(Zugriff: 17. 07. 2017). Ebenfalls empfehlenswert ist folgende Übersicht über tierethische Publikationen: http://www.tier-im-fokus.ch/info-material/literatur_und_links/tierrechte#zwischentitel_a06 (Zugriff: 17. 07. 2017).
2.Grundpositionen der Tierethik
2.1Positionen theoretischer Tierethiken
Mit den theoretischen Elementen der Tierethik sind jene gemeint, die für unseren tatsächlichen Umgang mit Tieren den systematischen theoretischen Unterbau ausformulieren. Sie befassen sich in der Hauptsache mit vier Fragen: Welche Dinge auf dieser Welt sind überhaupt moralisch von Belang? (→ Kap. 2.1.2, S. 20) Welche Eigenschaften muss ein Lebewesen aufweisen, um moralische Berücksichtigung zu verdienen? (→ Kap. 2.1.3, S. 22) In welcher Form kann die Aufnahme in die moralische Gemeinschaft vorgenommen werden? (→ Kap. 2.1.4, S. 23) Und schließlich: Wie lassen sich menschliche und tierliche Belange moralisch gewichten? (→ Kap. 2.1.5, S. 25)
Dies sind die Fragen, die diese Einführung prägen, an ihnen orientiere ich mich in der Folge. Die in Kap. 2.2, S. 27 vorgestellten Positionen praktischer Tierethiken befassen sich mit den konkreten gesetzlichen Handlungsanleitungen oder Handlungsforderungen, die aus einer Theorie folgen. Sie dienen in dieser Einführung aber zuvorderst der Vollständigkeit und werden nur vereinzelt wieder aufgegriffen. Praktische Aspekte werden insbesondere dann bedeutsam, wenn sich die Tierethik im Detail den Anwendungsfragen zuwendet (Massentierhaltung, Tierversuche, Tiere zu Forschungs- oder Unterhaltungszwecken etc.). Nicht jede Tierethik bietet allerdings ausgearbeitete Konsequenzen der eigenen Theorie an. Folglich kann und will diese Einführung in die Details der Praxis aber nur bei Bedarf eintauchen. Ihr Ziel ist vielmehr die systematische Entfaltung tierethischer Positionen und diese organisiert sich entlang der im Folgenden skizzierten vier Fragestellungen. Dort, wo sich theoretische Tierethiken indes deutlich zu praktischen Konsequenzen positionieren, lassen sie sich in aller Regel einer der vier praktischen Tierethiken zuordnen.
2.1.1Anthropologische Differenz
Aus tierethischer Sicht gab es einmal eine Zeit, in der die Mensch-Tier-Beziehung relativ einfach organisiert war. Dort herrschte, zumindest in westlichen Traditionen, lange die Überzeugung vor, es gäbe eine klare Grenze zwischen den Menschen (also uns) und den Tieren (den anderen). Begründet wurde diese Grenze mit dem Verweis auf bestimmte Eigenschaften bzw. Fähigkeiten, die der Mensch dem Tier voraushabe, und die eine asymmetrische moralische Hierarchie rechtfertigten, sprich: die den Menschen wertvoller machten als das Tier und damit die Nutzung von Tieren zu menschlichen Zwecken moralisch zulasse.
Die traditionellen Kandidaten für derart ausschlaggebende Eigenschaften bzw. Fähigkeiten waren für gewöhnlich Werkzeuggebrauch, Sprachvermögen, Selbstbewusstsein, die Fähigkeit zu moralischem Handeln und immer wieder die Rationalität. Insbesondere die Rationalität hatte (und hat womöglich immer noch) die größte Anhängerschaft.
Man spricht in diesem Zusammenhang von der sog. anthropologischen Differenz. Dieser Begriff bringt eben jene Annahme zum Ausdruck, dass es zum Wesen des Menschen gehöre, aufgrund des Besitzes spezieller Fähigkeiten oder Eigenschaften in einer grundsätzlichen Weise wertvoller zu sein als ein Tier. Die moralische Grenze zwischen Mensch und Tier ist in dieser Annahme absolut und Tiere seien, wenn überhaupt, nur indirekt zu schützen, etwa damit ihr Nutzen für den Menschen nicht Schaden nehme. Viele große Namen westlicher Philosophie haben in der einen oder anderen Weise eine solche anthropologische Differenz angenommen, etwa RENÉ DESCARTES (1596–1650), DAVID HUME (1711–1776) oder Immanuel Kant (1724–1804).
Der Kerngedanke der anthropologischen Differenz besagt also, dass es eine moralisch relevante Eigenschaft (oder Eigenschaftsgruppe) gibt, die allen, und zwar ausschließlich Menschen zukommt. Die US-amerikanische Philosophin Lori Gruen, eine der wichtigsten tierethischen Stimmen im englischsprachigen Raum, hat daraus zwei Implikationen destilliert. (1) Zum einen impliziert diese Annahme, dass auch tatsächlich kein nichtmenschliches Tier (also kein Lebewesen, das nicht zur Spezies Homo sapiens gehört) diese Eigenschaften ebenfalls aufweist. (2) Zum anderen impliziert diese Annahme, dass keinem Mitglied der Spezies Homo sapiens selbst diese Eigenschaften fehlt (vgl. Gruen 2011).
Es ist unschwer zu erkennen, wie attraktiv eine solche Position ist, will man die Mensch-Tier-Beziehung möglichst überschaubar gestalten. Im ‚besten‘ Fall wird damit jede tiefere Tierethik überflüssig. Doch spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts war es um diese Überschaubarkeit geschehen. Seitdem ist es kompliziert geworden, sehr kompliziert (vgl. Petrus 2013).
Plötzlich wurde eine moralisch relevante Vergleichbarkeit der eigentlich doch dem Menschen vorbehaltenen Eigenschaften mit denen der Tiere propagiert. Und damit standen auch die von Gruen skizzierten zwei Implikationen der Annahme einer anthropologischen Differenz in der Kritik, denn es wurde immer offensichtlicher, dass auch etliche Tiere über jene Eigenschaften bzw. Fähigkeiten verfügen, die man lange nur dem Menschen eigen wähnte. Die Verhaltensforschung konnte Verhaltensformen bei etlichen Tieren nachweisen, die denen der Menschen erstaunlich nahe kamen (manche sogar übertrafen), sei es der Werkzeugbau, die Kommunikation, das soziale Netz oder die Fähigkeit zu strategischen Verhaltensweisen.
Und auch die zweite Implikation wurde durch die Zulassung eines Vergleichens (und damit eines moralischen Abwägens) zwischen menschlichen und tierlichen Eigenschaften bzw. Fähigkeiten im Fundament erschüttert, denn gibt es nicht auch Menschen, denen die entsprechenden exklusiven Eigenschaften (etwa Selbstbewusstsein oder Vernunft) fehlen? Denken wir nur an Embryonen, Komapatienten, stark geistig behinderte oder schwer demente Menschen (die Ethik spricht mit Blick auf diese Gruppe von Menschen von den sogenannten nicht-paradigmatischen Fällen oder auch Grenzfällen). Müssten wir diese Menschen dann nicht ebenso moralisch ein-, also herabstufen, wie wir es mit den Tieren tun?
Es stand nun also eine sehr gewichtige ethische Frage in neuem Facettenreichtum im Raum: Gibt es nicht vielleicht doch gute Gründe für die moralische Berücksichtigung von Tieren, und wenn ja, welche sind das und auf welche Tiere treffen sie zu?
2.1.2Reichweite moralischer Relevanz
An dieser Stelle ist es sinnvoll, das Bild etwas weiter aufzuziehen und das bisher Gesagte in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Ich möchte die Leser*innen an dieser Stelle mit ein paar Begriffen vertraut machen, die ich in der Folge immer wieder gebrauchen werde und deren Klärung daher früh vorgenommen werden muss.
Der Tierethik, wie auch der Bio-, Umwelt- oder Naturethik (wie auch immer sie im ethischen Theoriespektrum untereinander eingeordnet werden) liegt die Frage zugrunde, ob und in welchem Umfang wir Dingen ‚der Natur‘ einen Wert zusprechen. Ich habe ‚die Natur‘ in einfache Anführungszeichen gesetzt, weil eigentlich nicht wirklich klar ist, was wir damit meinen. Zumeist wird der Begriff der Natur eher intuitiv gebraucht und sich darauf verlassen, dass jeder in etwa weiß, was gemeint ist.
Gemeinhin werden die Positionen in der Natur- oder Umwelt- und Tierethik nach ihrer Reichweite unterschieden, also nach der Frage, wie viel oder welche Objektgruppen der Natur wir moralisch berücksichtigen