Bedeutung. Andererseits weisen die Verben »herausholen« in V. 22b sowie »hineingehen« und »herauskommen« in V. 28 auf das in V. 25b genannte Haus voraus bzw. zurück, so dass die zugehörigen Szenen mit ihm verknüpft werden.[52] Umso mehr fällt auf, dass der in V. 20a (»er machte sich auf und ging …«) angekündigte Ortswechsel nur implizit – mit der personal gefassten Richtungsangabe »zu seinem Vater« – angezeigt wird; die Notiz in V. 20b: »als er noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater«, bezieht sich dann ja nur auf einen Bruchteil der tatsächlich vom Sohn überbrückten Distanz und lokalisiert die folgende Begegnung jedenfalls in der Nähe des väterlichen Hauses.
Was endlich die Veränderungen in der Konstellation der Handlungsträger angeht, ergibt sich folgendes Bild: In Lk 15,11b–12 sind der Vater und beide Söhne präsent – auch wenn nur der jüngere spricht und der Vater daraufhin handelt.[53] Ab V. 13 konzentriert sich der Erzähler auf den jüngeren Sohn. Ihm werden zwar in 15,15f. »einer der Bürger jenes Landes« und – mit dem Wort »niemand« – eine Gruppe weiterer, namenloser Personen zur Seite gestellt; beide unterstreichen mit ihrem jeweiligen Verhalten aber nur das Ausmaß des Elends, in dem der Sohn leben muss. Mit dem Selbstgespräch in 15,17–19 tritt er gedanklich wieder in Kontakt zu seinem Vater, wobei er sich mit dessen Tagelöhnern vergleicht (V. 17b.19b). V. 20a notiert daraufhin den faktischen Aufbruch »zu seinem eigenen Vater«. Ab V. 20b wird seine Begegnung mit dem Vater geschildert. Als der das Wort ergreift (V. 22a), spricht er jedoch nicht den Sohn, sondern »seine Diener« an: Sie sollen den Sohn neu einkleiden und ein Fest vorbereiten; und an dessen Durchführung sind sie – der Aufforderung V. 23c: »Lasst uns essen und feiern!«, gemäß – selbst beteiligt (V. 24c: »Und sie begannen zu feiern.«). Ab V. 25 tritt dann der ältere Sohn in Erscheinung und führt zwei Gespräche: Das erste mit »einem der Burschen« (15,26f.) eröffnet er selbst, das zweite mit »seinem Vater« wird von diesem initiiert (15,28b–32).[54] Der jüngere Sohn kommt jetzt nur noch – jeweils im Verein mit dem Vater – als Gesprächsgegenstand in den Blick |16|(V. 27.30.32); und dabei bringt ihn der Ältere einmal mit »Huren« in Verbindung, um ihn so sich selbst und seinen »Freunden« gegenüberzustellen (15,29c–30a).
In der hierarchisch geordneten Zusammenschau aller genannten Gliederungsmerkmale lässt sich Lk 15,11b–32 wie folgt strukturieren:
Die Erzählung setzt also mit einer knappen Einleitung (Lk 15,11b–12) ein, die die grundlegenden Voraussetzungen (Personenkonstellation und Ausgangslage) der folgenden Geschichte benennt. Diese (15,13–32) umfasst zwei Hauptteile, die nacheinander den Lebensweg des jüngeren Sohnes bis zu seiner feierlichen Aufnahme durch den Vater (15,13–24) und deren Ablehnung seitens des älteren Sohnes samt der väterlichen Reaktion darauf (15,25–32) behandeln.[55] Beide Hauptteile bestehen aus je zwei Abschnitten, die jeweils durch Notizen zur Hinwendung des Vaters zu dem im Blickpunkt stehenden, auf je andere Weise heimkehrenden Sohn (V. 20b.28b) miteinander verknüpft sind. Die Abschnitte lassen sich ihrerseits noch einmal feiner untergliedern, sodass der wechselvolle Verlauf der Geschichte bis ins Detail erkennbar wird.
Die Anwendung auf Lk 15,11b–32 macht die Vorzüge einer inventarorientierten Analyse sichtbar: Mit dieser kann man anhand klarer Textmerkmale die Schnittstellen einer Erzählung identifizieren sowie im Verhältnis zueinander gewichten und daraufhin eine hierarchisch geordnete Gliederung erstellen. Das |17|Verfahren eröffnet somit einen Zugang zur Struktur einer Erzählung und erlaubt es, darin Haupt- und Nebenstränge zu unterscheiden.
Es hat freilich auch Mängel. Erstens setzt es eine bestimmte Hierarchie der Gliederungsmerkmale – 1. Angaben zum Zeitverlauf, 2. Angaben zum Ortswechsel, 3. Angaben zur Veränderung der Personenkonstellation – als allgemein gültig voraus. Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Voraussetzung zutrifft.
Im vorliegenden Fall ergibt sich z.B. die Wertung des Neueinsatzes in Lk 15,25 als Eröffnung des zweiten Hauptteils primär aus dem erstmaligen Auftreten des älteren Sohnes – nachdem die Geschichte in 15,13–24 auf den jüngeren Sohn fokussiert war. An dieser Wertung würde sich nichts ändern, wenn am Übergang von V. 24 zu V. 25 kein Hinweis auf eine Zeitverschiebung erfolgte und etwa (statt des in 15,24c–28a Geschilderten) erzählt würde, dass der ältere Sohn unmittelbar auf den Auftrag des Vaters an die Diener reagiert und wutentbrannt den Hof verlassen hätte. Umgekehrt würde die Einfügung einer expliziten Zeitangabe am Beginn von V. 16 kaum zu einer Ausgliederung des Verses aus dem Zusammenhang 15,14–16 führen; entscheidend bleibt dessen Kohärenz in Hinsicht auf Personen und Raum.[56]
Näher liegt es, die Hierarchie der genannten Gliederungsmerkmale von der Eigenart eines Textes her je neu zu bestimmen. Das Verfahren bedarf also der Ergänzung durch eine thematische Analyse, die jene Eigenart erschließt.
In der obigen Gliederungsübersicht habe ich an einer Stelle eine entsprechende Umgewichtung bereits vorgenommen: Da Lk 15,11b–32 eine »Beziehungsgeschichte« darstellt, führt die wiederholte Erwähnung des Vaters als der Person, an die sich der jüngere Sohn in seinem Selbstgespräch (15,17–19) erinnerte und zu der hin er aufbrach (V. 20a), zur Einschätzung von 15,17–20a als eines Passus, der auf derselben Gliederungsebene liegt wie 15,13–16.
Zweitens kann man bei einer inventarorientierten Analyse Angaben von untergeordneter Bedeutung[57] kaum als solche erkennen und gewichten. Dazu müsste die konkrete sprachliche Gestaltung des Textes mit bedacht werden.
Daher sind nun Analyseverfahren vorzustellen, die genau dies gestatten.
2.4 Sprachorientierte Analyse
Jede als Text dargebotene Erzählung stellt eine »sprachliche Äußerung[ ]« dar, »die als Einheit betrachtet werden« kann[58]. Bei ihrer Segmentierung ist daher zu berücksichtigen, welche sprachlichen Mittel in ihr verwendet werden. Es kann freilich angesichts der Aufgabe, einen Überblick über ihren Aufbau zu gewinnen, nicht darum gehen, eine umfassende linguistische Analyse durchzuführen.[59] Vielmehr muss die Untersuchung auf Textmerkmale beschränkt werden, die an |18|der Textoberfläche liegen und dort der Abgrenzung und/oder Verknüpfung von Sinneinheiten dienen. Als solche Merkmale können gelten
die Einbindung von Sätzen, die direkte Rede anzeigen und damit jeweils eine weitere Kommunikationsebene in die Erzählung einführen,
Wiederholungen (von Satzfolgen, Aussagen oder Begriffen), die einzelne Abschnitte der Geschichte miteinander verknüpfen,
Wiederaufnahmen (von Personen oder Gegenständen bzw. Sachverhalten), die wesentlich zur Kohärenz des Textes beitragen, sowie
auffällige syntaktische Phänomene.[60]
Was Zusammenstellung und Auswertung dieser Merkmale erkennen lassen und was nicht, wird bei der Anwendung auf Lk 15,11b–32 gut sichtbar.
2.4.1 Metakommunikative Sätze mit folgender direkter Rede
Innerhalb der Erzählung[61] finden sich folgende Belege: a) Nach Lk 15,12a–c brachte der jüngere Sohn einen Wunsch vor den Vater; anstelle einer Antwort wird vom Vollzug des Erbetenen erzählt. b) In 15,17–19 wird ein Selbstgespräch jenes Sohnes zitiert, in dem er auch eine Ansprache an den Vater konzipierte (15,18afin.–19); es folgt (beginnend mit V. 20a) die Darstellung der Umsetzung seines Vorhabens. c) Laut V. 21 trug der Sohn dem Vater auf dessen wortlose Begrüßung hin den ersten Teil der geplanten Ansprache vor. Die Verse 22–24b bieten dann, statt einer Antwort an den Sohn, einen Auftrag des Vaters an seine Diener, dessen Erledigung V. 24c voraussetzt. d) V. 27 stellt dar, was eine Bursche, den der ältere Sohn gerufen hatte (V. 26init.), auf dessen in indirekter Rede angeführte Frage (V. 26fin.) antwortete; die Reaktion des Sohnes erfolgte ohne weitere Worte (V. 28a). e) Während V. 28b erzählt, wie der Vater diesem Sohn »zuredete«, wird zum Schluss ein Wortwechsel zwischen Sohn (15,29f.) und Vater (15,31f.) wörtlich wiedergegeben.
Die Relevanz der Sequenzen aus Redeeinleitung und direkter Rede erhellt schon daraus, dass sie insgesamt gut die Hälfte des Textes ausmachen.[62] Zudem enthalten sie Wertungen des Geschehens.[63]