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Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage


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bekennen sich zu Jesus als dem »Herrn«; niemandem sonst steht dieser Titel zu, insbesondere auch nicht dem Kaiser. Die Christen bleiben aber innerhalb der Gesellschaft, in der sie leben;[102] sie bilden zwar eigene Gemeinden, aber es gibt kein »christliches Volk« und sie streben nicht einen christlichen Staat an. Der Gedanke, Christen könnten oder müssten politische Verantwortung übernehmen, war in den ersten Jahrhunderten jenseits aller Vorstellungen. Ein bemerkenswertes Zeugnis für das ambivalente Verhältnis der Christen zu der sie umgebenden Gesellschaft und für ihr Selbstverständnis ist eine vermutlich im 2. Jh. verfasste apologetische Schrift, die an einen uns sonst unbekannten Mann namens Diognet adressiert ist, aber keinen Verfassernamen nennt.[103] »Christen«, so heißt es in Diog 5,1–2.4, »sind weder durch ein Land noch durch eine Sprache noch durch Sitten von den übrigen Menschen verschieden. […] Sie bewohnen vielmehr griechische und auch barbarische Städte, wie immer es einen jeden traf, und sie folgen den einheimischen Sitten in Kleidung und Essen und in der übrigen Lebenspraxis.« Die Christen sind also in die Gesellschaft integriert, aber sie grenzen sich auch ab (5,5): »Sie bewohnen jeder sein Vaterland, aber wie Nichtbürger (πατρίδας οἰκοῦσιν ἰδίας, ἀλλ’ ὡς πάροικοι); sie haben an allem Anteil wie Bürger, und alles erdulden sie wie Fremde (μετέχουσι πάντων ὡς πολῖται, καὶ πάνθ’ ὑπομένουσιν ὡς ξένοι).« Sehr konkret heißt es weiter: »Sie heiraten wie alle und bekommen Kinder; aber sie setzen die Neugeborenen nicht aus«,[104] und dann folgt der Satz: »Einen gemeinsamen Tisch stellen |52|sie auf, aber nicht ein (gemeinsames) Bett.« Der »gemeinsame Tisch« (τράπεζα κοινή) meint wohl nicht allein das Abendmahl, sondern generell gemeinsame Mahlzeiten; die Bemerkung über das Bett (κοίτη) bezieht sich sicherlich auf die Ehe bzw. auf die von Christen anerkannten Maßstäbe im Bereich der Sexualität. Der Verfasser schreibt: »Auf Erden weilen sie, aber im Himmel haben sie Bürgerrecht (ἐπὶ γῆς διατρίβουσι, ἀλλ’ ἐν οὐρανῷ πολιτεύοντα, 5,9)«, und damit nimmt er offenbar Phil 3,20 (»unser Bürgerrecht ist im Himmel« – ἡμῶν γὰρ τὸ πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς ὑπάρχει)[105] auf, womit nochmals gesagt ist, dass es »christliche Städte« nicht gibt und auch nicht geben kann. Betont wird aber auch, dass die Christen den geltenden Gesetzen gehorchen (πείθονται τοῖς ὡρισμένοις νόμοις) und »mit der ihnen eigenen Lebensweise diese Gesetze sogar überbieten (καὶ τοῖς ἰδίοις βίοις νικῶσι τοὺς νόμους, 5,10)«. Der Verfasser stellt aber auch fest, dass die heidnische Umgebung darauf mit Unverständnis reagiert und mit Verurteilung (ἀγνοοῦνται, καὶ κατακρίνονται, 5,12). Wenn er schreibt: »Sie werden getötet, und sie werden lebendig gemacht (θανατοῦνται, καὶ ζωοποιοῦνται)«, dann will er offenbar zeigen, dass die Christen diese Verfolgungen deshalb zu ertragen vermögen, weil sie die Gewissheit ihrer Auferstehung haben.[106]

      Der Missions- und Taufauftrag des auferstandenen Christus am Ende des Matthäusevangeliums enthält die Weisung an die Jünger, sie sollten die Getauften »lehren, alles zu halten, was ich euch geboten habe« (Mt 28,20), was sich auf die im Evangelium überlieferten Taten und vor allem auf die Worte Jesu bezieht. Gleichwohl werden diejenigen, die an Christus glauben und sich zu ihm bekennen, nicht in allen Fragen des Lebens ein- und derselben Meinung sein, sie werden aus ihrem Glauben nicht durchweg dieselben Konsequenzen ziehen. Es gibt kein für alle Glaubenden verbindliches »christliches« Handeln; es wäre ein Missverständnis, würde man den Glauben mit bestimmten unveränderlichen Handlungsnormen verknüpfen und dann womöglich sagen, der Glaube sei abhängig von der Einhaltung dieser Normen.

      Fußnoten

       1

      Durchgesehene und durch Fußnoten ergänzte Fassung des am 19. März 2015 in Leipzig gehaltenen öffentlichen Abendvortrags.

       2

      Zur Problematik der Verwendung des Begriffs »Christentum« im 1. Jh. n.Chr. s. unten.

       3

      Jesus wurde in der Zeit des Prinzipats des Augustus geboren und während der Herrschaft des Tiberius hingerichtet; die oft angenommenen Jahreszahlen (4 v. Chr. und 30 n. Chr.) lassen sich nicht historisch exakt belegen.

       4

      »Die Präfixbildung mhd. bekennen, ahd. bīkennan bedeutete urspr. ›[er]-kennen‹ […] Der heute allein gültige Sinn ›gestehen, als Überzeugung aussprechen‹, eigtl. ›bekannt machen‹ geht von der mittelalterl. Rechtssprache aus und ist von den Mystikern im 14. Jahrhundert in religiösem Sinn (wie lat. cōnfītērī, s. Konfession) ausgeprägt worden« (Duden, Bd. 7: Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, Mannheim 1963, 58).

       5

      Vgl. O. MICHEL, ὁμολογέω κτλ., ThWNT V (1954), 199–201. Zum politischen Hintergrund s. G. BORNKAMM, Homologia. Zur Geschichte eines politischen Begriffs, in: DERS., Geschichte und Glaube. Erster Teil. Gesammelte Aufsätze III, BEvTh 48, München 1968, 140–156.

       6

      Vgl. dazu H. CONZELMANN, Was glaubte die frühe Christenheit?, in: DERS., Theologie als Schriftauslegung. Aufsätze zum Neuen Testament, BEvTh 65, München 1974, 106–119.

       7

      Das Wort HERR steht für den nicht ausgesprochenen Gottesnamen JHWH (Jahwe) im hebräischen Text. Möglicherweise bezieht sich die Wendung »ein HERR« ursprünglich auf das Eins-Sein JHWHs, der an allen Kultstätten als der eine verehrt werden soll. Später entstand die Tendenz zum Monotheismus, in dem JHWH als der Gott Israels als der einzige Gott verstanden wurde. Vgl. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, 97–110.

       8

      Statt »Aramäer« im hebräischen Text heißt es in der LXX: Συρίαν ἀπέβαλεν ὁ πατήρ μου – »mein Vater gab Syrien auf« (Septuaginta Deutsch).

       9

      Vgl. die Studie