und hatte sich an der 1732 von Bodmer verfassten Übersetzung von John Miltons Paradise Lost (1667) entzündet, einem epischen Gedicht, das die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies aus puritanischer Sicht beschreibt. « Naturähnlich» hieß in diesem Kontext die möglichst vollständige und realistische Abbildung des Vorbildes, da die Natur als vollkommen angesehen wurde. Die gegenteilige Position vertrat den Standpunkt, dass der schöpferischen Kraft des Autors, also der Phantasie, ein angemessener Platz einzuräumen sei.
In diesem Streit wurde somit eine ähnliche Fragestellung diskutiert, wie sie einige Jahrzehnte zuvor schon die französische Literatur und Kunst beschäftigt hatte, wobei sich die damalige Debatte, die als Querelles des Anciens et des Modernes bekannt geworden ist, explizit an der Frage nach der Vorbildfunktion der Antike entzündet hatte. Die Antike galt bis dahin – nicht nur für die Literatur und Kunst, sondern während vielen Jahrhunderten auch für die Naturwissenschaften, Medizin und Philosophie – als unübertreffbar und damit als oberste Instanz für Wahrheit. Mit der Vorbildfunktion der Antike war auch die Frage angesprochen, ob es angesichts der vorausgesetzten Vollkommenheit der Antike überhaupt noch möglich sei, Neues zu erschaffen. Während diese Frage für die Naturwissenschaften und die Medizin immer bedeutungsloser wurde, da neue Erkenntnisse die antiken Theorien je länger je deutlicher revidierten, zeigte sich dieses Verhältnis sowohl in der Philosophie als auch in der Ästhetik sehr viel weniger eindeutig.
Im Literaturstreit des 18. Jahrhunderts konnten sich die beiden Zürcher durchsetzen und wurden zu den Wegbereitern des Geniekults und der deutschen Romantik, weil sie der Phantasie in der Ästhetik eine bedeutende Rolle zusprachen. Das schöpferische Element wurde immer mehr zu einem entscheidenden Kriterium der Kunst. Es setzte sich eine ästhetische Theorie durch, die das Schöne nicht in einer reinen Abbildung der Wirklichkeit verkörpert sah, sondern in der Umsetzung von künstlerischen Vorstellungen. Trotzdem orientierte sie sich immer noch an der antiken platonischen Tradition, die von einer Übereinstimmung des Schönen und des Guten ausging. Das hatte zur Folge, dass die Fähigkeit, das Schöne zu erkennen, was Aufgabe des Geschmacks war, entwickelt|25◄ ►26| oder «gebildet» werden musste. Der Geschmack war dabei nicht unvernünftig, da man davon ausging, dass sich im Geschmack die Seele zeige, die als Teil des Verstands angesehen wurde.
Definition
Das Schöne und das Gute bei Platon: Die Vorstellung, dass das Schöne gleichzeitig auch das Gute sei, dass also Ästhetik und Ethik übereinstimmen, stammt aus der Ideenlehre des antiken griechischen Philosophen Platon, der diese aber nie als Gesamtkonzept formuliert hat. Trotzdem ist sie in der Geschichte der Philosophie äußerst wirkungsmächtig geworden. Ideen sind bei Platon keine Einfälle oder Gedanken, sondern der Ursprung alles Denkbarem und damit des Seins, das, mit der Idee des Guten als oberstem Prinzip, zudem hierarchisch geordnet ist. Alles dem Menschen Erkennbare wiederum ist nur ein Abbild der eigentlichen Idee und kann deshalb nur unvollständig und verzerrt erkannt werden. Verhältnismäßig ausführlich wird die Ideenlehre in der Politeia ausgeführt, einer Abhandlung über die gerechte Staatsordnung. Die Idee des Guten wird dabei als oberstes Leitprinzip verstanden, an welchem sich ein Staatswesen zu orientieren hat. Diesem Prinzip folgend, muss die Idee des Schönen mit der Idee des Guten übereinstimmen.
Die Aufgabe der Geschmacksbildung wurde nun den literarisch-ästhetischen Erfahrungen übertragen, wodurch Literatur – und dadurch auch die Schriftsteller und Autoren – eine ganz neue Funktion erhielt. Nicht zufällig entstand in dieser Zeit in England die Literatur des Sentiment, die im deutschsprachigen Raum ihre Entsprechung in der Tradition der Empfindsamkeit hatte. Aus dieser wiederum entwickelte sich der Sturm und Drang, der seinerseits einer der literarischen Träger der Bildungstheorie wurde (vgl. Kapitel 2). Die Literatur sollte mit Beispielen und der Erzählung von Ereignissen den Leser dazu motivieren, Gutes zu tun. Ein ästhetisches Vorbild wurde demnach dasjenige Kunstwerk, das fähig war, diese Handlung im Betrachter hervorzurufen. Damit wurde nicht nur eine moralisch gute Handlung vollbracht, sondern es wurde gleichzeitig auch die eigene Seele gebildet, womit eine Annäherung an die eigene Vollkommenheit, die sich in Schönheit ausdrückt, möglich wurde.
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Literatur
Bollenbeck, Georg (1996): Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters (1994). Frankfurt am Main: Suhrkamp
Cassirer, Ernst (2007): Die Philosophie der Aufklärung (1932). Hamburg: Meiner
Klein, Lawrence E. (2002): Politeness and the Interpretation of the Eighteenth Century. In: The Historical Journal, Vol. 45, No. 4, S. 869 – 898
Osterwalder, Fritz (1999): Pädagogik im Umfeld moderner Naturwissenschaft im 17. Jahrhundert. In: Jürgen Oelkers & Daniel Tröhler (Hg.): Die Leidenschaft der Aufklärung. Studien über Zusammenhänge von bürgerlicher Gesellschaft und Bildung. Weinheim & Basel: Beltz, S. 31 – 51
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