zwölf Biographiepaaren).
Quelle
Im ersten Kapitel seiner Alexandervita äußert sich PlutarchPlutarch zu seiner Arbeitsweise:
„Wenn ich in diesem Buch das Leben des Königs Alexander und das des Caesar, von dem Pompeius bezwungen wurde, darzustellen unternehme, so will ich wegen der Fülle des vorliegenden Tatsachenmaterials vorweg nichts anderes bemerken als die Leser bitten, wenn ich nicht alles und nicht jede der vielgerühmten Taten in aller Ausführlichkeit erzähle, sondern das meiste kurz zusammenfasse, mir deswegen keinen Vorwurf zu machen. Denn ich schreibe nicht Geschichte, sondern zeichne Lebensbilder, und hervorragende Tüchtigkeit und Verworfenheit offenbart sich nicht durchaus in den aufsehenerregendsten Taten, sondern oft wirft ein geringfügiger Vorgang, ein Wort oder ein Scherz ein bezeichnenderes Licht auf einen Charakter als Schlachten mit Tausenden von Toten und die größten Heeresaufgebote und Belagerungen von Städten.“ (PlutarchPlutarch, Alexander 1,1f.; Übersetzung K. Ziegler).
Das aber heißt nun, dass in antiken Biographien manches, das dem historisch Forschenden relevant erschienen wäre, unter Umständen gar nicht oder aber nicht gebührend berücksichtigt wird. Hinzu kommt, dass die Orientierung am Charakter bisweilen auch die Gliederung von Lebensbeschreibungen bestimmt, was dazu führen kann, dass der behandelte Stoff nicht immer streng chronologisch angeordnet ist. Dies ist beispielsweise der Fall bei SuetonSueton (mit vollem Namen: Gaius Suetonius Tranquillus, etwa 75–150 n. Chr.), der die Viten der römischen Herrscher von Caesar bis DomitianDomitian darstellte (100 v. Chr.–96 n. Chr.). Trotzdem bieten sowohl Sueton als auch PlutarchPlutarch einen im Grundsatz verlässlichen Faktenrahmen, und ihre Werke – wie auch andere Biographien – erweisen sich darüber hinaus immer wieder als unschätzbare Fundgrube für Informationen zu fast allen antiken Lebensbereichen.
2.2.9 Andere Literaturgattungen: Fachschriften, DichtungDichtung, Reden und Briefe
In diesem Sinne liefern noch zahlreiche andere antike Schriften eine unentbehrliche Ergänzung zur reinen EreignisgeschichteEreignisgeschichte, so zum Beispiel die einschlägige Fachliteratur aus vielerlei Wissensgebieten. Zu denken ist hierbei nicht nur an die großen Philosophen wie PlatonPlaton (427–347 v. Chr.) und AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.), oder an medizinische Schriften wie das so genannte Corpus HippocraticumCorpus Hippocraticum (4. Jh. v. Chr.). Von großem historischem Interesse sind auch geographische oder – im weitesten Sinne – naturwissenschaftliche Werke wie die Erdbeschreibung Strabons (ca. 63 v.–19 n. Chr.) oder die „Naturgeschichte“ des älteren Plinius (Gaius Plinius Secundus, 23–79 n. Chr.). Speziell für die WirtschaftsgeschichteWirtschaftsgeschichte wichtig sind etwa die Werke der Agrarschriftsteller CatoCato der Ältere (Marcus Porcius Cato, ca. 234–149 v. Chr.) und ColumellaColumella (Lucius Iunius Moderatus Columella, 1. Jh. n. Chr.), und in den Bereich der Völkerkunde fällt die berühmte Germania des kaiserzeitlichen Historikers TacitusTacitus (Cornelius Tacitus, um 55–120 n. Chr.), die vielleicht nicht so sehr über GermanienGermanien selbst Aufschluss gibt als vielmehr über die ETHNOGRAPHISCHEN Vorstellungen der Römer. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang schließlich die juristische Fachliteratur, die wertvolle Einblicke in die gesellschaftliche Realität des Imperium Romanum besonders im 2. und 3. nachchristlichen Jahrhundert gewährt (Gaius, 2. Jh. n. Chr.; Papinian und Ulpian, beide um 200 n. Chr.).
Man sieht, dass es die Fragestellungen sind, die eine bestimmte Literaturgattung auskunftsfreudig erscheinen lassen. Nicht zuletzt gilt dies für die antike DichtungDichtung. Von der Bedeutung der homerischen Epen (8. Jh. v. Chr.) für die Kenntnis der frühgriechischen Gesellschaftsstrukturen war oben bereits die Rede; ähnliches trifft zu für die „Werke und Tage“ des HesiodHesiod von Askra in Böotien (um 700 v. Chr.), ein längeres Gedicht, in dem er seinen harten Alltag als kleiner Bauer schildert, der stets am Rande der Not lebt. Wieder andere Aspekte des täglichen Lebens werden in Komödien wie denen des AristophanesAristophanes beleuchtet (446–388 v. Chr.), und selbst den Tragödien, die üblicherweise eher ‚zeitlose‘ Probleme im mythologischen Gewand behandeln, kann eine gewisse ‚Aktualität‘ nicht abgesprochen werden: Immerhin haben Dramatiker wie AischylosAischylos (ca. 525–456 v. Chr.), SophoklesSophokles (496–406 v. Chr.) und EuripidesEuripides (480–406 v. Chr.) ihre Stücke für Wettbewerbe gedichtet, und es ist daher gewiss nicht übertrieben anzunehmen, dass sie damit einen ‚Zeitgeschmack‘ berühren wollten. Vor diesem Hintergrund aber lässt sich auch kürzeren Gedichten noch manches abgewinnen, denn auch sie repräsentieren zweifellos einen historischen Diskurs, ob man nun an die frühgriechische LyrikLyrik eines TyrtaiosTyrtaios (650 v. Chr.?), AlkaiosAlkaios (ca. 630 v. Chr.) oder SolonSolon (um 640–560 v. Chr.) denkt, oder an die kaiserzeitlichen Satiren eines JuvenalJuvenal (Decimus Iunius Iuvenalis, 58–130 n. Chr.).
Marcus Tullius CiceroCicero, römische Porträtbüste, Florenz, Uffizien
Ein letzter großer Bereich antiker Literatur sind schließlich die Reden, Flugschriften und Briefe. Teilweise gehören diese Texte zu dem, was Hermann BengtsonBengtson, Hermann als „primäres Material“ bezeichnet hat (→S.44f.). Manches war freilich von vorneherein zur Veröffentlichung gedacht, so etwa die Briefe des jüngeren Plinius (Gaius Plinius Caecilius Secundus, ca. 61–112 n. Chr.), und auch die eine oder andere Rede ist ein reines literarisches Kunstprodukt und nie tatsächlich gehalten worden. Bei den übrigen Reden darf man wohl davon ausgehen, dass sie zumindest nicht in der Form vorgetragen wurden, in der sie überliefert sind. In der Regel besitzen wir nur eine spätere, für die Publikation überarbeitete Version, und diese kann vom Original natürlich erheblich abweichen. All dies gilt es zu berücksichtigen im Umgang mit solchen Erzeugnissen der antiken RHETORIKRhetorik. Gleichwohl liefern sie häufig Informationen aus erster Hand. Gerade die Zeitnähe vieler Reden und Briefe kann allerdings zur Folge haben, dass ihr Inhalt parteiisch und absichtlich subjektiv ist – dies zeigt sich beispielsweise bei den beiden berühmten Athenern IsokratesIsokrates (436–338 v. Chr.) und DemosthenesDemosthenes (384–322 v. Chr.), die uneins waren über die Frage, wie man es mit Philipp II. von MakedonienPhilippII. von Makedonien halten solle. Dies zeigt sich auch in aller Deutlichkeit in vielen Briefen und Reden Ciceros (Marcus Tullius CiceroCicero, 106–43 v. Chr.), die ein beredtes Zeugnis darüber ablegen, wie dieser in der turbulenten Endphase der römischen Republik gleich mehrmals die politischen Seiten gewechselt hat.
2.2.10 Einzelstelle und gesamtes Werk
Reden und Briefe, aber auch DichtungDichtung oder Fachschriften sind also in vielerlei Hinsicht als Quellen fruchtbar zu machen. Freilich werden Althistoriker auf den Ereigniszusammenhang, den narrative Texte – und das heißt hauptsächlich Historiographie und Biographie – stiften, nicht ganz verzichten können. Abschließend sei in diesem Zusammenhang noch auf Folgendes hingewiesen: Wichtig im Umgang mit antiker Literatur jedweder Art ist – und dies sollten die vorstehenden Darlegungen klar gemacht haben –, dass man stets den Autor einer Quellenstelle und das gesamte Werk im Blick behält, selbst wenn man eine Fragestellung bearbeitet, für die bloß ein kleiner Abschnitt daraus interessant ist. Nur wer sich an diese Vorsichtsmaßregel hält, vermeidet es, Darstellungsabsichten oder topische Bezüge zu übersehen und dadurch die Stimmigkeit der eigenen Interpretation zu gefährden.
Literatur
Einführungen:
M. Landfester (Hg.), Geschichte der antiken Texte: Autoren- und Werklexikon (= DNP Suppl. 2), Stuttgart 2007.
J. Bernays, Geschichte der klassischen PhilologiePhilologie, Hildesheim/Zürich 2008.
H.-G. Nesselrath (Hg.), Einleitung in die griechische PhilologiePhilologie, Stuttgart/Leipzig 1997.
F. Graf (Hg.), Einleitung