Rebekka Horlacher

Bildung


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Bildungsbegriff erneut ein Revival. Mit dem Begriff der Bildung wird diesmal gegen die Ökonomisierung der Welt argumentiert, aber auch konservative Erziehungsvorstellungen vertreten (Kapitel 7). Dabei zeigt sich, dass der Begriff immer dann intensiv diskutiert bzw. politisch aufgeladen verwendet wird, wenn es darum geht, Lösungen für eine als Krise empfundene Situation zu formulieren.

      Vor diesem Hintergrund soll Bildung hier nicht als Begriff endgültig geklärt, definiert und systematisch beschrieben werden, sondern es geht darum zu zeigen, wie und in welchen Kontexten er weshalb und wie verwendet wurde. Damit können die impliziten Erwartungen und Ideen, die mit dem Bildungsbegriff verbunden sind, sichtbar gemacht werden. Es wird zu zeigen sein, dass sich mit dem Begriff «Bildung» Vorstellungen von Innerlichkeit und Selbstbildung verbinden, dass er als ästhetisches Ideal gilt und dass er sowohl unpolitisch im Sinne einer Abgrenzung von der Gesellschaft als auch als politischer Kampfbegriff verwendet werden kann. Damit zeigt sich auch die große Anpassungsfähigkeit dieses Begriffes, der sich damit als perfektes Beispiel dafür erweist, was der britische Erziehungsphilosoph Israel Scheffler in seinem 1960 erschienenen Buch The Language of Education als «pädagogischen Slogan» bezeichnet hat.

      Diese Einführung konzentriert sich – bedingt durch die Geschichte des Begriffs – auf die deutschsprachige Diskussion, die wesentlich von Deutschland bestimmt wurde. Eine Ausnahme bilden die Diskussionen im 18. Jahrhundert, da hier die europäische Herkunft des Bildungsbegriffs nachgezeichnet wird, die von der deutschsprachigen Entwicklung genutzt wurde, um den Bildungsbegriff in expliziter Abgrenzung dazu als eigenen Begriff neu zu definieren. Eine weitere Ausnahme ist auch das siebte Kapitel, das sich mit der zeitgenössischen Verwendung des Bildungsbegriffs befasst. Sowohl in der englischen als auch in der skandinavischen Philosophy of Education lassen sich nämlich Bemühungen finden, Bildung als Konzept für die eigene Theoriediskussion fruchtbar zu machen. Bildung ist aber auch im spanischen Kontext zu einem Begriff geworden, und auch hier zeigt sich, dass mit dem Begriff der Bildung Politik betrieben werden kann.

      Bildung hat in der deutsch(sprachig)en Diskussion offenbar das Potenzial, sich verschiedenen historischen, sozialen und kulturellen Kontexten anzupassen, ohne dadurch seine Bedeutungs- und Strahlkraft einzubüßen. Die Stärke von Bildung dürfte wohl gerade in dieser Wandelbarkeit, Offenheit oder Beliebigkeit liegen. Zudem scheint mit den Versuchen, Bildung in der postmodernen Gesellschaft als Konzept zu formulieren, das als Citizenship Education den Menschen befähigt, vernünftig, selbst bestimmt und verantwortlich in einer komplexen Gesellschaft zu agieren, auch der Sprung ins 21. Jahrhundert zu gelingen.

      Literatur

      Ehrenpreis, Stefan (2010): Schule und Bildung im vormodernen Rheinland. Überlegungen zur Periodisierung und regionalen Vernetzung. In: Andreas Rutz (Hg.): Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft (1250 – 1750). Köln: Böhlau, S. 295 – 325

      Koselleck, Reinhart (1990): Einleitung – Zur anthropologischen und semantischen Struktur der Bildung. In: Reinhart Koselleck (Hg.): Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil II: Bildungsgüter und Bildungswissen. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 11 – 46

      Manhart, Sebastian (2009): Der Preis der Freiheit. Bildung, Wissen, Organisation. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 29, H. 1, S. 80 – 96

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      Bildung im Profil

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      Die Grundlagen des Bildungsbegriffs im 18. Jahrhundert

      Bildung als Begriff wird im späten 18. Jahrhundert konstruiert. Ganz unterschiedliche Faktoren dienen dabei als Anregungen, die zudem oft auch nichts miteinander zu tun hatten. Zunächst spielte der Pietismus eine wichtige Rolle, eine Reformbewegung des europäischen Protestantismus mit dem Ziel, das religiöse und gesellschaftliche Leben durch die Etablierung einer inneren Glaubenshaltung des Individuums zu erneuern. Bedeutend wurde sodann die englische Philosophie des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts, die die beiden Konzepte Vernunft und Glauben theoretisch zu verbinden suchte und damit eine Alternative zur rationalen und materialistischen Aufklärungsphilosophie anbot. Aus dem englischen Kontext stammte auch das Konzept der «Politeness», das eine Möglichkeit der sozialen Selektion formulierte, ohne dafür auf ständische Herkunft zurückzugreifen. «Politeness» ist aber nicht ohne Rückgriff auf die konkrete politische und religiöse Situation Englands im 16. und 17. Jahrhundert zu verstehen. Zudem spielte die Frage nach dem Zusammenhang von Ästhetik und Ethik eine Rolle, weil damit die Frage von Moral und Tugend diskutiert werden konnte.

      «Bildung»: Neuankömmling im späten 18. Jahrhundert

      1783 stellte der Berliner Pfarrer Johann Friedrich Zöllner in der Berlinischen Monatsschrift skeptisch die Frage, was «Aufklärung» überhaupt sei. Ein Jahr später veröffentlichte dieselbe Zeitschrift verschiedene Antworten auf diese Frage, darunter auch die später berühmt gewordene Abhandlung Immanuel Kants mit dem programmatischen Titel Was ist Aufklärung? (1784). Eine – damals – nicht weniger prominente Stellungnahme stammte vom jüdischen Aufklärungsphilosophen Moses |12◄ ►13| Mendelssohn, der gleich zu Beginn seiner Überlegungen festhielt, dass Aufklärung, Kultur und Bildung neue Worte innerhalb der deutschen Sprache seien. Damit beschrieb er die historische Situation gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Bezug auf den Bildungsbegriff im deutschsprachigen Kontext und verwies darauf, dass diese drei Begriffe nicht an bestehende Traditionen anknüpften, sondern etwas «Neues» bezeichneten. Für Mendelssohn hing diese Einschätzung der Neuheit damit zusammen, dass der Begriff nur in spezifischen Fachdiskursen Eingang gefunden habe und sich als breites, pädagogisch ausgerichtetes Konzept erst zu etablieren beginne. Damit charakterisierte Mendelssohn treffend die zeitgenössische Verwendung des Begriffs. Er wurde in verschiedenen Kontexten und in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht und war in dem Sinne noch kein Begriff oder Konzept, sondern ein Wort, das uneinheitlich und nicht aufeinander Bezug nehmend gebraucht wurde.

      Mendelssohn bestimmte Kultur und Aufklärung als Teile der Bildung. Mit dem Begriff der Kultur bezeichnete er Fertigkeiten und praktische Fähigkeiten; heute würde dafür auch der Begriff der Skills oder Literacy verwendet werden. «Aufklärung» wiederum war der Begriff für das Theoretische, für die vernünftige Erkenntnis. Eine gebildete Nation, eine gebildete Sprache oder ein gebildeter Mensch waren demnach Begriffe, welche die Vereinigung von Kultur und Aufklärung bezeichneten. Gebildet war in dieser Vorstellung jemand, der praktische Fähigkeiten mit theoretischen, vernunftgeleiteten Überlegungen in Übereinstimmung bringen konnte.

      Freilich: Auch wenn Mendelssohn den Begriff Bildung in seiner Abhandlung als «neuen Begriff» bezeichnete, tauchte er schon in früheren Texten des 18. Jahrhunderts auf und war von Konzepten geprägt, die auf lange Traditionen zurückblicken konnten. Seine Bedeutung speiste er dabei aus spezifischen Vorstellungen, die ihrerseits nicht ohne ihre sozialgeschichtlichen Rahmenbedingungen zu verstehen sind.

      Der Schweizer Philosoph Johann Georg Sulzer etwa benutzte den Begriff in seinem Versuch von der Erziehung und Unterweisung der Kinder (1745), in welchem er von der «Bildung des Verstandes und des Urteils» als Hauptziel der Erziehung und vor allem auch der Schule sprach. Für Sulzer ist Bildung in erster Linie die Ausbildung des Verstandes, also die Entwicklung der rationalen Fähigkeiten des Kindes, da nur diese den Menschen zu vernünftigen, das heißt tugendhaften Handlungen führen können. Die Entwicklung des Verstandes allein war für Sulzer keine Garantie für das angestrebte Erziehungsziel. Genauso wichtig sei die Bildung des Gemütes, da erst dadurch tugendhafte Handlungen möglich würden. |13◄ ►14| Besonders geeignet für diese Art der Erziehung seien Beispiele und Vorbilder, da mit diesen mehr Eindruck erzeugt werden könne als durch die Belehrung mit reinen Worten. Da diese Möglichkeit aber gerade in der Schule nur im beschränkten Umfang zur Verfügung stand, wurde die Kunst als Hilfsmittel herangezogen. Durch Beispiele aus der Malerei und Plastik konnten den Kindern Szenen aus dem Leben vorgestellt werden, die durch ihre Ästhetik einen direkten Zugang zum Gemüt ermöglichten und so die gewünschte erzieherische Wirkung entfalten könnten.

      Bildung nimmt auch in Friedrich Gottlieb Klopstocks Messias