Philipp Bode

Einführung in die Tierethik


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Mensch), der allein Menschen um ihrer selbst willen als moralisch wertvoll erachtet und die Gemeinschaft moralisch schützenswerter Wesen auf den Menschen beschränkt. Der deutsche Philosoph KLAUS PETER RIPPE hat den Vorschlag eingebracht, besser von Ratiozentrismus zu sprechen, was etwas präziser die alleinige moralische Relevanz vernünftiger Lebewesen zum Ausdruck bringen soll (vgl. Rippe 2008).

      Eine etwas weiter gefasste und vermutlich die am häufigsten anzutreffende Form der Tierethik ist der Pathozentrismus (gr. πάθος, páthos, das Leid). Gelegentlich wird diese Position auch Sententismus (lat. sentire, empfinden, fühlen) genannt. Ihr zufolge besitzen nicht nur Menschen, sondern alle empfindungsfähigen Lebewesen, also Wesen, die leiden können – worunter auch viele Tiere fallen –, einen moralischen Wert, den es zu berücksichtigen gilt. Die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft moralisch zu berücksichtigender Entitäten hängt also von der Fähigkeit ab, leiden zu können.

      Der Biozentrismus von (gr. βίος, bíos, Leben) geht noch einen Schritt weiter und spricht nicht nur empfindungsfähigen Lebewesen, sondern allem Lebendigen einen moralischen Eigenwert zu, was insbesondere die gesamte Pflanzenwelt miteinschließt. Die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft moralisch zu berücksichtigender Entitäten hängt in diesem Fall also von dem Umstand ab, lebendig zu sein.

      Dem Anthropozentrismus bzw. Ratiozentrismus am anderen Ende des Spektrums gegenüber steht schließlich der Physiozentrismus. Dieser kann als individueller Physiozentrismus tatsächlich jedem einzelnen Gegenstand einen moralischen Eigenwert zusprechen, also belebter wie unbelebter Materie, womit alles Existierende ein Recht auf Fortbestand hätte. Oder er kann als Holismus (gr. ὅλος, holos, ganz) die umfassendste Position einnehmen und die Natur als Ganzes für moralisch wertvoll erachten.

      Soweit so gut. Es muss an dieser Stelle nun allerdings eine wichtige Unterscheidung getroffen werden. Bisher habe ich die vier möglichen Objektgruppen benannt, denen wir moralische Berücksichtigung zukommen lassen können. Diese Objektgruppen zeichnen sich, erinnern wir uns an das im vorherigen Teilkapitel Gesagte, durch bestimmte Eigenschaften aus, als da wären: ein menschliches Lebewesen zu sein (Anthropozentrismus), ein leidensfähiges Lebewesen zu sein (Pathozentrismus), überhaupt ein Lebewesen zu sein (Biozentrismus) und allgemein existent zu sein (Physiozentrismus).

      Solche natürlichen Eigenschaften sagen allerdings noch nichts über irgendeine moralische Relevanz aus. Oder genauer gesagt: Die alleinige Benennung der moralisch relevanten Objektgruppen sagt noch nichts darüber aus, warum wir diese Objektgruppen moralisch berücksichtigen sollten. Wenn ein Anthropozentrist also sagt, dass nur menschliche Lebewesen moralisch zu berücksichtigende Objekte darstellen, muss er sich die Frage gefallen lassen, warum dies so sei. Gleiches gilt auch für den Pathozentristen, den Biozentristen und den Physiozentristen.

      Ethiker müssen an dieser Stelle Argumente vorlegen, die ihre moralisch schützenswerte Objektgruppe begründen. Was zeichnet den Menschen für den Anthropozentristen als moralisch relevant vor allen anderen Lebewesen aus? Was zeichnet leidensfähige Wesen für den Pathozentristen als moralisch relevant vor allen anderen Lebewesen aus, usw.?

      Jede Tierethik muss zunächst die eine Grundfrage klären, die verschieden gestellt werden kann: Gibt es überhaupt Gründe, Tiere in die Gesellschaft moralisch relevanter Wesen aufzunehmen? Haben wir Tieren gegenüber überhaupt moralische Verpflichtungen? Müssen wir ihre Belange, sofern sie denn welche haben, überhaupt moralisch berücksichtigen? Diese Frage kann mit Ja oder Nein beantwortet werden.

      Wird sie mit Nein beantwortet, dann werden tierliche Belange als moralisch irrelevant eingestuft. In diesem Fall hätten wir lediglich indirekte Pflichten gegenüber Tieren, was bedeutet, dass wir Tiere als Sachen ansehen, die irgendjemandem gehören. Indirekt sind die Pflichten deswegen, weil etwa Tierquälerei dann kein moralisches Vergehen an den Tieren selbst wäre, sondern entweder am Besitzer des Tieres oder an uns selbst, weil unsere Grausamkeit gegen das Tier etwas über unseren eigenen Charakter verriete.

      Beantworten wir die Frage indes mit Ja, erkennen wir tierliche Belange zunächst einmal grundsätzlich als moralisch relevant an. Doch welchen Grund könnten wir haben, diese Frage mit Ja zu beantworten? Wie kommen wir darauf, dass Tiere moralisch zu berücksichtigende Wesen sind?

      Tierethiken beantworten diese Frage in der Hauptsache mit dem Verweis auf bestimmte moralisch relevante Eigenschaften, welche Tiere in einer dem Menschen hinreichend ähnlichen Ausprägung besitzen. Die Frage ist dann nur, welche Eigenschaften hier die ausschlaggebenden sind.

      Die wohl auf häufigsten genannte Eigenschaft ist dabei die Empfindungs- bzw. Leidensfähigkeit. Fühlende Wesen, so die Annahme, verdienen grundsätzlich moralische Rücksichtnahme. Dabei darf allerdings nicht der Fehler begangen werden, die Fähigkeit, etwas empfinden zu können nur auf Schmerzempfinden zu reduzieren. Lebewesen können in vielfältiger Weise empfinden und leiden, auch ohne körperlichen Schmerz (vgl. Rollin 2008, 45). In diesem umfassenden Sinn gelte es folglich, alle Lebewesen, denen es besser oder schlechter gehen kann, moralische Rücksicht zukommen zu lassen.

      Der Bereich moralisch relevanter Eigenschaften kann allerdings auch enger gefasst werden, indem zur reinen Empfindungsfähigkeit weitere hinzutreten. Konkret geht es um die Fähigkeiten des Selbstbewusstseins (Bewusstsein des eigenen Wohls) und Zeitbewusstseins (Erinnerungen und Wünsche). Die Idee dahinter ist, dass nur solche Lebewesen, die diese beiden Fähigkeiten zumindest in rudimentärer Form aufweisen, ein Interesse am eigenen Wohlbefinden ausprägen können. Lebewesen, die diese beiden Fähigkeiten nicht aufweisen, sind zwar immer noch empfindungsfähig, können aber kein Interesse am eigenen wohlbefindlichen Überleben haben, weil sie sich selbst nicht als existent erfahren. Dieser Bereich von Wesen wird in aller Regel mit dem Begriff der Person markiert. Eine derartige Tierethik würde allein Personen einen moralischen Status zuerkennen, eben weil sie über bestimmte (moralisch relevante) Eigenschaften verfügen, die andere Lebewesen nicht aufweisen. Ob es sich bei Personen ausschließlich um Menschen handelt, ist dabei noch völlig offen.

      Tierethiken, die Tieren aufgrund bestimmter Eigenschaften oder Fähigkeiten einen moralischen Status zuerkennen, erkennen damit zeitgleich an, dass es notwendigerweise zu Konflikten zwischen tierlichen und menschlichen Belangen oder Interessen kommen kann, und müssen somit stabile Argumente für eine Lösung dieser Konflikte entwickeln. Moralkonzeptionen, die solche Konflikte nicht zulassen, werden entweder immer zugunsten der Menschen also anthropozentristisch argumentieren (was eigentlich immer der Fall ist) oder sie argumentieren immer zugunsten der Tiere (was eigentlich nie der Fall ist). Die große Mehrheit tierethischer Moralkonzeptionen aber lässt solche Konflikte zu und ist um entsprechende, unterschiedlich verbindliche Lösungen bemüht.

      Wenn Moraltheorien Konflikte zwischen menschlichen und tierlichen Belangen zulassen, dann deshalb, weil sie die prinzipielle Aufnahme bestimmter Tiere in die moralische Gemeinschaft befürworten. Im Wesentlichen nutzen diese Moraltheorien eine von zwei Begründungs-strategien, um diese Aufnahme zu begründen.

      (1) Die eine Begründungsstrategie haben wir bereits kennengelernt. Sie versucht die zu Beginn erwähnte anthropologische Differenz durch das Zugeständnis zu überwinden, dass viele Tiere mit Blick auf die zur Debatte stehenden Fähigkeiten bzw. Eigenschaften (Empfindungsfähigkeit, Rationalität, Personalität usw.) dem Menschen hinreichend ähnlich genug sind, um in die Gruppe moralisch zu berücksichtigender Wesen mit aufgenommen zu werden. Statt trennender Merkmale werden nun Gemeinsamkeiten herausgestellt, und zwar in der Absicht, die Speziesgrenze als moralische Trennlinie zwischen Mensch und Tier zu überwinden. Die moralische Gemeinschaft soll folglich, so die Forderung, erweitert werden. Man spricht daher vom Extensionsmodell