Die syntaktisch auffälligen Phänomene lassen, so zeigt sich, die Segmentierung des Textes erkennen und erlauben es in ihrer Summe zudem, das Zentrum der Erzählung zu bestimmen. Eine hierarchische Einordnung der Segmente ist aber allein aufgrund dieser Phänomene nicht möglich. Dies liegt vor allem daran, dass ein analoger Wortgebrauch oder Satzbau an verschiedenen Stellen je anderes |34|Gewicht haben kann.[99] Insofern stellen solche Phänomene zwar »Texttrenner«, nicht jedoch selbständige »Gliederungsmerkmale« dar.[100]
2.4.5 Vorläufige Auswertung
Alle Varianten der sprachorientierten Analyse helfen, den Aufbau einer Erzählung zu erhellen. Sie haben indes jeweils ihre Grenzen: Metakommunikative Sätze mit folgender direkter Rede (2.4.1) und auffällige syntaktische Phänomene (2.4.4) zeigen eine Segmentierung des Textes an, bieten jedoch kaum Ansatzpunkte für eine Hierarchisierung der Segmente; Wiederholungen (2.4.2) lassen sich nur in Verbindung mit anderen Gliederungsmerkmalen als solche werten und gewichten; die Wiederaufnahmestruktur eines Textes (2.4.3) ist nur gesondert mit Blick auf die Handlungsträger (und damit die szenische Gliederung) oder die Sachverhalte und Gegenstände (und damit die narrativen Verknüpfungen) der Erzählung zu erheben, sodass jeweils ein relativ einseitiges Bild von der Textstruktur entsteht. Eine sprachorientierte Analyse ist daher ergänzungsbedürftig, wenn ein Text plausibel gegliedert werden soll.
Inwieweit Untersuchung und Auswertung des Stils der Erzählung zu deren Gliederung beitragen können, ist im Folgenden zu prüfen.
2.5 Erzählstilorientierte Analyse
Jede Erzählung weist einen bestimmten Stil auf. Für die Frage nach Gliederungsmerkmalen ist dieser Erzählstil zumal in zweifacher Hinsicht relevant. Bezüglich der zeitlichen und logischen Stringenz der dargestellten Ereignisfolge ist zu erheben, ob und ggf. wo der Text Abschweifungen, Prolepsen, Nachträge, Lücken, Brüche o.Ä. enthält. Im Blick auf seine formale Kohärenz muss geklärt werden, ob und ggf. wo ein Wechsel der Textsorte, der Erzählperspektive oder der Darstellungsintensität erfolgt. An Lk 15,11b–32 lassen sich der Nutzen und die Grenzen solcher Betrachtungsweise gut erkennen.
Was die formale Kohärenz betrifft, so ist die Erzählung generell durch eine »auktoriale Fokalisierung«[101] geprägt. Freilich begnügt der Erzähler sich überwiegend damit, den Geschehensverlauf zu beschreiben. Nur je einmal bewertet er einen Vorgang und gewährt Einblick in die Gedanken eines Protagonisten: In Lk 15,13fin. redet er von der »heillosen« Lebensweise, mit der der jüngere Sohn sein Gut »vergeudet« habe, in 15,17–19 gibt er dessen Selbstgespräch wieder. Alle weiteren Kommentare erfolgen seitens der Erzählfiguren; die aber bewerten häufig – und zwar durchweg den Werdegang jenes Sohnes.
In Lk 15,30a wird die Wertung aus V. 13fin. seitens des älteren Sohnes expliziert: Der Jüngere habe das väterliche »Eigentum mit Huren aufgezehrt«. Zuvor interpretiert dieser selbst |35|seine »heillose« Lebensweise als »Sünde« (V. 18c.21c), die zum Verlust der Sohneswürde (V. 19a.21d), ja, wie der Vater formuliert, in Tod und Verderben (V. 24a–b.32b–c) geführt habe. Die Heimkehr ins Vaterhaus hingegen deutet der Bursche als »Gesundung«[102], der Vater als Rückkehr ins Leben (V. 24a–b.32b–c) und deshalb als Anlass zur Freude (V. 32a).
Immerhin zweimal werden Gefühle von Handlungsträgern benannt: in V. 20b das »Mitleid« des Vaters mit dem »verlorenen« Sohn, in V. 28a der Zorn des älteren Sohnes angesichts des Festes für jenen Tunichtgut.[103] Doch auch dies bleibt etwas Besonderes und dient jeweils dazu, zu begründen, wie sich Vater und Bruder jenem Sohn gegenüber verhalten.
Die Erzählperspektive bleibt durchgehend die des Berichterstatters. Freilich fokussiert dieser immer abwechselnd den Vater in seiner Hinwendung zu den Söhnen (Lk 15,11b–12.20b–24.28b–32)[104] und einen Sohn in der Begegnung mit anderen Erzählfiguren (15,13–20a.25–28a).
Die Darstellungsintensität schwankt stark. Nach der einleitenden Angabe zur Figurenkonstellation (Lk 15,11b), die auf jede weitere Charakterisierung verzichtet, wird kurz von der Bitte des jüngeren Sohnes um Auszahlung seines Erbteils und der Teilung des Erbes durch den Vater erzählt (V. 12). Es folgen ein Zeitsprung (»nach wenigen Tagen«), die zusammenfassende Darstellung von Vorbereitung[105], Vollzug und Ziel des Auszugs sowie eine summarische Aussage über die Lebensweise des Sohnes in der Fremde (V. 13). Ursache und Anlass seines Eintritts in eine Mangelsituation werden ebenfalls knapp zusammenfassend benannt (V. 14). Die Aussage »er begann zu darben« (V. 14b) bildet dann jedoch den Horizont für eine konkrete Schilderung seines Elends (15,15f.) und die ausführliche Wiedergabe einer gedanklichen Reflexion darüber (15,17–19), die den Hinweis auf den Aufbruch zum Vater nach sich zieht (V. 20a). Nach einem erneuten, im Wortlaut nur angedeuteten Zeitsprung (»noch«) beschreibt der Erzähler ausführlich, wie der Vater den Heimkehrer empfing (V. 20b),[106] um dann zu zitieren, was der Sohn vor dem Vater bekannte (V. 21) und wozu dieser daraufhin die Diener anhielt (15,22–24b). Die Erfüllung des Auftrags wird weitgehend ausgespart; V. 24c notiert lediglich den Beginn des Festes. Die V. 14b entsprechende Formulierung »sie begannen zu feiern« markiert aber zugleich den Horizont für den Rest der Erzählung.[107] Dieser setzt mit einer Zustandsbeschreibung ein |36|(V. 25a) und schildert dann konkret, wie der ältere Sohn nach Hause kam und auf das laufende Fest reagierte (15,25b–28a).[108] Dabei mündet die Schilderung freilich in eine zusammenfassende Kennzeichnung seiner ablehnenden Haltung (V. 28a), gefolgt von einer zusammenfassenden Darstellung des väterlichen Bemühens, ihn von dieser Haltung abzubringen (V. 28b). Am Ende steht ein ausführlich zitierter Wortwechsel zwischen Sohn (15,29f.) und Vater (15,31f.).
Die Schwankungen der Darstellungsintensität sind nun öfters mit mangelnder zeitlicher oder logischer Stringenz der Erzählung verknüpft. So lassen sich Lk 15,15–19 und 15,26f. als Abschweifungen werten; beide Abschnitte unterbrechen den Handlungsablauf, freilich so, dass das jeweils Mitgeteilte die Fortsetzung des Geschehens in V. 20a (nach V. 14) und V. 28a (nach V. 25) plausibilisiert. Zugleich bildet 15,18f. eine ausgedehnte Prolepse: Hier antizipiert der jüngere Sohn seinen Aufbruch zum Vater (s. V. 20a) und das Bekenntnis, das er ihm vorträgt (s. V. 21); der vorgesehene Schlusssatz (V. 19b) fällt in der Umsetzung jedoch aus.[109] Demgegenüber erfolgt in V. 25a eine Rückblende: Zum Zeitpunkt der Ankunft seines Bruders war der ältere