) Imperativ, als praktisch notwendig vorgestellt wird; und das ist hier das höchste Gut. Dieses ist aber nicht möglich, ohne drei theoretische Begriffe (für die sich, weil sie bloße reine Vernunftbegriffe sind, keine korrespondierende Anschauung, mithin auf dem theoretischen Wege keine objektive Realität finden läßt) vorauszusetzen: nämlich Freiheit, Unsterblichkeit und Gott. Also wird durchs praktische Gesetz, welches die Existenz des höchsten in einer Welt möglichen Guts gebietet, die Möglichkeit jener Objekte der reinen spekulativen Vernunft, die objektive Realität, welche diese ihnen nicht sichern konnte, postuliert; wodurch denn die theoretische Erkenntnis der reinen Vernunft allerdings einen Zuwachs bekommt, der aber bloß darin besteht, daß jene für sie sonst problematischen (bloß denkbaren) Begriffe jetzt assertorisch für solche erklärt werden, denen wirkliche Objekte zukommen, weil praktische Vernunft die Existenz derselben zur Möglichkeit ihres und zwar praktisch schlechthin notwendigen Objekts des höchsten Guts, unvermeidlich bedarf, und die theoretische dadurch berechtigt wird, sie vorauszusetzen.57
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Gott wird nicht aufgewiesen, sondern er ist – ebenso wie die Freiheit und die Unsterblichkeit der Seele – ein zwingendes Postulat, ohne das die den Menschen ausmachende Sittlichkeit nicht recht gedacht werden kann. Gott wird verstanden als Ursache und Garant des höchsten Guts, in dessen Pflicht sich die Sittlichkeit weiß und um dessen willen der Mensch seine Freiheit betätigt. Religion entspringt nach Kant keiner Offenbarung, sondern sie ist das elementare Bedürfnis der Moral, die durch die reine praktische Vernunft bestimmt wird.
Unter Glaubenssätzen versteht man nicht, was geglaubt werden soll (denn das Glauben verstattet keinen Imperativ), sondern das, was in praktischer (moralischer) Absicht anzunehmen möglich und zweckmäßig, obgleich nicht eben erweislich ist, mithin nur geglaubt werden kann.58
Seinem Wesen nach ist der Glaube anschauungslos und gegenstandslos, er dient tatsächlich vor allem der moralischen Erbauung des Menschen.
Das ist der Hintergrund für Kants Unterscheidung zwischen einem vernünftigen Religionsglauben und dem Kirchenglauben. Die „wahre, alleinige Religion“ (der Singular ist bemerkenswert) ist von der statuarischen Religion, wie sie im Kirchenglauben in seinen verschiedenen Variationen auftritt, zu unterscheiden. Kant kann auch von der einen wahren Religion und den vielerlei Arten des Glaubens im Sinne der Konfessionen und verschiedenen Religionen sprechen, in denen je auf besondere Weise die wahre Religion verborgen enthalten ist.59 Zugespitzt heißt es:
Die wahre, alleinige Religion enthält nichts als Gesetze, d. i. solche praktische Principien, deren unbedingter Nothwendigkeit wir uns bewußt werden können, die wir also durch reine Vernunft (nicht empirisch) offenbart erkennen. Nur zum Behuf einer Kirche, deren es verschiedene gleich gute Formen geben kann, kann es Statuten, d. i. für göttlich gehaltene Verordnungen, geben, die für unsere reine moralische Beurtheilung willkürlich und zufällig sind. Diesen statuarischen Glauben nun (der allenfalls auf ein Volk eingeschränkt ist und nicht die allgemeine Weltreligion enthalten kann) für wesentlich zum Dienste Gottes überhaupt zu halten und ihn zur obersten Bedingung des göttlichen Wohlgefallens am Menschen zu machen, ist ein Religionswahn, dessen Befolgung ein Afterdienst, d. i. eine solche vermeintliche Verehrung Gottes ist, wodurch dem wahren, von ihm selbst geforderten Dienste gerade entgegen gehandelt wird. (167 f.)
Die „sogenannten Religionsstreitigkeiten, welche die Welt so oft erschüttert und mit Blut bespritzt haben, [sind] nie etwas anderes als Zänkereien um den Kirchenglauben gewesen“ (108). Die verschiedenen kirchlichen Traditionen können immer nur partikulare Bedeutung beanspruchen, während die wahre Religion einen universalen Anspruch erhebt. Doch die Kirchen sind noch weit davon entfernt, ihre eigene Partikularität wahrzunehmen und daraus im Verhältnis zu den anderen die richtigen Schlüsse zu ziehen.
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Wenn nun eine Kirche sich selbst, wie gewöhnlich geschieht, für die einige allgemeine ausgiebt (ob sie zwar auf einen besondern Offenbarungsglauben gegründet ist, der als historisch nimmermehr von jedermann gefordert werden kann): so wird der, welcher ihren (besondern) Kirchenglauben gar nicht anerkennt, von ihr ein Ungläubiger genannt und von ganzem Herzen gehaßt; der nur zum Theil (im Nichtwesentlichen) davon abweicht, ein Irrgläubiger und wenigstens als ansteckend vermieden. Bekennt er sich endlich zwar zu derselben Kirche, weicht aber doch im Wesentlichen des Glaubens derselben (was man nämlich dazu macht) von ihr ab, so heißt er, vornehmlich wenn er seinen Irrglauben ausbreitet, ein Ketzer und wird so wie ein Aufrührer noch für strafbarer gehalten als ein äußerer Feind und von der Kirche durch einen Bannfluch (dergleichen die Römer über den aussprachen, der wider des Senats Einwilligung über den Rubicon ging) ausgestoßen und allen Höllengöttern übergeben. Die angemaßte alleinige Rechtgläubigkeit der Lehrer oder Häupter einer Kirche in dem Punkte des Kirchenglaubens heißt Orthodoxie, welche man wohl in despotische (brutale) und liberale Orthodoxie eintheilen könnte. – Wenn eine Kirche, die ihren Kirchenglauben für allgemein verbindlich ausgiebt, eine katholische, diejenige aber, welche sich gegen diese Ansprüche anderer verwahrt (ob sie gleich diese öfters selbst gerne ausüben möchte, wenn sie könnte), eine protestantische Kirche genannt werden soll: so wird ein aufmerksamer Beobachter manche rühmliche Beispiele von protestantischen Katholiken und dagegen noch mehrere anstößige von erzkatholischen Protestanten antreffen; die erste von Männern einer sich erweiternden Denkungsart (ob es gleich die ihrer Kirche wohl nicht ist), gegen welche die letzteren mit ihrer eingeschränkten gar sehr, doch keineswegs zu ihrem Vortheil abstechen. (108 f.)
Nach Kants Vorstellung käme es darauf an, dass sich die historischen Religionen mehr und mehr der wahren Religion annähern. Nur so ist den anhaltenden widervernünftigen Streitereien wirksam zu begegnen. Faktisch geht der Vorschlag in die Richtung eines schrittweisen Abbaus der kultischen und gottesdienstlichen Elemente, die vor allem als Ausdruck eines Fron- bzw. Lohnglaubens zu bewerten seien, zugunsten der einen moralischen Religion.
Vom Staat erwartet Kant religiöse Neutralität. Dass sich diese auch für Kant nicht einfach außerhalb der eigenen Interessen des Staates vollzieht, zeigt sich darin, dass die Neutralität ihre Grenzen da hat, wo es um die eigenen Ansprüche an seine Bürger geht: „Was den Staat in Religionsdingen allein interessieren darf, ist: wozu die Lehrer derselben anzuhalten sind, damit er nützliche Bürger, gute Soldaten und überhaupt getreue Unterthanen habe.“60
O. Höffe, Immanuel Kant, München 72007
U. Schultz, Immanuel Kant in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 2003
EXKURS: Eine Glosse über Kant von Heinrich Heine
Auch wenn die eigene Stellung von Heinrich Heine (1797 – 1856) zur Religion ein eigenes interessantes Thema wäre, beschränken wir uns hier auf seinen Kommentar zu Kant, wie er sich in der überaus gewitzten Schrift Zur Geschichte der Religion und |52◄ ►53| Philosophie in Deutschland (1834) findet. Mit journalistischem Schwung, scharfer Zunge, plastischer bis drastischer Bildlichkeit und ebenso umsichtiger wie treffsicherer Zuspitzung lässt Heine eine lebendige, ja beinahe spielerisch inszenierte Geschichte ablaufen, hinter deren großartiger Fassade sich allzumeist ganz ‚menschliche‘, und man kann wohl sagen, allzu menschliche Vorgänge verbergen. Doch es ist nicht nur die faszinierende Art, wie es Heine gelingt, die ‚große‘ Philosophie auf den Boden zu ziehen, sondern vor allem die scharfsinnige Diagnose der in seinen Augen eher verfahrenen Situation, die dem für die französische Zeitschrift Revue des deux mondes abgefassten Text einen besonderen Reiz gibt. Es werden ledig ein paar Beobachtungen zu Kant herangezogen und zwar zu seinem aus Gründen der praktischen Vernunft postulierten Gott auf dem Hintergrund seiner Kritik der reinen Vernunft:
Nach der Tragödie kommt die Farce. Immanuel Kant hat bis hier den unerbittlichen Philosophen trazirt, er hat den Himmel gestürmt, er hat die ganze Besatzung über die Klinge springen lassen, der Oberherr der Welt schwimmt unbewiesen in seinem Blute, es giebt keine Allbarmherzigkeit mehr, keine Vatergüte, keine jenseitige