gewonnen haben, daß ich willig meinen Verstand dem Seinigen unterworfen hätte; daß ich ihm in allen Dingen geglaubt hätte, in welchen eben so ungezweifelte Erfahrungen ihm nicht entgegen gewesen wären.
Oder; wenn ich noch itzt erlebte, daß Christum oder die christliche Religion betreffende Weissagungen, von deren Priorität ich längst gewiß gewesen, auf die unstreitigste Art in Erfüllung gingen; wenn noch itzt von gläubigen Christen Wunder gethan würden, die ich für echte Wunder erkennen müßte: was könnte mich abhalten, mich diesem Beweis des Geistes und der Kraft, wie ihn der Apostel nennt, zu fügen? (3 f.)
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Lessing bestreitet nun aber in der Tat, dass zu seiner Zeit Lehren weiter anerkannt werden müssen, die ihre Begründung in geschichtlichen Ereignissen haben, für die es zur Zeit Lessings keine Analogien und Evidenzen mehr gibt, weil sich die Vorstellungswelt des menschlichen Geistes fortentwickelt hat, wie er es in seiner Schrift Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780) beschreibt. Die geschichtlichen Offenbarungen werden von Lessing gleichsam als pädagogische Beschleunigungen eines geschichtlichen Entwicklungsprozesses der Vernunft verstanden, der sich grundsätzlich auch ohne sie vollzogen hätte, dann aber entschieden langsamer. Die Religion hat vermittels der geschichtlichen Offenbarungen dem Menschengeschlecht die Möglichkeit geboten, eine neue Entwicklungsstufe zu erreichen und damit die Zeit der Entwicklung aufs Ganze gesehen zu verkürzen. Aber das Wesen der Religion kann weder aus diesen Offenbarungen abgeleitet noch gar an sie gebunden werden. Es macht keinen Sinn, diese geschichtlichen Katalysatoren nun an sich zu verehren, indem sie aus ihrer Geschichtlichkeit in die Grundsätzlichkeit einer überzeitlich anzuerkennenden Wahrheit gehoben werden. Vielmehr verlieren sie ihre Bedeutung, wenn sie ihre Funktion erfüllt haben.
Das Wesen der Religion ist jenseits von diesen geschichtlichen Offenbarungen zu suchen. Es liegt in einer dem Menschen entsprechenden tragfähigen Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens nach Maßgabe der Vernunft. Das Geheimnis der Religion – so legt es Lessing in der berühmten Ringparabel in seinem Drama Nathan der Weise (1779) dar – liegt in der Wunderkraft, in der sie die Menschen gegenseitig und vor Gott beliebt und angenehm macht. Daran wird sich die Echtheit einer Religion entscheiden. Blickt sie nur auf sich selbst und liebt somit auch nur sich selbst, so ist sie falscher Schein – es muss sich um einen unechten Ring handeln, der nur vorgibt, ein Geheimnis zu haben. Es ist der weise Rat des Richters über die drei Religionen – Judentum, Christentum und Islam –, deren Erbe durch den jeweils gleichen Ring symbolisiert wird, dass sich die Echtheit nicht an der Religion selbst erweisen kann – möglicherweise sind alle drei Ringe Kopien und somit ‚unecht‘. Die Echtheit der Religion kann sich allein an dem erweisen, was von ihr für die Menschheit ausgeht.
Hat von euch jeder seinen Ring von seinem Vater:
So glaube jeder sicher seinen Ring den echten. –
Möglich, daß der Vater nun die Tyranney des Einen Rings nicht länger
In seinem Hause dulden wollen! – Und gewiß,
Daß er euch alle drey geliebt, und gleich geliebt: indem er zwey nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. – Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochenen
Von Vorurtheilen freyen Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring’ an Tag zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmuth,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohlthun, mit innigster Ergebenheit in Gott,
Zu Hülf’! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bey euern Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad’ ich über tausend tausend Jahre, |48◄ ►49|
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen,
Als ich, und sprechen. Geht! – So sagte der
Bescheidne Richter.55
Gern wird Lessing als Pionier der Toleranz zwischen den Religionen ausgegeben. Das wird man nur mit größter Zurückhaltung so aufrechterhalten können, denn ihm geht es mehr um die Verlagerung der Wahrheitsfrage von der Lehr- und Bekenntnisebene auf die Praxisebene als um die Anerkennung verschiedener Wahrheitsansprüche unterschiedlicher Religionen. Vielmehr ergibt sich aus der genannten Verlagerung mit innerer Notwendigkeit, dass die traditionell unterschiedenen Religionen gleichsam unversehens in einer Religion zusammenfallen, auch wenn sie sich dabei auf unterschiedliche Traditionen berufen. Nicht die Traditionen sind das Entscheidende – und deshalb stellt sich im Grunde auch gar nicht die Frage ihrer gegenseitigen Anerkennung –, sondern gerade der Erweis der einen gemeinsamen praktischen Wahrheit.
M. Fick, Lessing-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 22004 F. Niewöhner, Veritas sive varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern, Heidelberg 1988
9. Immanuel Kant
Die deutsche Aufklärung erreicht mit den Kritiken des Königsberger Philosophen Immanuel Kant (1724 – 1804) ihren Höhepunkt und zugleich auch ihre Grenze. Neben den Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis bewegte Kant vor allem die Frage der Beerbung der traditionellen Metaphysik durch die sittliche Selbstkonstitution des Menschen.
Mit der Kritik der reinen Vernunft eröffnete Kant 1781 die Reihe seiner berühmten Kritiken, mit denen er gleichsam das ganze Themenfeld der Philosophie abschreitet und auf einen selbstkritisch revidierten Stand zu bringen versucht. Ebenso wie in vielen anderen seiner Schriften kommt der zumindest indirekten Auseinandersetzung mit der Religion auch in dieser erkenntnistheoretischen Grundlagenschrift eine große Bedeutung zu. Kant setzt sich mit den traditionellen Gottesbeweisen (dem ontologischen, dem kosmologischen und dem physikotheologischen Gottesbeweis) auseinander und kommt zu dem ebenso klaren wie schlichten Resultat, dass sie alle keinen tragfähigen Gehalt haben.
Ich behaupte nun, daß alle Versuche eines bloß spekulativen Gebrauchs der Vernunft in Ansehung der Theologie gänzlich fruchtlos und ihrer inneren Beschaffenheit nach null und nichtig sind; daß aber die Prinzipien ihres Naturgebrauchs ganz und gar auf keine Theologie führen, |49◄ ►50| folglich, wenn man nicht moralische Gesetze zum Grunde legt, oder zum Leitfaden braucht, es überall keine Theologie der Vernunft geben könne. Denn alle synthetischen Grundsätze des Verstandes sind von immanenten Gebrauch; zu der Erkenntnis eines höchsten Wesens aber wird ein transzendenter Gebrauch derselben erfordert, wozu unser Verstand gar nicht ausgerüstet ist. Soll das empirisch gültige Gesetz der Kausalität zu dem Urwesen führen, so müßte dieses in die Kette der Gegenstände der Erfahrung mitgehören; alsdann wäre es aber, wie alle Erscheinungen, selbst wiederum bedingt.56
Die auf möglichst nüchterne Erkenntnis ausgerichtete Vernunft bleibt auf Anschauung angewiesen, der es hinsichtlich der Thematisierung Gottes gerade ermangelt, sodass es keine Gotteserkenntnis im Sinne exakter unvoreingenommener Erkenntnis geben kann. Das Zitat benennt bereits den Horizont, in dem die Theologie ihren Gegenstand findet: das moralische Gesetz. Es ist der Horizont der praktischen Vernunft, die den Bestimmungen der für den Menschen essenziellen Möglichkeit moralischer Verantwortlichkeit nachgeht und in dem sich auf spezifische Weise nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit ergibt, Gott zu denken. Die Notwendigkeit, von der hier die Rede ist, erscheint als eine Implikation eben der Notwendigkeit, die eine Erweiterung der reinen Vernunft hin zur praktischen Vernunft erforderlich macht. Nicht schon die Erkenntnis macht den Menschen zum Menschen, sondern erst die Möglichkeit sittlich verantwortlicher und d. h. freier Verwirklichung. Ohne die Ausrichtung des Lebens auf ein sittlich zu erreichendes Ziel, das Kant das höchste Gut nennt, bleibt der Mensch fremdbestimmt und damit unter seinem eigentlichen Niveau. Die apriorische Gegebenheit dieses Erfordernisses verlangt nach einem entsprechenden Gebrauch der Vernunft, den Kant die praktische Vernunft nennt. Das folgende grundlegende Zitat erschließt sich nur bei langsamer und möglicherweise auch mehrfacher