indem er nachweist, dass in der in dieser Literatur typischerweise verwendeten Modellwelt – einer Modellwelt ohne Transaktionskosten – die von der Wohlfahrtsökonomik empfohlenen Politikmaßnahmen gar nicht nötig wären, um die für wünschenswert gehaltene Angleichung von privaten und sozialen Kosten herbeizuführen. Vielmehr würde sich eine solche Angleichung quasi automatisch einstellen, und zwar durch – kostenlose! – Verträge, durch die rivalisierende Nutzungsansprüche aufeinander abgestimmt und marginal ausgeglichen würden. Hierbei macht sich Coase die Pointe zunutze, dass sich in jedem Fall eine effiziente Allokation einstellen würde, und zwar unabhängig von der Frage, wie die Nutzungsrechte im Ausgangszustand verteilt sind. Bei Abwesenheit von Transaktionskosten würden bestehende Nutzungsrechte per Vertrag genau dorthin übertragen, wo sie den gesellschaftlich größten Nutzen stiften – so die Aussage des berühmt-berüchtigten Theorems, das mit dem Namen Coase mittlerweile untrennbar verbunden ist. Das sogenannte ‚Coase-Theorem‘ formuliert also lediglich ein gegen die Wohlfahrtsökonomik gerichtetes Non-Sequitur. Es sagt nicht aus, welche Anschauung Coase für richtig hält; sondern es sagt aus, dass und warum Coase den wohlfahrtsökonomischen Problemaufriss für verfehlt hält.
Den dritten Argumentationsschritt bildet der lange, nicht weniger als zehn Seiten umfassende Abschnitt V. Hier dokumentiert Coase ausführlich, dass die reziproke Natur des ‚Verursachungs‘-Problems in der juristischen Literatur durchaus gesehen worden ist. Mit diesem Exkurs stimmt Coase den Leser auf seine differenzierende Sicht der Dinge ein und bereitet damit das eigentliche Kernargument seines Aufsatzes vor.
Den vierten Argumentationsschritt bilden die Abschnitte VI und VII. Hier nimmt Coase den durch den Exkurs unterbrochenen Gedankengang wieder auf. War im zweiten Argumentationsschritt gezeigt worden, dass sich das zugrunde liegende Problem reziproker Nutzungskonkurrenz in einer Welt ohne |152|Transaktionskosten ohne weiteres von selbst regelt, stellt sich nun die Frage, wie dieses Problem in einer Welt mit Transaktionskosten wohlfahrtsoptimal gelöst werden kann. Hierzu bietet Coase folgende Überlegung an: Transaktionskosten sorgen dafür, dass der Tausch von Nutzungsrechten unter Umständen bereits eingestellt werden muss, noch bevor die knappen Ressourcen ihre produktivste Verwendung gefunden haben. Damit kehrt sich die Aussage des sog. ‚Coase-Theorems‘ geradewegs um: In einer Welt mit positiven Transaktionskosten wird die Anfangsausstattung mit Nutzungsrechten wichtig, weil sie das Allokationsergebnis der marktlichen Tauschprozesse vorbestimmt. Hieraus zieht Coase nun den Schluss, dass dies bereits bei der Zuteilung von Rechten bedacht werden sollte. Folglich wird Gesetzgebung und Rechtsprechung eine extrem wichtige ökonomische Bedeutung zugesprochen. Das Kernargument lautet im Original wie folgt:
„[W]hen dealing with the problem of the rearrangement of legal rights through the market, I argued that such a rearrangement would be made through the market whenever this would lead to an increase in the value of production. But this assumed costless market transactions. Once the costs of carrying out market transactions are taken into account, it is clear that such a rearrangement of rights will only be undertaken when the increase in the value of production consequent upon the rearrangement is greater than the costs which would be involved in bringing it about. When it is less, the granting of an injunction … or the liability to pay damages may result in an activity being discontinued (or may prevent its being started) which would be undertaken if market transactions were costless. In these conditions, the initial delimination of legal rights does have an effect on the efficiency with which the economic system operates. One arrangement of rights may bring about a greater value of production than any other.“[230]
An dieses Argument schließt Coase zwei Überlegungen an. Die erste Überlegung besagt, dass – ausgehend von gegebenen Rechten – zur Lösung des reziprok verursachten Problems einer Konkurrenz rivalisierender Nutzungsansprüche mehrere Alternativen in Frage kommen und dass jede dieser Alternativen – eine preisliche Koordination der Nutzungsansprüche, eine hierarchische Koordination in Firmen und schließlich eine staatliche Koordination mittels Steuer und Verbot oder ähnlichen Formen der Regulierung – Kosten verursacht, die gegeneinander abgewogen werden müssen, wenn das Wohlfahrtsoptimum nicht verfehlt werden soll.[231] Die zweite Überlegung besagt, dass dort, wo es um die Zuteilung von Rechten geht, also bei der Gesetzgebung und bei der Rechtsprechung, mit berücksichtigt werden sollte, dass – aufgrund von Transaktionskosten – die Primärverteilung von Rechten ihre Sekundärverteilung präjudiziert und dass folglich bereits bei der Zuteilung von Rechten darauf geachtet werden sollte, dass sie einer möglichst produktiven Verwendung knapper Ressourcen nicht im Wege steht.[232]
|153|Den fünften Argumentationsschritt schließlich bilden die Abschnitte VIII, IX und X. Hier nimmt Coase die Auseinandersetzung mit der Literatur wieder auf: die Auseinandersetzung mit Pigou und der sich an Pigou anschließenden Wohlfahrtsökonomik. Gegen Pigou wendet er ein, dass es nicht darauf ankommen kann, externe Effekte ‚um jeden Preis‘ zu internalisieren: Genauso, wie es sehr riskant wäre, alle Risiken strikt vermeiden zu wollen, wäre es sehr schädlich, alle Schädigungen unterbinden zu wollen.[233] Gegen die Pigou-Tradition wendet er ein, dass sie sich den Denkfehler, der Pigou unterlaufen ist, als Methode zu eigen macht.[234] Sein Fazit lautet, dass dieser verfehlte Ansatz korrigiert werden muss.[235] Hierbei geht es ihm vor allem um die Heuristik, d.h. um eine methodische Anleitung zur Wahrnehmung der situativ relevanten Alternativen. Im einzelnen führt er dazu Folgendes aus:
„Analysis in terms of divergences between private and social products concentrates attention on particular deficiencies in the system and tends to nourish the belief that any measure which will remove the deficiency is necessarily desirable. It diverts attention from those other changes in the system which are inevitably associated with the corrective measure, changes which may well produce more harm than the original deficiency.“[236] – „A better approach would seem to be to start our analysis with a situation approximating that which actually exists, to examine the effects of a proposed policy change, and to attempt to decide whether the new situation would be, in total, better or worse than the original one. In this way, conclusions for policy would have some relevance to the actual situation.“[237]
4. Der Coase-Approach: Zur Kennzeichnung des Denkansatzes
Vor dem Hintergrund der bisherigen Rekonstruktion stellt sich nun die Frage, worin die Unterschiede sowie die Gemeinsamkeiten der drei Aufsätze liegen und – dies vor allem – ob sich die Gemeinsamkeiten auf einen zugrunde liegenden Denkansatz zurückführen lassen.
|154|Hinsichtlich der Unterschiede fällt zunächst auf, dass der 1937er Aufsatz einer positiven Analyse dient, während der 1946er und der 1960er Aufsatz hinsichtlich ihrer Argumentation eine normative, unmittelbar politikrelevante Stoßrichtung verfolgen. Im ersten Aufsatz geht es Coase um einen Erklärungsansatz für die Existenz von Firmen, für die Größe von Firmen und schließlich für die Branchenstruktur von Firmen. In den beiden späteren Aufsätzen geht es Coase um eine Korrektur wohlfahrtsökonomischer Politikempfehlungen. Im 1946er Aufsatz beschäftigt er sich mit den Fehlanreizen staatlicher Markteingriffe zur Regulierung natürlicher Monopole, und im 1960er Aufsatz bestimmt er die ökonomische Aufgabe des Staates nicht regulierungspolitisch, sondern rechtspolitisch: Der Staat solle eine Internalisierung externer Effekte, sofern diese überhaupt wünschbar sei, nicht durch eine Intervention in Marktprozesse fördern, sondern vielmehr durch eine Gestaltung der rechtlichen Rahmenordnung für Marktprozesse.
Die Argumente dieser drei Aufsätze lassen sich jeweils als Transaktionskosten-Argumente (re-)formulieren: (a) Die preisliche Allokation auf dem Markt verursacht ebenso Transaktionskosten wie die hierarchische Allokation in der Firma, so dass sich die Organisationsstrukturen der Wirtschaft auf das Bemühen zurückführen lassen, diese Kosten nach Möglichkeit einzusparen. (b) Nicht nur die Firma, sondern auch der Staat ermöglicht eine Form hierarchischer Allokation. Bei der Regulierung natürlicher Monopole bestehen die Transaktionskosten im Ressourcenverzehr einer aufgrund von Fehlanreizen sub-optimalen Allokation. (c) Der Gütertausch ist nicht als Tausch physischer Einheiten, sondern als Tausch von Rechten aufzufassen. Bei diesem Tausch entstehen Transaktionskosten. Folglich sollte die dem Tausch vorangehende Zuteilung von Rechten von vornherein so beschaffen sein, dass sie Einsparungen der im Tauschprozess anfallenden Transaktionskosten ermöglicht.
Diese Reformulierung