damit zu einem Modell für eine politische Ordnung, bei dem die Herrschaft auf eine breitere Schicht der Bevölkerung verteilt wurde.
Der Anfang der Republik war geprägt durch die Auflösung des Parlaments und den darauf folgenden Aufstieg Oliver Cromwells zum Lord Protector, einem Amt mit monarchischen Zügen. Cromwell herrschte vor allem in Irland mit großer Brutalität; Erfahrungen, die das englisch-irische Zusammenleben bis weit ins 20. Jahrhundert hinein prägten. Kurze Zeit nach seinem Tod 1658 wurde die Monarchie wieder eingesetzt und Charles II. zum König gekrönt. Seine Herrschaft war von gegenseitigem Misstrauen zwischen Anhängern der Monarchie und der Republik bestimmt, wobei sich die Differenzen nicht nur auf die Frage nach der legitimen politischen Staatsform beschränkten, sondern immer auch mit konfessionellen Fragen vermischt wurden. Die weit verbreitete Furcht vor der Erstarkung der streng religiösen Protestanten auf der einen und der Katholiken auf der anderen Seite führte dazu, dass die Katholiken von sämtlichen zivilen und militärischen Staatsämtern ausgeschlossen wurden.
Nachdem Charles II. erst kurz vor seinem Tod offiziell zum Katholizismus übergetreten war, setzte sich sein Bruder und Nachfolger James |21◄ ►22| II., ebenfalls katholisch, offensiv für eine weitgehende Toleranz gegenüber dem Katholizismus in England ein. Von dieser Toleranzpolitik profitierten zwar die reformierten Splittergruppen, gleichzeitig verschärfte sich aber der konfessionelle Konflikt sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch auf der politischen Ebene und gipfelte in der Weigerung von sieben Bischöfen, eine im Mai 1688 vom König erlassene Toleranzerklärung offiziell zu verkünden, weil diese nach ihrer Ansicht die Rechte der Anglikanischen Kirche schmälerte. Die Bischöfe wurden daraufhin verhaftet, von der Kirche sowie von der Bevölkerung aber als Märtyrer gefeiert, womit sich die Verhaftung für die königliche Politik als Bumerang erwies. Darüber hinaus wurden sie im anschließenden Prozess auch noch freigesprochen, was die Niederlage des Königs zementierte und die verschiedenen Oppositionsgruppen vereinte. Von da an verlor die Regierung immer mehr die politische Kontrolle über das lokale Geschehen und die Kluft zwischen König und lokalen Machthabern, die auch im Parlament vertreten waren, wurde immer größer.
Mit Wilhelm III. von Oranien-Nassau, dem Schwiegersohn von James II., stand ein potenzieller protestantischer Nachfolger bereit, der nun von der Opposition eingeladen wurde, den als «vakant» bezeichneten Thron einzunehmen, da James II. seine Frau und seinen Sohn aus Sicherheitsgründen nach Frankreich hatte bringen lassen. Damit wurde auch deutlich, dass diese Auseinandersetzungen immer auch eine europäische Dimension hatten, da die Frage nach der Konfession des englischen Königshauses entscheidend für die Machkonstellation in Europa war. Ein katholischer König würde sich «naturgemäß» mit Frankreich und Spanien verbünden, ein protestantischer hingegen mit den deutschen Fürsten. Mit dem zeitweiligen Wechsel der Staatsform zu einer Republik und der Stärkung des Parlaments war zudem die Unantastbarkeit des Königs bzw. der Monarchie gebrochen und eine andere politische Organisationsform, die auch entscheidende Veränderung für die Gesellschaft bedeutete, denkbar geworden. Die Ereignisse in England wurden deshalb auch auf dem Kontinent interessiert beobachtet.
Im Januar 1689 wurde die Krone Wilhelm III. angeboten und dem Parlament wesentliche Machtbefugnisse schriftlich zugesichert. Mit diesem als Glorious Revolution (1688/89) bezeichneten Ereignis hatten sich in England und Schottland die Gegner des Absolutismus durchgesetzt – Frankreich erlebte zeitgleich den Höhepunkt der absolutistischen Herrschaft Louis XIV. – und die blutigen Wirren des Englischen Bürgerkriegs gehörten definitiv der Vergangenheit an. Mit der Verabschiedung der |22◄ ►23| Bill of Rights wurde die Grundlage für das noch heute bestehende parlamentarische System geschaffen, mit dem Parlament als Verkörperung der Staatssouveränität.
Das Konzept der «Politeness» als neue soziale Unterscheidung
Die neue politische Ordnung hatte konkrete Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben. Sie ließ bisherige soziale Unterscheidungsmerkmale obsolet werden und erforderte die Schaffung neuer, wofür sich der Begriff der Politeness anbot. Mit diesem Begriff wurden nicht mehr zwingend standes- oder herkunftsabhängige Eigenschaften bezeichnet, die zudem auch nicht mehr dem Schema der konfessionellen Trennung und der damit verbundenen Parteigebundenheit in Tories und Whigs folgte. Mit dem Konzept der Politeness konnte nicht nur zwischen der Elite und der Masse unterschieden werden, sondern es ermöglichte auch eine Differenzierung innerhalb der Elite selber, indem damit das richtige Benehmen und der gute Geschmack bezeichnet wurden. Wichtig an diesem Konzept war die Idee des «Gefallens», weil damit die Hoffnung verbunden war, dadurch nicht nur das Gefühl des Menschen für sich selber verbessern zu können, sondern auch die Art, wie und auf welche Weise soziale Beziehungen zu pflegen seien. Politeness bezeichnet damit eine verbesserte Gesellschaftlichkeit, die ästhetische und ethische Anliegen in eine enge Verbindung brachte.
Damit löste Politeness auch das ältere Konzept des Virtuoso ab, welches im England des 17. Jahrhunderts sehr beliebt gewesen war. Der ursprünglich aus dem Italienischen stammende Begriff bezeichnete die «adeligen Virtuosi», womit Menschen bezeichnet wurden, die sich hauptsächlich für antike Gegenstände, Malerei und naturphilosophische Themen interessierten, wobei in der englischen Ausprägung die beiden ersten Themen zugunsten der Naturwissenschaften marginalisiert wurden. Ein Virtuoso war aber auch jemand, der diese Beschäftigung als Möglichkeit ansah, seine freie Zeit sinnvoll zu nutzen und dabei gleichzeitig zur gesellschaftlichen Unterhaltung beizutragen. Mit der zunehmenden Bedeutung der Industrie, womit nicht nur eine bestimmte Produktionsart, sondern auch eine Geisteshaltung bezeichnet wurde, geriet dieser Lebensstil immer stärker in eine Krise und wurde durch das Konzept der Politeness abgelöst. Dabei wirkte unterstützend, dass das Betätigungsfeld des Virtuoso zunehmend von professionellen Sachverständigen besetzt worden war und deshalb immer weniger Spielraum für Amateure bot.
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Mit dem Konzept der Politeness war eine radikale soziale Revolution verbunden. Es bot eine Alternative zu Tugendvorstellungen des 17. Jahrhunderts an und war eine Möglichkeit, veränderliche und auf Austausch basierende Vorstellungen von zwischenmenschlichen Beziehungen zu bestimmen, während die traditionellen Tugendkonzepte diese Beziehungen eher träge und statisch fassten. Vereinfachend können diese beiden Tugendkonzepte deshalb mit unterschiedlichen sozialen Gruppierungen und Lebensentwürfen innerhalb der Gentry in Verbindung gebracht werden. Mit dem Begriff Gentry wird eine nicht genau abgrenzbare Schicht des englischen gehobenen Bürgertums und des niederen Adels bezeichnet, die nicht dem Klerus oder dem Hochadel, aber auch nicht dem niederen Bürgertum angehört.
Während sich die agrarische Oberschicht (Tories) an einem traditionellen Tugendbegriff orientierte, bevorzugte die handelsorientierte Oberschicht (Whigs) ein moderneres Konzept, das zudem mit ihren beruflichen Erfahrungen kompatibel war. Politeness schien eine Möglichkeit zu bieten, den Dualismus zwischen Moral und Fortschritt zu überwinden, indem Fortschritt und Tugend verbunden wurden, was gerade für die Vertreter einer auf Handel und wirtschaftlichem Austausch konzentrierten Bevölkerungsgruppe sehr attraktiv war. Es bot aber auch eine soziale Selektionsfunktion an, die nicht primär Oberschicht von Unterschicht trennte, sondern Möglichkeiten der Unterscheidung innerhalb der Oberschicht eröffnete. Damit zeigen sich Parallelen zur Situation in Deutschland zur Zeit der Herausbildung des Bildungsbegriffs, mit welchem ebenfalls eine Möglichkeit der sozialen Unterscheidung geschaffen wurde (vgl. Kapitel 4).
Die Verbindung von Ethik und Ästhetik
Eine letzte, für die Entwicklung des Bildungsbegriffs wichtige kulturelle Voraussetzung war die Verbindung von Ethik und Ästhetik. Diese wurde nicht nur im Rahmen des Konzepts der Politeness diskutiert, sondern gilt als eine der philosophischen Hauptdebatten des 18. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand die Frage, ob das Schöne bloß subjektiv und damit einer begrifflichen Bestimmung nicht zugänglich sei oder ob das Schöne in einer ästhetischen Theorie formuliert werden könne. Damit eng verbunden war die Frage, was der Orientierungspunkt für das Schöne sein könne. Die möglichst genaue Abbildung der Wirklichkeit oder die Umsetzung individueller Phantasie? Ist das Ziel der Ästhetik die Abbildung der Vollkommenheit der Natur oder der (künstlerische) Ausdruck der Phantasie?
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