tun.
Exemplarisch für diese Position sei der deutsche Philosoph MANUEL SCHNEIDER angeführt, der in seinem Aufsatz Über die Würde des Tieres (2001) zunächst dem Tier einen kreatürlichen Eigenwert zuspricht, es sogar mit einer Würde versieht und die Forderung stark macht, Tiere „um ihrer selbst willen als schützenswert“ (Schneider 2001, 233) zu achten, dennoch aber mit den Worten schließt: „Das Anerkennen eines Eigenwertes des Tieres verbietet uns keineswegs kategorisch jede Form der Instrumentalisierung und Nutzung von Tieren“ (Schneider 2001, 234). Als Begründung führt Schneider an, dass dann nicht nur „jede Form der Domestikation ein Frevel“ sei, sondern auch „höhere Maßstäbe als im zwischenmenschlichen Umgang“ angelegt würden, immerhin lebe auch die menschliche Gesellschaft von „wechselseitigen Indienstnahmen“ (Schneider 2001, 234).
Ähnlich argumentiert der deutsche Philosoph ROBERT SPAEMANN. In seinem Aufsatz Tierschutz und Menschenwürde (1984) richtet sich SPAEMANN ausdrücklich gegen Gewalt an Tieren und verweist auf ihre Schutzbedürftigkeit. Auch (die damals in Deutschland noch legalen) Tierversuche für die Kosmetikindustrie lehnt er hier entschieden ab. In seinen Forderungen indes geht es SPAEMANN aber nicht um eine moralische Gleichstellung von Mensch und Tier, er fordert vielmehr, dass die „Maßstäbe für das ‚unumgängliche Maß‘ an Leiden […] neu gesetzt werden [müssen], und zwar so, dass dieses ‚Nur-Leid-sein‘ des Tieres nicht den wesentlichen Teil seines Lebens definiert“ (Spaemann 1984, 79).
Im Prinzip ist die Grundhaltung der traditionellen Tierschutzethik vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ideal ins Wort gegossen. Zum Thema Tierschutz heißt es dort: „Der Tierschutz ist als Staatsziel im Grundgesetz verankert und im Tierschutzgesetz grundsätzlich geregelt. Für das BMEL ist das Wohlergehen der Tiere ein wichtiges Anliegen. Das Ministerium entwickelt die bestehenden Vorschriften im Sinne des Tierschutzes stetig weiter“ (BMEL 1). Und zum Thema ‚artgerechte Haltung‘: „Für die deutsche Landwirtschaft sind Tierzucht und Tierhaltung wichtige Standbeine. Die Tiergesundheit ist dabei ganz zentral für das Wohlergehen und die Leistungsfähigkeit der Tiere. Dazu tragen sichere Futtermittel, die verantwortungsvolle Anwendung von Tierarzneimitteln und eine effektive Vorbeugung und Bekämpfung von Tierseuchen bei“ (BMEL 2).
Wir sehen, dass sich ungeachtet des Einsatzes für verbesserte Lebensbedingungen der Tiere an der Grundannahme, dass Tiere menschliches Eigentum sind und ihnen unter gewissen Umständen Leid zugefügt werden darf (etwa durch Tötung in der Nutztierhaltung), nichts ändern muss und im Übrigen auch nicht ändern soll. Die Rechtfertigung speist sich ja gerade aus der erstrebten nachweislichen ‚artgerechten‘ Haltung, ob als Nutz- oder Forschungstier.
Was der Tierschutz in den Augen vieler Tierethiken nicht beantworten kann, ist die Frage, warum Tiere einen Schutz vor dem Menschen verdienen. Es fehlt der theoretische Unterbau, das Fundament, auf welchem wir schließlich die Praktiken der Nutztierhaltung plausibel als moralisch thematisieren dürfen.
Ein gängiges Konzept besteht darin, Tieren moralische Rechte zuzuerkennen. Zumeist basieren diese Rechte auf der Tatsache, dass viele Tiere ebenso wie Menschen empfindungsfähige Lebewesen sind, denen es besser oder schlechter gehen kann. Manche Tierethiken berufen sich in ihrer Argumentation auf hinreichende Ähnlichkeiten zwischen bestimmten Tieren und Menschen, um Tierrechte zu begründen. Andere sehen allein in der Empfindungsfähigkeit Grund genug, Tieren einen prinzipiellen Anspruch auf Leben und Unversehrtheit zuzuschreiben.
Einig sind sich Tierrechtspositionen allerdings in ihrer Kritik, Tierschutzethiken ginge es lediglich um die Behandlung von Tieren, aber nicht um ihren Gebrauch. Dabei sei der Gebrauch von Tieren das eigentliche und tiefer liegende Problem, dem sich die Tierethik zuzuwenden habe.
Die stärkste Ausprägung der Tierrechtsbewegung ist der sog. Abolitionismus (von engl. abolition, Abschaffung). Er verlangt unter Verweis auf die unhintergehbaren moralischen Rechte der Tiere (a) die sofortige Abschaffung aller Tierhaltung und allen Tiergebrauchs zu menschlichen Zwecken, sowie (b) die vollständige Abschaffung jeglicher Besitzansprüche auf Tiere. Abolitionisten sehen zwischen den moralischen Rechten von Mensch und Tier keinen Unterschied und keine Graduierung. Es gibt für den Abolitionismus schlichtweg keine Rechtfertigungsmöglichkeit, Tieren zum Nutzen des Menschen Leid zuzufügen bzw. sie zu töten. Prominente Vertreter einer abolitionistischen Tierrechtstheorie sind der US-amerikanische Philosoph TOM REGAN und sein Landmann, der Rechtswissenschaftler GARY L. FRANCIONE.
Die Anerkennung moralischer Grundrechte für Tiere muss allerdings nicht zwingend zum Abolitionismus führen, also zur gänzlichen Einstellung des Gebrauchs von Tieren (vgl. etwa Miligan 2015, Kap. 7). Zumindest argumentiert so der britische Philosoph ALASDAIR COCHRANE. Jede Tierbefreiungsbewegung fußt auf der Annahme, Nutztiere seien unfrei. Und genau diese Annahme ist in COCHRANES Augen falsch. Um nämlich unfrei sein zu können müssten Tiere ein Interesse an Freiheit haben. Und ein Interesse an Freiheit können nur Wesen aufweisen, die ein Interesse an freien Entscheidungen und Selbstständigkeit haben. Das ist der Grund, weshalb wir es auch dann für falsch halten, an Menschen zu forschen, wenn diese Versuche zwar schmerz- und folgenfrei sind, aber ohne Zustimmung erfolgen, also ohne freiwilliges Einverständnis. Tiere sind aber keine selbstbestimmten Wesen, folglich können sie auch nicht frei oder unfrei sein (vgl. Cochrane 2012, 72–76).
COCHRANE, das sei sofort ergänzt, erkennt Tieren zweifelsfreie Rechte auf Leben und Unversehrtheit zu. Nichts darf demnach mit Tieren geschehen, was ihnen Leid zufügt oder ihr Leben beendet. Das ist allerdings nicht der Fall, weil Tiere andernfalls unfrei wären, sondern weil der leidvolle Gebrauch gegen ihre Grundrechte verstößt. Es verbleiben für COCHRANE also durchaus legitime Praktiken des Tiergebrauchs, nämlich diejenigen, die nicht gegen moralische Grundrechte der Tiere verstoßen. Beispiel Tierversuch: Immer dann, wenn ein Tier (a) nicht aus einem gewohnten Habitat entfernt wird, (b) vor und während des Versuchs kein Leid verspürt und (c) auch nach dem Versuch keinerlei Schäden verbleiben, immer dann ist der Gebrauch des Tieres moralisch in Ordnung. Dezent weist COCHRANE darauf, dass wir etwa bei der Erforschung der Verhaltensweisen von Kleinkindern oder der kognitiven Fähigkeiten von Dementen ganz ähnlich vorgehen. Diese Menschen wissen zumeist gar nicht, dass sie Teil eines wissenschaftlichen Versuchs sind. Es wird ihnen aber vor und nach dem Versuch sowie während des Versuchs keinerlei Leid verursacht, also gehen für uns solche Versuche in Ordnung. Ähnliche (wenige) Fälle des moralisch legitimen Tiergebrauchs ergeben sich in der Landwirtschaft oder im Haustierbereich (vgl. Cochrane 2012, Kap. 5–8).
Eine Argumentationslinie, die sich zwischen die Tierschutzethik und den Abolitionismus stellt, wird heute Reformismus (manchmal auch Meliorismus, von lat. meliorare, verbessern) genannt. Sie geht über die traditionelle Tierschutzethik insofern hinaus, als sie nicht auf dem Stand einer ‚lediglich‘ (wenn auch stark) verbesserten Lebensbedingung von Nutztieren stehen bleiben möchte, sondern durchaus das abolitionistische Ziel einer vollständigen Abschaffung aller Nutztierhaltung anstrebt. Sie gedenkt dies allerdings schrittweise zu tun, durch eine sukzessive Anpassung der rechtlichen Bestimmungen durch jeweils kleine Reformen.
Der Reformismus impliziert also einen kausalen Zusammenhang zwischen schrittweisen rechtlichen Reformen und der finalen Abschaffung aller tierlichen Nutzhaltung unter Zuerkennung von Rechten. Als Kernargument dient dem Reformismus dabei die Annahme, dass radikale ‚Ad-hoc-Umstellungen‘, sei es bei der Ernährung oder im Tierversuch, schlichtweg unrealistisch seien (vgl. Newkirk 1992, 43–45) und damit ein von Beginn an notwendig zu verfehlendes Ziel darstellten.
Überhaupt sehen viele Reformisten zwischen der Forderung nach Tierrechten und dem Vorgehen des Reformismus keinerlei Diskrepanz, das gemeinsame Ziel sei doch dasselbe, allein der programmatische Weg dorthin unterscheide sich, mehr noch: Der Versuch, die abolitionistische Tierrechtsbewegung vom Reformismus argumentativ zu trennen, sei vielmehr artifiziell.
Den Reformismus zeichnen bestimmte Charakteristika aus, etwa die Überzeugung, dass Tierschutz nicht lediglich die Minimierung von Schmerz und Leid bzw. eine ‚humane‘ oder ‚artgerechte‘