Rebekka Horlacher

Bildung


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als Mann und Frau schuf er sie.» (Genesis I, 26 – 27)

      Der Mensch war aufgefordert, sich seiner Gottesebenbildlichkeit würdig zu erweisen und Gott in seiner eigenen Seele wieder zu finden, da |17◄ ►18| dieser durch den Sündenfall und die sündige Welt verdeckt worden war. Die Bilder der sündigen Welt mussten abgeschüttelt und durch das reine Bild Gottes ersetzt werden.

      Die Bedeutung der englischen Philosophie

      Eine Hinwendung zum Konzept der inneren Gestaltung und damit ähnlichen Überlegungen, wie sie auch schon im Kontext des Pietismus formuliert worden waren, lassen sich auch bei den Cambridge Platonists finden, einer parallel zum Pietismus entstandenen einflussreichen Richtung der englischen Philosophie des 17. Jahrhunderts. Sie propagierten eine platonisch geprägte Philosophie in Abgrenzung zu einer atheistischen oder mechanistischen Philosophie und boten sich damit als Alternative zu einer naturwissenschaftlich geprägten Aufklärung an. Im Zentrum dieser Gruppe standen Henry More, Ralph Cudworth, Benjamin Whichcote und John Smith, die nicht zufälligerweise alle aus einem puritanisch-calvinistischen Milieu stammten, in welchem die Vorstellung der Prädestination bestimmend war.

      Definition

      Prädestinationslehre: Mit dem Begriff der Prädestination («Vorherbestimmung») wird ein theologisches Konzept bezeichnet, das davon ausgeht, dass Gott von Anfang an jedes individuelle Schicksal sowie auch das Schicksal der Welt vorherbestimmt hat. Die Prädestinationslehre gründet in den Schriften des Kirchenvaters Augustinus und wurde später vor allem vom Genfer Jean Calvin vertreten. Er bejahte die grundsätzliche Vorherbestimmung des Menschen, womit sowohl Seligkeit als auch Verdammnis von Gott allein abhängig und mit menschlichen Handlungen nicht beeinflussbar sind. Der materielle Wohlstand wurde von den Calvinisten als göttlicher Hinweis auf das jenseitige Schicksal interpretiert. Auf dieser Basis entwickelte Max Weber im frühen 20. Jahrhundert seine Theorie des Zusammenhangs von protestantischer Ethik und Kapitalismus.

      In der Auseinandersetzung mit ihrem Herkunftsmilieu und vor allem auch in Abgrenzung dazu entwickelten die Cambridge Platonists eine Philosophie, die wesentlich von der Vorstellung der Gewissensfreiheit und der Toleranz geprägt war. Sie vertraten die Überzeugung, dass Gott die Welt vernünftig geordnet habe, womit sich auch Wissenschaft und Religion in Übereinstimmung bringen lassen. Gott handle stets vernünftig,|18◄ ►19| so ihre Überzeugung, also nicht zufällig und willkürlich. Daher könne die Vernunft die Ordnung der Welt erkennen, die Seele zudem durch Selbstbetrachtung Einsicht in die Natur und in göttliche Eigenschaften gewinnen, was auch für die Offenbarung gelte. Glauben und Vernunft ist in ihrer Vorstellung deshalb kein Widerspruch.

      Ein besonderes Gewicht erhielt in der Philosophie der Cambridge Platonists die Lehre von der Willensfreiheit, mit der Folge, dass dem Individuum eine große Verantwortung zugesprochen wurde. Nicht mehr Gott, das Schicksal oder eine andere höhere Macht konnte für das eigene Tun und Handeln verantwortlich gemacht werden, sondern der individuelle Mensch sollte in der Verantwortung stehen. Zudem wurde auch die Bedeutung der Erbsünde insgesamt infrage gestellt, da diese nicht mit der Vorstellung einer menschlichen Willensfreiheit kompatibel sei. Gemäß der platonischen und vor allem auch der neuplatonischen Tradition gingen die Vertreter der Cambridge Platonists davon aus, dass der Mensch durch das richtige Verhalten gottähnlich werden könne.

      Die Vorstellung, dass Glauben und Vernunft sich nicht zwingend widersprechen müssen, vertrat auch die Naturphilosophie des 16. und 17. Jahrhunderts. Bei ihren Vertretern stand die reale Welt bzw. ihre methodische Erforschung im Zentrum: In der von Gott erschaffenen Natur würden die göttlichen Gesetze sichtbar und könnten so vom menschlichen Verstand erkannt und erforscht werden. Jeder Same oder jeder Keim habe etwa schon von Anfang an die endgültige Gestalt in sich, aber in viel kleinerer und deshalb dem menschlichen Auge nicht erkennbarer Form. Die göttlich vorbestimmte Form musste also nur noch gebildet, das heißt ausgebildet oder entwickelt werden.

      Die Formulierung einer Seelenlehre, welche die Selbstbetrachtung betonte, mit deren Hilfe die Welt und die Natur erkannt werden konnten, wurde für die Begründung des deutschen Bildungsbegriffs wichtig. Die Verbreitung dieses Konzepts im deutschsprachigen Raum war eng mit den Übersetzungen der Schriften von Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury verbunden, dem Enkel des First Earl of Shaftesbury, einem einflussreichen englischen Politiker, dessen Leibarzt John Locke gewesen war. Shaftesbury gilt als Vertreter einer Philosophy of Politeness, womit ein Konzept bezeichnet wird, das in der englischen Philosophie des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts zu einem Schlüsselbegriff wurde, da es eine Möglichkeit eröffnete, neue soziale, ökonomische und politische Herausforderungen mit traditionellen Vorstellungen von Tugend zu verbinden. Dies war vor dem Hintergrund der Erfahrungen |19◄ ►20| Englands mit religiösen Konflikten und Bürgerkrieg sowie den daraus folgenden politischen Umwälzungen wichtig geworden.

      Die politischen Voraussetzungen der «Politeness». Ein Exkurs

      1534 hatte sich der englische König Henry VIII. zum Oberhaupt der anglikanischen Kirche ernannt, nachdem er sich wegen seiner Heirats- und Machtpolitik mit der katholischen Kirche überworfen hatte. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion war damit zu einer politischen Frage geworden. Das galt nicht nur für die verschiedenen Gruppierungen der Dissenters, womit Glaubensgemeinschaften bezeichnet werden, die sich von der anglikanischen Kirche getrennt hatten, sondern vor allem auch für die Katholiken, da ein Teil des englischen Königshauses katholisch geblieben war und einige offiziell anglikanische Königshausmitglieder zudem zumindest mit dem Übertritt zum Katholizismus liebäugelten.

      1559 war der englische König zum Supreme Governor of the Church ernannt worden, womit die Trennung von Rom und die damit verbundene Eigenständigkeit der anglikanischen Kirche zementiert wurden. Die Einführung eines neuen Book of Common Prayer wiederum entzweite die neue Kirche und führte zur Abspaltung der puritanischen Bewegung, die für eine weit reichende Reform der Kirche nach calvinistischen Grundsätzen eintrat. Die Puritaner erhielten in den folgenden Jahren immer größeren Zulauf und forderten neben einer strengen Sittenlehre auch die Trennung der Kirche vom König. Daneben entwickelte sich eine immer stärker werdende antikatholische Bewegung, die durch außenpolitische Ereignisse unterstützt wurde, die immer auch durch eine religiöse Brille interpretiert wurden: 1570 war die englische Königin Elisabeth I. vom Papst exkommuniziert worden, 1588 hatte die spanische, das heißt katholische Armada die englische Flotte angegriffen (diese Seeschlacht allerdings verloren) und 1605 wurde der Gunpowder Plot aufgedeckt, eine katholische Verschwörung gegen den König James I. und das Parlament. All diese Ereignisse schürten Ängste vor einer katholischen Invasion in den 1620er-Jahren. Der Ausbruch der Irischen Rebellion 1641 passte so in ein Selbstbild der englischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts, in welcher der «Antipapismus» zu einem wesentlichen Teil der Identität nicht nur auf nationaler, sondern auch auf lokaler Ebene geworden war.

      Im Gegensatz dazu stand die Politik der Krone, die sich mit einer politischen Annäherung zuerst an Spanien, später auch an Frankreich |20◄ ►21| deutlich gegen die Erwartungen eines Großteils der Bevölkerung stellte. Die von König Charles I. geplanten kirchlichen Veränderungen wurden denn auch als Versuch interpretiert, die ursprüngliche Kirche wieder zu restaurieren. An der Finanzierung des Feldzuges gegen Schottland kam der versteckte Machtkampf zwischen Krone und Parlament, das sich als Vertretung der Bevölkerung und damit des «Antipapismus» sah, zum Ausbruch. Charles I. brauchte Geld für seine Kriege, das ihm aber nur das Parlament bewilligen konnte. Nachdem ein erster Versuch 1640 gescheitert war (das Parlament verweigerte dem König den Kredit und wurde schon drei Wochen später wieder entlassen), war Charles I. aufgrund seiner Finanznot gezwungen, noch im selben Jahr erneut das Parlament einzuberufen. Diesmal musste er dem Parlament Zugeständnisse machen und einen Teil seiner Souveränität abgeben: Die Bezahlung der Armee war neu eine Aufgabe des Parlaments. Damit konnte sich das Parlament zum ersten Mal in der Geschichte gegen einen Monarchen durchsetzen und seinen politischen Einflussbereich auf Kosten der Monarchie erweitern, womit die organisierte politische Vertretung der Gesellschaft eine bisher nicht gekannte Machtposition erhielt.

      Die Streitigkeiten um Macht, Geld und Einfluss zwischen Parlament und König eskalierten in der Folge der Irischen Revolution