Rebekka Horlacher

Bildung


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aber von dem traditionellen Heldenepos ab und steigerte den Wert des Epischen grundsätzlich dadurch, dass es sich einem religiösen «Helden» zuwandte. Klopstock reduzierte zudem die sonst übliche Handlungszentriertheit der Epik und konzentrierte sich auf den Aspekt der Teilnahme. Der Messias sollte deshalb nicht durch eine mitreißende Geschichte «wirken», sondern durch das Hervorrufen von Gefühlen bei den Lesenden, womit der Anknüpfungspunkt für Bildung gegeben war: Nicht nur die Figuren des Epos, sondern auch die Leserschaft sollten in eine teilnehmende Haltung mit dem Ziel der moralischen Läuterung versetzt werden. Zweck dieser pädagogisierten Literatur war die Erschaffung des Bildes von Gott im Menschen, wobei vorausgesetzt wurde, dass die moralische Instanz auf Erden im Individuum angelegt, das heißt innerlich sei. Ähnlich wie Sulzer war auch für Klopstock nicht der ‹reine› Verstand, sondern das Gemüt entscheidend für die Beeinflussung durch Erziehung. Damit wird deutlich, dass Bildung in diesen Texten immer im Zusammenhang von mentalen und emotionalen Entwicklungsprozessen diskutiert wurde. Es ging um die Frage, mit welchen Mitteln ein bestimmtes Ziel erreicht werden könne.

      Im Unterschied zu Klopstock oder Sulzer formulierte Mendelssohn in seinem Aufsatz keine Verbindung von Bildung und Erziehung; diese konstruierte erst die pädagogische Geschichtsschreibung. Mendelssohns Bildungsbegriff beschäftigte sich nicht mit einem (unklaren) Mehrwert bei erzieherischen, sozialisatorischen oder unterrichtlichen Prozessen, sondern mit der Verbindung von praktischen und theoretischen Fähigkeiten beim Menschen. Mit seinem Verweis, dass noch lange nicht alles, wofür keine Begriffe vorhanden seien, auch nicht existiere, relativierte Mendelssohn seine eigene Aussage von der Neuheit des Bildungsbegriffs. Er betonte, dass Bildung, Kultur und Aufklärung für ihn denn auch ein Ausdruck des gesellschaftlichen Lebens und Resultat der |14◄ ►15| Bemühungen seien, das Zusammenleben der Menschen zu verfeinern, stilvoll zu gestalten, zu «kultivieren». Bildung beschrieb bei Mendelssohn das Bemühen einer Gesellschaft, sich den Anforderungen der Zeit in einem positiven Sinn anzupassen.

      Für Mendelssohn waren die Griechen das Vorbild einer gebildeten Nation, die Franzosen verkörperten für ihn das negative Beispiel. Sprache bezeichnete er als wichtiger Indikator für das Maß der Bildung, ein Aspekt, der später auch für die klassische Bildungstheorie des Neuhumanismus wichtig wurde (vgl. Kapitel 3). Mendelssohn unterschied zudem die Bestimmung des Menschen für einen öffentlichen und einen privaten Bereich und reihte sich damit in eine Gruppe von Autoren ein, die eine Trennung von Mensch als Bürger und Mensch als Mensch postulierten. Diese Systematisierung wurde in der pädagogischen Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen, erlaubte sie doch nicht nur einen Gegensatz zwischen Berufsbildung und Allgemeinbildung zu formulieren, sondern ermöglichte auch eine zeitliche Gliederung (vgl. Kapitel 4).

      In der historiographischen Rekonstruktion der konzeptionellen Trennung von Mensch und Bürger stützte sich die pädagogische Geschichtsschreibung auf die Rousseau-Rezeption der deutschen Aufklärungspädagogik und stellte die Idee der perfectibilité – was in der Regel mit Vervollkommnung oder Vervollkommnungsfähigkeit übersetzt wurde – ins Zentrum ihrer Überlegungen. Die Begründung für dieses Konzept wurde bei Jean-Jacques Rousseaus zweitem Discours (Discours sur l’Origine et les Fondements de l’Inégalité parmi les Hommes, 1755) gesehen, in welchem ein Naturzustand von einem gesellschaftlichen Zustand unterschieden wurde, der sich aufgrund der Vorstellung der menschlichen perfectibilité zwangsmäßig ergab. Während bei Rousseau aber ein Gegensatz zwischen Natur und Gesellschaft bestehen blieb und die Entwicklung der Menschheit als eigentliche Verfallsgeschichte dargestellt wurde, verband die deutschsprachige Rezeption die Idee der Vervollkommnung mit der Natur des Menschen; eine Verbindung, die in der Folge mit dem Begriff Bildung bezeichnet wurde. Mit Bildung wurde damit die Möglichkeit geschaffen, die Natur, verstanden als Wesen des Menschen, auch innerhalb der Gesellschaft zu vervollkommnen und so zur inneren Moralität zu gelangen.

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      Die Bedeutung der Religion

      Bildung als Konzept weist aber auch religiöse Wurzeln auf. Mit Bildung wurde eine äußere Erscheinung bezeichnet, aber auch die innere Gestalt, was den Begriff für die im Deutschland des 18. Jahrhunderts dominante religiöse Strömung des Pietismus, eine der bedeutendsten Reformbewegungen des europäischen Protestantismus zwischen Reformation und Aufklärung, anschlussfähig machte. Während sich in England und vor allem auch in Frankreich die «Aufklärung» bzw. die «Aufklärer» mehr oder weniger deutlich und dezidiert gegen Kirche und Religion abgrenzten, waren die meisten deutschsprachigen Aufklärer eng mit dem lutherischen Protestantismus verbunden. Diese Verbundenheit bezog sich nicht zwingend auf die Kirche als konkrete Organisationsform, sondern viel mehr auf eine religiöse Grundhaltung. Unter diesen Voraussetzungen ist es deshalb auch nicht erstaunlich, dass im deutschsprachigen Kontext immer auch die Frage wichtig war, wie «Aufklärung», verstanden als Vorherrschaft der Vernunft, mit der Religion verbunden werden könne. Eine Frage, die auch die Formulierung von Bildung entscheidend prägte.

      Der Pietismus verfolgte das Ziel, das religiöse und gesellschaftliche Leben durch die geistliche Wiedergeburt des Individuums biblisch zu erneuern. Als Programmschrift gilt Philipp Jakob Speners Pia Desideria (1675), ein umfassendes Reformprogramm für die lutherische Kirche, die eine individuelle Frömmigkeit propagierte. Spener ging in dieser Schrift von einer allgemeinen Reformbedürftigkeit der Kirche aus, da bei den Gläubigen, aber vor allem auch bei den Geistlichen zu wenig wahrer Glaube zu spüren sei. Dies musste seiner Ansicht nach verändert werden, wobei die Veränderungsabsicht nicht primär auf die Institution Kirche zielte, sondern auf die Veränderung der Einstellung und Haltung des einzelnen Gläubigen, das heißt auf die persönliche Seele. Erreicht werden sollte dieses Ziel durch eine vertiefte und breit stattfindende Auseinandersetzung mit den biblischen Texten, die durchaus auch außerhalb der Organisation Kirche stattfinden konnte. Mit dieser sich auf das Neue Testament berufenden Interpretation des christlichen Glaubens erhielten die Gläubigen eine eigenständige religiöse Identität zugesprochen und die persönliche Glaubensüberzeugung rückte auf Kosten einer dogmatischen Lehre in den Mittelpunkt. Damit knüpfte diese auch als Innerlichkeitsbewegung bezeichnete Reformbewegung an spätmittelalterliche, mystische Traditionen an, da sie sich auf die innere Gestaltbarkeit und Gestaltung des Menschen konzentrierte und das allgemeine Priestertum aller Gläubigen betonte.

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      Definition

      Mystik: Als mystisch werden religiöse oder spirituelle Erfahrungen bezeichnet, die nicht objektiv zugänglich sind. In der Religionsgeschichte bezeichnet Mystik eine Form des religiösen und damit auf ein Absolutes ausgerichtetes Erlebens und den damit verbundenen sprachlichen Ausdrucks, der in den theistischen Religionen auf Gott bezogen ist. Einen «Boom» erlebte die christliche Mystik im Hoch-und Spätmittelalter, wobei sie sich immer auch gegen den Vorwurf der Häresie verteidigen musste.

      Die Anknüpfung an die mittelalterliche Mystik ist auch in Bezug auf den Bildungsbegriff bedeutsam. Die deutschen Mystiker übersetzten Teile der Bibel in die deutsche Sprache, damit auch die nicht des Lateins kundigen Nonnen und Laienbrüder Zugang zum «Wort Gottes» erhielten. Diese Übersetzungen boten einige Probleme, wies doch die gelehrte lateinische Sprache einen begrifflichen Differenzierungsgrad auf, den das Deutsche als Alltagssprache nie erreichte. Viele Begriffe mussten deshalb für eine adäquate Bibelübersetzung erst «erfunden» werden.

      Eine Möglichkeit war dabei die Eindeutschung vorliegender lateinischer Begriffe, die andere die Neudeutung bzw. Spiritualisierung bestehender Begriffe. Letzteres passierte im Fall von «Bildung». «Bildunga» bezeichnete im Althochdeutschen das schaffende Herstellen von Dingen, speziell von Töpfen. Dieser Begriff wurde dazu auserwählt, das lateinische Wort «imago» aus der Schöpfungsgeschichte zu übersetzen, womit der ursprünglich konkrete Begriff «Bildunga» auch eine transzendente Bedeutung erhielt. Diese transzendente Dimension hat sich bis heute gehalten, wie das Zitat aus der Schöpfungsgeschichte in der Version der Zürcher Bibel (2007) zeigt.

      Zitat

      Schöpfungsgeschichte

      «Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich. Und sie sollen herrschen über die Fische des Meers und über die Vögel des Himmels, über das Vieh und über die ganze