Ingo Pies

Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie


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die bei alternativen Allokationsmechanismen jeweils anfallenden Kosten. Sie verweisen darauf, dass der Prozess der Ressourcenallokation seinerseits Ressourcen verzehrt. Im 1946er Aufsatz sind Transaktionskosten die Kosten einer Fehlallokation von Ressourcen. Sie verweisen darauf, dass bei der Ressourcenallokation anreizbedingte Schwierigkeiten entstehen können und dass solche Schwierigkeiten berücksichtigt werden müssen, wenn Politikempfehlungen auf einem Vergleich der tatsächlich relevanten Alternativen gründen sollen. Im 1960er Aufsatz sind Transaktionskosten die Kosten einer Übertragung von Rechten. Sie verweisen auf die wirtschaftlichen Konsequenzen juristischer Entscheidungen, die bei Rechtsetzung und Rechtsprechung bedacht werden sollten.

      Das Gemeinsame liegt also offensichtlich nicht in der inhaltlichen Fassung des Transaktionskosten-Begriffs. Eher schon liegt es in der Funktion, die der Begriff für die jeweilige Argumentation übernimmt. In allen drei Coase-Aufsätzen markiert der Transaktionskosten-Begriff den blinden Fleck der zeitgenössischen Literatur. Er definiert jene Kosten, die in der ökonomischen Theorie bislang übersehen worden sind und die im Zentrum der Betrachtung stehen müssen, wenn die für das jeweilige Problem relevanten Alternativen endlich ins Blickfeld gerückt werden sollen. Als These formuliert: In den drei Aufsätzen wird |155|der Transaktionskosten-Begriff – explizit oder implizit – jeweils unterschiedlich gefasst. Die Gemeinsamkeit besteht jedoch darin, dass Coase mit Hilfe dieses Begriffs auf die für das jeweilige Problem relevanten Alternativen aufmerksam macht, die in der zeitgenössischen Ökonomik tendenziell übersehen worden sind.

      Aus einer solchen Perspektive wird deutlich, dass es in der Tat einen roten Faden gibt, der die drei Aufsätze miteinander verbindet; einen einheitlichen approach, der in allen drei Aufsätzen zum Ausdruck kommt. Die systematische Gemeinsamkeit liegt in der Methode, und diese lässt sich wie folgt kennzeichnen: In allen drei Aufsätzen geht es Coase um eine Änderung der Fragestellung und um eine hierfür erforderliche Korrektur des Kategoriensystems ökonomischer Theorie. In allen drei Fällen wird diese Korrektur nicht abstrakt vorgenommen, sondern im Rekurs auf eine ökonomische Basiskategorie, mit deren Hilfe eine in der einschlägigen Literatur fest eingefahrene Problemstellung aufgesprengt wird: Im 1937er Aufsatz ist es die gedankliche Figur einer gleichgewichtigen marginalen Substitution, auf die sich das Argument stützt, dass das organisatorische Design wirtschaftlicher Allokation nicht von Produktionskosten, sondern von Transaktionskosten abhängt.[238] Im 1946er Aufsatz ist es die gedankliche Figur der Opportunitätskosten, auf die sich das Argument stützt, dass die alternative Verwendung von Ressourcen und die hiermit verbundene Nutzenstiftung mitbedacht werden muss, wenn man im Wege einer Regulierung natürlicher Monopole nicht zu mehr, sondern tatsächlich zu weniger Ressourcenverschwendung beitragen will.[239] Im 1960er Aufsatz ist es der fundamentale Gedanke der Knappheit, auf den sich das Argument stützt, dass Pro-bleme schädigenden Verhaltens entgegen dem Augenschein nicht einseitig, sondern wechselseitig verursacht sind, so dass es nicht darum gehen kann, externe Effekte um jeden Preis zu internalisieren, sondern allenfalls darum, die mit der Schadensregulierung verbundenen Kosten so gering wie möglich zu halten.[240] Zu diesem Zweck schlägt Coase vor, von einer – interventionistischen – Ex-Post-Maximierung zu einer – rechtspolitischen – Ex-Ante-Maximierung gesellschaftlicher Wohlfahrt überzugehen.

      |156|5. Zwischen Wohlfahrtsökonomik und Institutionenökonomik? – Zu den Rezeptionsschwierigkeiten des Coase-Ansatzes

      Die bisher rekonstruierten Coase-Aufsätze sind rein verbal gehalten. Sie verzichten auf formale Modellierung und auf hiermit verbundene technische Finessen. Statt dessen konzentrieren sie sich auf Argumente. Diese Argumente sind denkbar einfach strukturiert, je geradezu simplistisch – und dennoch sind sie grundlegend missverstanden worden. Lange Zeit wurde ihre Bedeutung für eine ökonomische Analyse institutioneller Arrangements nicht erkannt, und zudem wurde – und wird – die hiermit verbundene Herausforderung der Wohlfahrtstheorie unterschätzt, jener Theorie also, welche das ökonomische und insbesondere wirtschaftspolitische Denken des 20. Jahrhunderts über weite Strecken maßgeblich bestimmt hat. Woran kann das liegen? Worin bestehen die Hindernisse einer angemessenen Rezeption? Inwiefern leisten die Aufsätze selbst der Tendenz Vorschub, die Kernbotschaft des Coase-Ansatzes misszuverstehen? Und nochmals: Worin genau besteht die Kernbotschaft? Und was ist aus heutiger Sicht an dieser Kernbotschaft zu kritisieren?

      (1) Zur Beantwortung dieser Fragen ist zunächst auf zwei Faktoren hinzuweisen, die Missverständnisse gefördert haben könnten. Erstens: In allen drei Aufsätzen wird das ökonomische Kernproblem als Allokationsproblem aufgefasst, als Problem einer optimalen Ressourcenverwendung. Vor allem im 1946er und im 1960er Aufsatz präsentiert Coase seine Überlegungen als eine interne Kritik der Wohlfahrtsökonomik, so als ginge es darum, kategoriale Verbesserungen innerhalb dieses Paradigmas vorzunehmen, anstatt das Paradigma zu wechseln. Coase akzeptiert ausdrücklich, dass die gesellschaftliche Wohlfahrt maximiert werden soll und macht lediglich geltend, dass sie durch eine angemessene Berücksichtigung von Transaktionskosten erfolgreicher maximiert werden kann. Coase präsentiert seine institutionenökonomischen Überlegungen als bessere Wohlfahrtsökonomik. Dies macht es schwer, den von Coase propagierten Wechsel des Ansatzes nicht als eine normalwissenschaftliche Anregung, sondern statt dessen als eine revolutionäre Herausforderung des dominierenden Paradigmas wahrzunehmen.

      Zweitens: Der Anschein, es handle sich um Fortschrittsbemühungen innerhalb des wohlfahrtsökonomischen Paradigmas, wird auch dadurch verstärkt, dass Coase sein Bemühen um eine grundlegende Änderung eingeschliffener Problemstellungen an manchen Stellen nicht als Konstruktivismus, sondern – so scheint es – als Empirismus ausweist. Dies ist tendenziell irreführend. Dass es Coase nämlich nicht um ein einfaches Sammeln von Daten geht, zeigt sich zum einen an seiner Kritik des von der deutschen Historischen Schule maßgeblich beeinflussten amerikanischen Institutionalismus.[241] Zum anderen zeigt es sich daran, dass Coase sich von einer stärker empirisch ausgerichteten Forschung dezidiert konstruktivistische Fortschrittsbeiträge verspricht. So heißt es in der Ergänzungsstudie zum 1937er Aufsatz:

      |157|„I have suggested that what is wanted is a large-scale systematic study of the organization of industry … I have also suggested that this would yield best results if conducted in an atmosphere in which the scientific spirit is not contaminated by a desire (or felt obligation) to find quick solutions to difficult policy issues. … This proposal for more research is founded on my belief that it is unlikely that we shall see significant advances in our theory of the organization of industry until we know more about what it is that we must explain. An inspired theoretician might do as well without such empirical work, but my own feeling is that the inspration is most likely to come through the stimulus provided by the patterns, puzzles, and anomalies revealed by the systematic gathering of data, particularly when the prime need is to break our existing habits of thought.“[242]

      (2) Im übrigen ist es aufschlussreich, dass Coase sich die Frage nach den Gründen für die Rezeptionsschwierigkeiten seines Ansatzes selbst gestellt und retrospektiv wie folgt beantwortet hat: Er schließt eigene Unzulänglichkeiten hinsichtlich der argumentativen Darstellung nicht aus. Als Haupthindernis jedoch identifiziert er den tiefgreifenden Paradigmawechsel, der mit seinem Ansatz verbunden ist.[243] Dieser Ansatz beruht auf einem Element der Selbst-referentialität. Coase geht es darum, die Mängel ökonomischer Theorie mit Hilfe ökonomischer Theorie zu heilen. Hierin sieht er den gemeinsamen Kern seiner drei zentralen Aufsätze und der jeweils zugehörigen Ergänzungsstudien.[244]

      „In mainstream economic theory, the firm and the market are, for the most part, assumed to exist and are not themselves the subject of investigation. One result has been that the crucial role of the law in determining the activities carried out by the firm and in the market has been largely ignored. What differentiates the essays in this book is not that they reject existing economic theory … but that they employ this economic theory to examine the role which the firm, the market, and the law play in the working of the economic system.“[245]

      Der Ansatz, den Coase an die Stelle der wohlfahrtsökonomischen Theorie treten lassen möchte, ist ein institutionenökonomischer Ansatz mit positiven und normativen Implikationen. Auf der einen Seite möchte Coase das Verständnis institutioneller Arrangements fördern, indem er diese nicht nur als Restriktion, sondern zusätzlich auch als Objekt individueller