Wohle angemessen ist. (294f.)
W. Bartuschat, Baruch de Spinoza, München 2006
W. Röd, Benedictus de Spinoza. Eine Einführung, Stuttgart 2002
4. John Locke
Der englische Philosoph John Locke (1632 – 1704) gilt sowohl als Begründer des Empirismus als auch der modernen liberalen Staatsauffassung unter der Maxime der Volkssouveränität.
Neben dem von Hobbes (→ § 2,2) und Spinoza (→ § 2,3) in den Vordergrund gestellten Motiv des Friedens und der Sicherheit hebt Locke nun auch mit entschlossener Emphase das Motiv der Freiheit hervor, deren Schutz der Regierung Grenzen auferlegt und die Forderung einer Gewaltenteilung aufscheinen lässt (voll ausgebildet erst bei Montesquieu). Zwar kann der Staat ausdrücklich nicht die Oberherrschaft über die Religion beanspruchen, aber zugleich sind die zu tolerierenden Religionsgemeinschaften zu Loyalität und sittlichem Wohlverhalten dem Gemeinwesen gegenüber angehalten. Zwei Aspekte gilt es besonders hervorzuheben: a) die staatsphilosophisch begründete Toleranzforderung und b) den besonderen Zugang zum Gottesglauben und somit zur Religion.
a) Locke fordert, dass eine Gesellschaft so verfasst sein müsse, dass sie in Frieden und Sicherheit zusammenleben kann. Im Mittelpunkt steht dabei die Forderung der Toleranz, ohne die es keinen haltbaren Frieden geben kann, verbunden mit einer konsequenten Trennung von Kirche und Staat.
Es ist nicht die Verschiedenheit der Meinungen (die nicht vermieden werden kann), sondern die Verweigerung der Toleranz (die hätte gewährt werden können) für die, die verschiedener Meinung sind, die alle die Tumulte und Kriege erzeugt hat, die es in der christlichen Welt wegen der Religion gegeben hat. Die Häupter und Leiter der Kirche, von Habsucht und unersättlichem Verlangen zu herrschen getrieben, haben die oft von maßlosen Ehrgeiz besessene Obrigkeit und das auf seinen Aberglauben jederzeit eitle Volk gegen die, die anders denken als sie, entflammt und aufgeregt, indem sie in ihrem Widerspruch mit den Gesetzen des Evangeliums und den Vorschriften predigen, daß Schismatiker und Häretiker um ihren Besitz gebracht und vernichtet werden müßten. Und so haben sie zwei Dinge, die an sich höchst verschieden sind, vermischt und verwirrt: die Kirche und das Gemeinwesen.43
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Es ist eine gesellschaftliche und somit staatliche Aufgabe, die bürgerlichen Interessen zu schützen, worunter Locke versteht: „Leben, Freiheit, Gesundheit, Schmerzlosigkeit des Körpers und den Besitz äußerer Dinge wie Geld, Ländereien, Häuser, Einrichtungsgegenstände und dergleichen.“(13) Das Gewaltmonopol des Staates dient dem Schutz der bürgerlichen Rechte. Dabei fällt die Religion in die Freiheit des Bürgers, wobei sie sich selbst auch von jedem Zwang freizuhalten und auf die öffentliche Verehrung Gottes und den Erwerb des ewigen Lebens zu konzentrieren hat (vgl. 25 f.). In spekulativen Meinungen – so nennt Locke die Glaubensartikel – darf es weder von Seiten des Staates noch vonseiten der Religionsgemeinschaften irgendeinen Zwang geben, weil sie nicht in das Gebiet der menschlichen Macht fallen. Die Toleranz hat allein da ihre Grenze, wo die Existenz Gottes geleugnet wird, weil damit jede Verbindlichkeit infrage gestellt werde, durch welche die menschliche Gesellschaft zusammengehalten werde.
Von den Religionsartikeln sind einige praktisch, einige spekulativ. Obwohl nun beide in der Erkenntnis der Wahrheit bestehen, so beziehen sich doch diese bloß auf den Verstand, jene beeinflussen den Willen und das Verhalten. Daher können spekulative Meinungen und sogenannte Glaubensartikel, an die bloßer Glaube gefordert ist, keiner Kirche durch das Gesetz des Landes auferlegt werden. Denn es ist absurd, daß Dinge durch Gesetze eingeschärft werden sollten, die zu Stande zu bringen nicht in menschlicher Macht liegt. Zu glauben, daß dies oder das wahr ist, hängt nicht von unserem Willen ab... .
Ferner darf die Obrigkeit nicht das Predigen oder Bekennen von spekulativen Meinungen in einer Kirche verbieten, weil diese keinerlei Beziehungen auf die bürgerlichen Rechte der Untertanen haben. Wenn ein römischer Katholik glaubt, daß das, was ein andrer Brot nennt, wirklich der Leib Christi ist, so tut er dadurch seinem Nächsten kein Unrecht. Wenn ein Jude nicht glaubt, daß das Neue Testament Gottes Wort ist, so ändert er dadurch nichts an den bürgerlichen Rechten der Menschen. Wenn ein Heide beide Testamente bezweifelt, so darf er deswegen nicht als ein gefährlicher Bürger bestraft werden. Die Macht der Obrigkeit und die Besitztümer des Volkes können gleich sicher sein, ob nun einer diese Dinge glaubt oder nicht. Ich gestehe bereitwillig, daß diese Meinungen falsch und absurd sind. Aber es ist nicht die Aufgabe der Gesetze, für die Wahrheit von Meinungen, sondern für das Wohl und die Sicherheit des Gemeinwesens und der Güter und der Person jedes einzelnen Sorge zu tragen. So gehört es sich. (79f.)
Letztlich sind diejenigen ganz und gar nicht zu dulden, die die Existenz Gottes leugnen. Versprechen, Verträge und Eide, die das Band der menschlichen Gesellschaft sind, können keine Geltung für einen Atheisten haben. Gott auch nur in Gedanken wegnehmen, heißt alles dieses auflösen. Auch abgesehen davon können die, die durch ihren Atheismus alle Religion untergraben und zerstören, sich nicht auf eine Religion berufen, auf die hin sie das Vorrecht der Toleranz fordern könnten. Was andere praktische Meinungen, auch wenn sie nicht gänzlich von allem Irrtum frei sind, angeht, so kann es keinen Grund geben, sie nicht zu dulden, wenn sie nicht dahin zielen, eine Herrschaft über andere oder bürgerliche Straflosigkeit für die Kirche, in der sie gelehrt werden, einzuführen. (95)
In dem Text wird deutlich, dass Locke zwischen Heiden und Atheisten unterscheidet. Während die Atheisten das in Gott festgemachte Band des Zusammenhalts der Gesellschaft bestreiten und damit der Gesellschaft gleichsam ihren festen Rückhalt |35◄ ►36| entziehen, sind mit den Heiden diejenigen gemeint, die an andere als eben den christlichen oder den jüdischen Gott glauben.
b) Der besondere Zugang Lockes zur Religion hängt mit seinen philosophischen Grundentscheidungen zusammen, die ihn sowohl zum Begründer des englischen Empirismus als auch des aufklärerischen Rationalismus werden ließen. Alle Bewusstseinsinhalte werden durch äußere sinnliche oder innere Wahrnehmungen (Erfahrungen) hervorgerufen. Das Wissen um Gott ist dem Menschen nicht angeboren (wie bei Descartes oder Leibniz), aber unsere Vernunft führt uns „von der Betrachtung unserer selbst und dessen, was wir unfehlbar in unserer eigenen Beschaffenheit finden, zu der Erkenntnis dieser sicheren und offenkundigen Wahrheit, daß es ein ewiges, allmächtiges und allwissendes Wesen gibt.“44 Es handelt sich um ein Wissen, das „uns dann nicht entgehen kann, wenn wir uns nur mit unserm Denken ebenso darum bemühen wie um manche anderen Forschungen.“ (298) Auch wenn die biblische Überlieferung auf Offenbarung verweist, bleibt ihr Inhalt einer Prüfung nach bestimmten Kriterien der Vernunft ausgesetzt, die sich nicht einfach auf eine behauptete Autorität verlässt, sondern auf Klärung drängt. Nur so ist es möglich, ein klares Wissen von Gott zu erlangen. Ohne kritische Prüfung wird unsere Kenntnis über Gott „ebenso unvollkommen sein, wie die eines Menschen, dem man gesagt hat, die drei Winkel eines Dreiecks seien gleich zwei rechten, und der das auf Treu und Glauben hinnimmt, ohne den Beweis dafür zu prüfen. Er mag diesem Satz als einer glaubhaften Meinung zustimmen, hat aber keine Kenntnis von seiner Wahrheit, obwohl ihn seine Fähigkeit, sorgfältig angewandt, diese klar und einleuchtend machen könnte.“ (Bd. I, 101 f.) Die folgende Gedankensequenz legt dar, mit welchen Schritten Locke zu dem Gedanken vorstößt, dass die Vernunft als„natürliche Offenbarung“ anzusehen sei:
Erstens behaupte ich, daß kein von Gott inspirierter Mensch durch irgendwelche Offenbarung andern Menschen neue einfache Ideen mitteilen könnte, die sie nicht schon vorher auf Grund von Sensation und Reflexion besaßen... . Denn Wörter verursachen durch ihre unmittelbare Einwirkung auf uns keine anderen Ideen in uns als die ihrer natürlichen Laute; erst dadurch, daß sie gewohnheitsmäßig als Zeichen gebraucht werden, kommen sie dazu, in unserem Geist latente Ideen wachzurufen und wiederzubeleben, aber auch dann immer nur solche, die sich schon vorher da befanden. (Bd. II, 393 f.)
Zweitens behaupte ich, daß durch Offenbarung uns dieselben Wahrheiten enthüllt und überliefert werden können, die wir auch mit Hilfe der Vernunft und der auf natürlichem Wege erlangten Ideen entdecken können. So könnte