Coase die politische Gestaltung des gesellschaftlichen Institutionensystems ihrerseits als eine – nach Möglichkeit zu optimierende – Wahlhandlung aufgefasst wissen (‚institutional choice‘ als Steuerungsansatz).[246] Hierbei macht er sich die wohlfahrtsökonomische Vorstellung einer gesellschaftlichen Maximierung ausdrücklich zu eigen.
„Individuals and organizations will, in furthering their own interests, take actions which facilitate or hinder what others want to do. They may supply labour services or withdraw them, provide capital equipment or decline to do so, emit smoke or prevent it, and so on. The aim of economic policy is to ensure that people, when deciding which course of action to take, choose that which brings about the best outcome for the system as a whole. As a first step, I have assumed that this is equivalent to maximizing the value of total production (and in this I am Pigovian).“[247]
(3) Auf den ersten Blick spricht somit einiges für die These, dass Coase den Paradigmawechsel von der Wohlfahrtsökonomik zur Institutionenökonomik als Wegbereiter ermöglicht hat, ohne jedoch diesen Paradigmenwechsel selbst vollständig zu vollziehen. Hierzu wäre es nötig gewesen, das ökonomische Problem nicht als gesellschaftliche Maximierung, sondern als gesellschaftliche Koordinierung aufzufassen: als Gestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen für je individuelle Maximierungsanstrengungen. Die radikale Schlussfolgerung, einer solchen Koordinierung nicht das Kriterium allokativer Effizienz, sondern das Kriterium demokratischer Zustimmung zugrunde zu legen, d.h. sich von der Hypothek utilitaristischen Denkens endgültig zu verabschieden, ist nicht von Ronald Coase gezogen worden, sondern von James Buchanan, mit dessen Name sich das Forschungsprogramm konstitutioneller Ökonomik verbindet.[248] Erst in neuerer Zeit wird gesehen, dass dies eine weitere, nicht minder radikale Konsequenz nach sich zieht, die Schlussfolgerung nämlich, den ökonomischen Ansatz von einer Aktions-Analyse auf eine Interaktions-Analyse umzustellen: auf eine Anreizanalyse sozialer Dilemmata, die einen systematischen Ansatzpunkt für Konsens hinsichtlich institutioneller Arrangements und ihrer institutionellen Reform bietet.[249] Von daher wird man Coase nicht gut zum Vorwurf machen können, dass er nicht bereits alle theoriestrategischen Implikationen des von ihm geforderten Paradigmawechsels von vornherein selbst gesehen und antizipiert hat.
Allerdings ist an dieser Stelle auf einen wichtigen Punkt hinzuweisen, der das Verständnis des Transaktionskosten-Begriffs betrifft. Wird der Paradigmawechsel von der Wohlfahrtsökonomik zur Institutionenökonomik konsequent vollzogen, so verabschiedet man sich nicht nur von der Vorstellung einer gesellschaftlichen |159|Wohlfahrtsmaximierung, sondern zugleich auch von der Vorstellung, es sei wünschenswert, Transaktionskosten zu minimieren. Besonders deutlich wird dies, wenn man sich die Funktionsweise einer Institution veranschaulicht, die, so Coase, in der ökonomischen Literatur noch stärker vernachlässigt und folglich noch weniger verstanden worden ist als die Institution der Firma, nämlich die Funktionsweise der Institution des Marktes (Abb. 5).[250]
Das Marktschema
Abbildung 5 enthält eine schematische Darstellung der Anbieter (A) und Nachfrager (N), die auf einem Markt zusammentreffen. Hier lassen sich horizontale und vertikale Beziehungen – genauer: Interaktions-Beziehungen – unterscheiden. Jede dieser Beziehungen ist dadurch gekennzeichnet, dass mindestens zwei Akteure beteiligt sind und dass die beteiligten Akteure simultan gemeinsame und konfligierende Interessen aufweisen. Ein funktionierender Markt ist nun so beschaffen, dass in vertikalen Beziehungen die gemeinsamen Interessen dominieren, so dass ein wechselseitig vorteilhafter Tausch auch tatsächlich zustande kommt, während in horizontalen Beziehungen die konfligierenden Interessen dominieren, so dass Kartellhandlungen unterbunden werden, obwohl auf jeder Marktseite ein gemeinsames Interesse an einem eigenen Kartell besteht. Vor diesem Hintergrund ist nun auf vier Punkte aufmerksam zu machen.
Erstens ist es in der Tat wichtig, die Transaktionskosten für vertikale Interaktionen möglichst gering zu halten, um gesellschaftlich produktive Tauschakte zu unterstützen. Hierzu dient nicht zuletzt die staatliche Durchsetzungsgarantie privatrechtlicher Verträge.
Zweitens ist es jedoch mindestens ebenso wichtig, die Transaktionskosten für horizontale Interaktionen hinreichend hoch zu halten, um gesellschaftlich unproduktive ‚Tauschakte‘ zu Lasten Dritter in Form von Kartellen zu unterbinden. Hierzu dient nicht zuletzt das Wettbewerbsrecht sowie generell der Versuch, Märkte offen zu halten, um eine wirksame Marktabschottung auch durch potentiellen Wettbewerb zu erschweren.
Drittens ist der systematische Zusammenhang zu beachten: Höhere horizontale Transaktionskosten dienen dazu, die vertikalen Transaktionskosten zu |160|senken. Die Unterbindung von Kartellen erst macht es möglich, Wettbewerbsanreize nutzen zu können, um auch solche Gegenleistungen individuell rational werden zu lassen, die nur schwer justitiabel gemacht werden können. Zugespitzt formuliert: Die rechtsstaatliche Kontrolle und die Kontrolle durch Konkurrenten sind funktionale Komplemente in der gesellschaftlichen Herstellung von Anreizkom-patibilität.
Viertens: Auch wenn eine gezielte Erhöhung von Transaktionskosten eingesetzt wird, um letztlich Transaktionskosten zu senken, liegt die Rationalität eines funktionierenden Marktes nicht in einer Minimierung der insgesamt anfallenden Transaktionskosten, sondern in der allgemeinen Zustimmungsfähigkeit der Anreizstruktur für die betroffenen Marktteilnehmer. Nicht Effizienz, sondern Konsens ist hier das entscheidende Merkmal. – Normativ gewendet, sollten Märkte so ausgestaltet werden, dass sie die gemeinsamen Regelinteressen aller Marktteilnehmer – genauer: aller Bürger – zur Geltung bringen, indem sie Konkurrenz als Instrument gesellschaftlicher Kooperation einsetzen. Es geht darum, das für die Möglichkeit demokratischer Politik unverzichtbar wichtige konsensuale Potential zu aktivieren, das in einer institutionellen, d.h. anreizgestützten, (De-)Stabilisierung (un-)produktiver Interaktionen liegt.[251]
(4) Es geht hier nicht darum, Coase von einer Position aus zu kritisieren, die ohne seine Pionierleistungen wohl kaum zu erreichen gewesen wäre. Seine Leistung besteht darin, wie nur wenige andere der Institutionenökonomik als einer Alternative zur Wohlfahrtsökonomik zum Durchbruch verholfen zu haben. Dass das Neue noch einige Reste des Alten mit sich führt, ist kein Einwand gegen das Neue, sondern allenfalls eine Herausforderung, genauer auf die Übergänge zu achten und exakt jene Unterschiede herauszuarbeiten, durch die sich das Neue vom Alten abhebt. Der in dieser Hinsicht neuralgische Punkt ist die Vorstellung gesellschaftlicher Maximierung, die in den drei bisher rekonstruierten Aufsätzen nicht aufgegeben wird.[252] Folglich sieht es zunächst so aus, als bleibe Coase gleichsam auf halber Strecke stehen, als mache er Halt im unwirtlichen Niemandsland zwischen Wohlfahrtsökonomik und Institutionenökonomik. Sein Werk wäre dann primär eine Übergangserscheinung und allenfalls unter theoriegeschichtlichen Aspekten interessant. Allerdings wäre es voreilig, einen solchen Schluss zu ziehen, bevor nicht noch ein weiterer Aufsatz rekonstruiert wird, der Aufschluss darüber geben kann, was auch heute noch von dem den Coase-Aufsätzen zugrunde liegenden Ansatz gelernt werden kann.
|161|6. Der Aufsatz „How Should Economists Choose?“ (1982)
In diesem Aufsatz führt Ronald Coase eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit der methodologischen Position von Milton Friedman, derzufolge das entscheidende Qualitätskriterium einer wissenschaftlichen Theorie in ihrer Prognosefähigkeit liegt.[253] Coase erhebt den Anspruch, mit Friedman gegen Friedman zu argumentieren – genauer: mit dem Ökonom Friedman gegen den Methodologen Friedman.[254] In der Tat wählt Coase einen dezidiert ökonomischen Zugang zum Thema: „Many economists, perhaps most, think of economics as the science of human choice, and it seems only proper that we should examine how economists themselves choose the theories they espouse.“[255] Es geht Coase also nicht um eine allgemeine Wissenschaftstheorie, sondern – spezifischer – um eine Wissenschaftstheorie von und für Ökonomen.
Insgesamt erhebt Coase drei Einwände gegen Friedmans Position. Der erste Einwand besteht in dem Hinweis, dass es nicht nur auf die prognostische, sondern auch – laut Coase: sogar vor allem – auf die heuristische Qualität einer Theorie ankommt: Die wichtigste Leistung einer wissenschaftlichen Theorie bestehe nicht in empirisch prüfbaren Voraussagen über die Realität, sondern in einer Anleitung