Gott handelt die Dogmatik in allen ihren Teilen. Es gibt kein dogmatisches Problem, das unabhängig von der Gotteslehre zu erörtern wäre und dessen Klärung nicht auch zur Gotteserkenntnis beitrüge.“ „Die Wahrheit des Glaubens hängt an der Wahrheit Gottes. […] Dann ist also der eigentliche Gegenstand der Dogmatik, gerade weil es in ihr um den Gehalt des Glaubens geht, Gott selbst in seiner Zusage.“17 Denn „das eine Geheimnis des Glaubens in den vielen Glaubensgeheimnissen“18 besteht in der heilsgeschichtlichen Mitteilung des dreieinigen Gottes: Gott, der als Vater, Sohn und Heiliger Geist das lebendige Leben der Liebe verkörpert, erschuf den Menschen als geliebtes Gegenüber, um ihm an seiner Liebe Anteil zu geben. Die Abwendung des Menschen beantwortete Gott durch seine bis in den Tod führende Selbsthingabe im Sohn, um seine Geschöpfe im Heiligen Geist erneut in die Gemeinschaft seiner Liebe zu führen. Diese Glaubensgrundlage, die alle dogmatischen Traktate durchwaltet, legt es nahe, die Trinitätslehre als präludierenden Traktat bzw. als Formalobjekt an den Anfang der Dogmatik zu stellen. Dadurch ist der Zusammenhang der materialen Aussagen der übrigen dogmatischen Traktate gegeben, die dann als Ausführung der Trinitätslehre zu gelten haben.19 So entfaltete etwa Karl Barth die Trinitätslehre am Anfang seiner Kirchlichen Dogmatik, und zwar im Kontext der Offenbarungslehre, weil sich der dreieinige Gott in der Heilsgeschichte als solcher offenbart hat. Damit wollte Barth auch zur Überwindung der seit Thomas von Aquin vielfach vollzogenen Unterscheidung der Traktate „De Deo uno“ und „De Deo trino“ beitragen.20 Denn diese unangemessene Trennung hatte zur Vorordnung der – als natürlich erkennbar behaupteten – Einheit Gottes geführt, welcher dann das – zu offenbarende – trinitarische Gottesverständnis nachgeordnet wurde. Wie Barth und viele andere theologische Entwürfe aus den verschiedenen Konfessionen verankerte auch Wolfhart Pannenberg die Trinitätslehre in der Offenbarungslehre, um die Bestimmung der gesamten Dogmatik durch die trinitarische Gotteslehre umsetzen zu können.21
Darüber hinaus ist die trinitarische Gotteslehre insgesamt als „‚Summe und Inbegriff‘ der christlichen Theologie“22 zu bezeichnen, da sie auch alle anderen theologischen Disziplinen bestimmt. Das gilt für die Ethik ebenso wie für die Praktische Theologie oder den Dialog mit anderen Religionen. Hinsichtlich der Ethik ergeben sich für den Menschen als Ebenbild Gottes (lat. imago Dei) aus dem gemeinschaftlichen, relationalen und partizipatorischen Wesen Gottes sowohl individualethische als auch sozialethische Implikationen. Ferner verweist das Zusammenspiel der drei Glaubensartikel auf eine angemessene Zuordnung schöpfungsethischer und versöhnungsethischer Perspektiven, was besonders die Verhältnisbestimmung von natürlichen Voraussetzungen und soteriologischen Kriterien betrifft und damit das Verhältnis von Kirche und Welt. In der Praktischen Theologie sind die Implikationen der trinitarischen Gotteslehre für die Homiletik, Katechetik, Sakramentslehre (Taufe, Abendmahl) oder Liturgik ebenfalls offensichtlich. Denn Gott wird in allen Konfessionen in Gebet und Lobpreis trinitarisch angeredet sowie im Bekenntnis entsprechend bekannt,weil sich Gemeinschaft mit dem Vater im Gottesdienst durch den Heiligen Geist im Sohn vollzieht, und zwar in Antwort auf die heilsgeschichtliche Zusage von Vater, Sohn und Heiligem Geist. „Die Offenbarung […] ,trägt das trinitarische Siegel in ihrer Bewegung hin zum Menschen und in der Antwort der Menschheit an Gott‘.“23 Aus der trinitarischen Doxologie im Gottesdienst erwächst eine entsprechende Orthopraxie im Glaubensleben.24 Im Blick auf den interreligiösen Dialog bieten die verschiedenen Dimensionen des Wesens des dreieinigen Gottes vielfältige Aspekte von Anknüpfung und Differenz, nicht zuletzt in Bezug auf das Wirken des Heiligen Geistes (siehe Kap. XII).
Die hier nur angedeutete umfassende Relevanz der christlichen bzw. trinitarischen Gotteslehre für alle Bereiche von Theologie, Kirche, Mensch und Welt soll in dem vorliegenden Band erschlossen werden.
Vor dem Hintergrund der ersten beiden Abschnitte empfiehlt sich der gewählte Aufbau der Gotteslehre. Nachdem in der Einführung (I. Kap.) die konstitutive Bedeutung der trinitarischen Gotteslehre für sämtliche Grundfragen des Lebens sowie für die gesamte Theologie aufgezeigt wurde (Gotteslehre als Einführung in die gesamte Theologie) und damit ihre unverzichtbare Relevanz für die Weitergabe des christlichen Glaubens in „Gemeinde“ und „Schule“ hervortrat, soll anschließend das Spektrum der religionsgeschichtlichen, philosophischen und theologischen Dimensionen der Gotteslehre erörtert werden (II. Kap.). Es geht darum, zunächst allgemein die verschiedenen religionsgeschichtlichen und philosophischen „Zugänge zum Gottesbegriff“ darzulegen, um daran anknüpfend die „Transzendenz von Welt und Mensch“ aufzuzeigen, welche jeweils über sich selbst hinausweisen. So lassen sich die kosmologischen und anthropologischen Bedingungsmöglichkeiten von Gottesahnung und Gotteserkenntnis verdeutlichen. Dann sollen die dem Gottesbegriff „angemessenen Erkenntnisvoraussetzungen“ dargelegt werden, die den christlichen Gottesbegriff im Kontext anderer hermeneutischer Zugänge als trinitarische Selbsterschließung Gottes erkennen lassen, welche sich in der Geschichte durch Wort und Tat vollzieht. Aufgrund dieser Voraussetzungen ist anschließend das Verhältnis von „Glaube und Vernunft“ angemessen zu analysieren.
Die gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen es, die Grundlagen christlicher bzw. trinitarischer Gotteslehre in ihrem philosophischen und religiösen Kontext (III. Kap.) transparent werden zu lassen. Hierbei tritt auf „biblischer Basis“ hervor, wie die christliche Gotteslehre im Kontext von Philosophie und Religion durch die Kirchenväter in West und Ost entfaltet wurde. So lässt sich zeigen, auf welche Weise die altkirchliche neunizänische Theologie als Vorlage für das Ökumenische Bekenntnis von Konstantinopel (381) eine „philosophische und religiöse Revolution“ vollzog – sowohl im Blick auf den Gottesbegriff als auch im Blick auf den anthropologischen Personbegriff. Dadurch wurde allgemein nachvollziehbar, was die Dreieinigkeit Gottes bedeutet und dass durch den „trinitarischen Gottesbegriff“ ein Verhältnis freier Gemeinschaft der Liebe zwischen Gott und Mensch möglich ist, wie es vorher in der Weise in anderen Religionen und philosophischen Konzeptionen nicht gegeben war. Zugleich kommen die Implikationen der aufgezeigten Entwicklung für die „Christologie“ zum Tragen: Jesus Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch.
Auf dieser für alle christlichen Kirchen bis heute gültigen Grundlage des 4. und 5. Jahrhunderts werden dann die – auch ökumenisch relevanten – trinitätstheologischen Entwicklungen in Ost- und Westkirche mit ihren ekklesiologischen Implikationen untersucht (IV. Kap.). Die von den unterschiedlichen hermeneutischen Mentalitäten bzw. Denkvoraussetzungen im Abend- und Morgenland geprägten Weiterentwicklungen führten zu offenbarungs- und trinitätstheologischen „Einseitigkeiten in Ost- und Westkirche“, welche wiederum Einseitigkeiten im Kirchenverständnis nach sich zogen. Diese Entwicklungen wirken sich bis heute aus, wofür die Filioque-Kontroverse als Beispiel genannt werden kann: Die westlichen Kirchen haben später einseitig in das Ökumenische Bekenntnis von 381 eingefügt, dass der Heilige Geist von Vater „und Sohn“ (lat. filioque) ausgeht. Bis in die Gegenwart besteht hierin ein zentraler Streitpunkt zwischen Ost- und Westkirchen, der auch immer wieder für Unterschiede im Kirchenverständnis verantwortlich gemacht wird. Deshalb wird ein „Lösungsvorschlag für das Filioque-Problem“ entfaltet.25
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen lässt sich die Bedeutung der Trinitätslehre für die Reformation differenziert analysieren (V. Kap.). Dabei tritt hervor, welches zentrale Gewicht „Luthers Rückgriff auf die gemeinsame altkirchliche Trinitätslehre“ für seinen reformatorischen Durchbruch und das reformatorische Kirchenverständnis hatte, was von Teilen der bisherigen Lutherforschung vernachlässigt wurde. Ferner soll die „trinitätstheologische Verankerung von Zwingli und Calvin“ in ihrer Bedeutung für die reformatorische Entwicklung zum Tragen kommen.
Anschließend wird die Gotteslehre im Kontext der Aufklärung dargelegt (VI.