wird. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, wird der Staat mit besonderer Macht ausgestattet. Der staatliche Souveränitätsanspruch schließt auch die Bestimmungshoheit hinsichtlich der Religion ein, zumindest was ihre öffentliche Gestaltung anbelangt. Die als besonders friedensgefährdend angesehenen Religionen (gemeint sind hier zunächst vor allem die verschiedenen christlichen Konfessionen) werden hinsichtlich ihres Wahrheitsanspruchs ganz und gar in die Privatheit verwiesen, während die Religion als gesellschaftsintegrative Kraft konsequent unter die Regie des Staates gestellt wird. Da es weniger auf den Charakter der Religion als vielmehr ihren Vollzug ankommt, konzentriert Hobbes seine Aufmerksamkeit auf den Kult:
Der Kult ist nun entweder privat oder öffentlich. Privat ist der Kult, den die einzelnen Menschen nach eigenem Gutdünken ausüben; öffentlich der, den sie auf Geheiß des Staates ausüben. Der private wiederum wird entweder von einem einzelnen im geheimen ausgeübt oder von mehreren gemeinsam. Jener ist ein Zeichen aufrichtiger Frömmigkeit; denn wozu dient Heuchelei dem, den niemand sieht als nur der Eine, der auch die Heuchelei durchschaut? Der |28◄ ►29| gemeinschaftliche Kult dagegen kann erheuchelt sein und auf eigennützigen Nebenabsichten beruhen. Beim geheimen Kulte gibt es keine Zeremonien. Zeremonien nenne ich diejenigen Zeichen der Frömmigkeit von Handlungen, die nicht aus der Natur der Handlungen entspringen, sondern vom Staat willkürlich vorgeschrieben sind....
Öffentlicher Kult kann nicht ohne Zeremonien sein; denn öffentlicher Kult ist der, welcher auf Befehl des Staates als Zeichen der Verehrung, die man Gott entgegenbringt, von allen Bürgern, und zwar an bestimmten Stellen und zu bestimmten Zeiten, ausgeübt wird. Das Recht zu entscheiden, was geziemend ist, was nicht, steht beim öffentlichen Gottesdienst nur dem Staate zu. Zeremonien als Zeichen der Frömmigkeit von Handlungen fließen nicht nur, wie beim rein vernünftigen Kult, aus der Natur der Handlung selber, sondern können auch vom Staate willkürlich festgesetzt werden. Daher vieles sich im Gottesdienst bei einem Volke finden muß, was bei einem anderen nicht ist, so daß bisweilen der Kult der einen von den anderen verlacht wird. Einen von Gott unmittelbar angeordneten Kult hat es niemals gegeben außer bei den Juden, da er selbst ihr König war. Bei den anderen Völkern waren die Zeremonien zwar bei einigen vernünftiger als bei anderen, bei allen indessen gebot die Vernunft, die durch das staatliche Gesetz angeordneten Zeremonien auszuüben.39
In der Unterscheidung von öffentlicher und privater Religion kommen die Kirchen auf der Seite der privaten Religion zu stehen. Die dogmatischen Fragen und mit ihnen eben auch alle konfessionellen Konflikte werden zu einer Privatangelegenheit erklärt. Diese Unterscheidung von privater und öffentlicher Religion hat sich bis hinein ins 19. Jahrhundert ausgewirkt und ihre Nebenwirkungen lassen sich bis heute ausmachen.
Die Religion, soweit sie von allgemeiner Relevanz ist, wird konsequent der Staatsraison unterworfen. Sie ist allein im Blick auf ihre praktischen Auswirkungen zugunsten des öffentlichen Lebens von Interesse. Der allein für den Frieden zuständige Souverän bestimmt die Art und Weise der öffentlichen Gottesverehrung. Die Kirchen haben sich uneingeschränkt den staatlichen Gesetzen zu unterwerfen, da sich in ihren Grundlagen keine besondere Belehrung über die öffentlichen Angelegenheiten finden:
Ferner hat unser Erlöser den Bürgern keine andern Gesetze in betreff der Staatsregierung gegeben, als die natürlichen Gesetze, d. h. das Gebot zum bürgerlichen Gehorsam. Deshalb darf kein Bürger für sich bestimmen, wer dem Staate als Freund oder Feind gelten soll, wann ein Krieg begonnen, wann ein Bündnis, wann Friede oder Waffenstillstand geschlossen werden soll; auch hat kein Bürger darüber zu entscheiden, welche Bürger, welche und welcher Menschen Machtbefugnisse, welche Lehren, welche Sitten, welche Reden, welche und welcher Menschen Verbindungen das Wohl des Staates fördern oder gefährden. Also gebührt die Entscheidung über alles dies und ähnliches, soweit es nötig ist, dem Staate, d. h. dem höchsten Herrscher.40
Der Text macht die Konsequenz deutlich, mit der Hobbes die Kirchen auf die Pflege der privaten Frömmigkeit beschränkt und ihnen jeden Öffentlichkeitsanspruch entzieht .|29◄ ►30| Das, was für die Kirchen gilt, ist auch Gesetz für die anderen im Staate existierenden Religionen, die im christlichen Staat auch am christlichen Gottesdienst teilnehmen müssen. Die Radikalität, in der Hobbes die Souveränität des Staates sichert, zeigt sich darin, dass er mit der Machtzuschreibung an den Staat bis an die Grenze zur Euthanasie vorstößt, indem er ihm das Recht zumisst, darüber zu entscheiden, was ein Mensch oder eben keiner ist und daher auch getötet werden dürfe:
Hat z. B. eine Frau ein Kind von ungewöhnlicher Gestalt geboren und verbietet das Gesetz die Tötung eines Menschen, so entsteht die Frage, ob dieses Kind ein Mensch sei, und es erhebt sich also die weitere Frage, was ein Mensch sei. Hier wird niemand zweifeln, daß die Entscheidung dem Staate zusteht, ohne daß man auf die Definition des Aristoteles, wonach der Mensch ein vernünftiges Geschöpf ist, Rücksicht nehmen kann. Von allen diesen Gegenständen, nämlich Recht, Politik und Naturwissenschaften, hat Christus erklärt, daß es nicht zu seinem Amt gehöre, darüber Vorschriften und Lehrsätze aufzustellen, bis auf den einen, daß die einzelnen Bürger bei allen Streitigkeiten hierüber den Gesetzen und Urteilssprüchen ihres Staates zu gehorchen hätten. (287)
Der despektierliche Umgang mit den Kirchen hat seine Ursachen nicht nur in ihrer flagranten Zerstrittenheit, sondern im Hintergrund steht auch eine rationalistische Ableitung der Religion aus der charakteristischen Eigenschaft des Menschen, über sich selbst hinaus zu fragen. Dort, wo keine Antworten mehr erreichbar sind, gibt schließlich die Phantasie die benötigten Antworten. Wo diese Antworten dann gemeinschaftsbildend werden, ist der Mutterboden für die Religionen zu suchen. Es sind drei Dimensionen des menschlichen Fragens, die in den Religionen auf unterschiedliche Weise entsprechende Antworten bereitstellen:
Erstens ist es eine Eigenart der Natur des Menschen, den Ursachen der Ereignisse, die er sieht, nachzugehen, der eine mehr, der andere weniger. Aber alle Menschen besitzen sie so sehr, daß sie die Ursachen ihres eigenen Glücks oder Unglücks gerne wissen möchten.
Zweitens. Sehen die Menschen ein Ding, das einen Anfang hat, so nehmen sie auch an, daß es eine Ursache hatte, die es dazu bestimmte, gerade zu diesem Zeitpunkt seinen Anfang zu nehmen und nicht früher oder später.
Drittens. Während die Tiere kein anderes Glücksgefühl als den Genuß des täglichen Futters, von Ruhe und von Lust kennen, ... beobachten die Menschen, wie ein Ereignis von einem anderen hervorgebracht wurde und erinnern sich dabei an das, was vorausgegangen war und was darauf folgte. Und kann er sich über die wahren Ursachen der Dinge keine Klarheit verschaffen (denn die Ursachen von Glück und Unglück sind meistens unsichtbar), so nimmt er Ursachen an, die entweder seiner eigenen Phantasie entstammen, oder er vertraut der Autorität anderer Menschen, die er für seine Freunde und für klüger als sich selbst hält.41
Während Hobbes ‚Gott‘ als die Bezeichnung einer ersten und ewigen Ursache alle Dinge ansieht, erkennt er in den Göttern eine menschliche Umgangsweise mit der ihn beschleichenden Furcht vor der Ungewissheit der Zukunft, sodass konsequent betrachtet „ebensoviel Götter erdichtet werden als es Menschen gibt, die sie erdichten. “ (83)
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Gleich zu Beginn der Aufklärung schlägt Hobbes einen kräftigen Grundakkord an. Die Religion wird einerseits hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts dem privaten Glauben zugewiesen, der seinem Wesen nach die Grenzen der Rationalität zur eigenen Selbstvergewisserung überschreitet. Zugleich wird der moralische Nutzen der Religion in die souveräne Obhut des Staates gestellt, in der er im Rahmen der ihm zur Friedenssicherung zugewiesenen Machtbefugnisse frei über sie verfügen kann.
W. Kersting, Thomas Hobbes zur Einführung, Hamburg 1992 H. Münkler, Thomas Hobbes, Frankfurt/M. 2001
3. Baruch de Spinoza
Der niederländische Philosoph Baruch (Benedictus) de Spinoza (1632 – 1677) wurde bereits vor seiner öffentlichen Wirksamkeit mit dem Vorwurf freigeistiger Irrlehre aus der Synagoge in Amsterdam ausgeschlossen. Später wurde ihm Pantheismus oder gar Atheismus vorgeworfen.