Florian Wilk

Erzählstrukturen im Neuen Testament


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(vgl. V. 20b nach V. 13), zur Rahmung von Abschnitten (vgl. V. 17a / 20a und V. 17b / 19b), zur Verklammerung von Absätzen (vgl. V. 17c im Gefolge von V. 14), zur Anzeige eines Abschnittsendes (vgl. V. 24c nach V. 23fin.) etc. Wie und auf welcher Ebene der Erzählung sie auf deren Aufbau hindeuten, kann man deshalb nur im Verein mit weiteren, deutlich segmentierenden Textmerkmalen entscheiden. Dies gilt umso mehr, als manche begrifflichen Doppelungen für die Gliederung wenig bis gar nichts besagen.[71]

      Demnach ist festzuhalten: Wiederholungen von Sätzen, Aussagen und Begriffen können innerhalb einer Erzählung durchaus Grenzen oder Verknüpfungen zwischen einzelnen Abschnitten anzeigen; verlässlich in diesem Sinne deuten darf man sie jedoch nur im Konnex mit anderen, klaren Gliederungsmerkmalen. Wie aber steht es mit Rückbezügen, die sich nicht (primär) auf begrifflicher, sondern auf funktionaler und semantischer Ebene vollziehen?

      2.4.3 Wiederaufnahmen

      »Die explizite Wiederaufnahme besteht in der Referenzidentität bestimmter sprachlicher Ausdrücke in aufeinanderfolgenden Sätzen eines Textes.«[72] Eine »implizite Wiederaufnahme« liegt dort vor, wo zwischen den Bezeichnungen »bestimmte … semantische Beziehungen« wie z.B. eine »Teil-von-Relation« bestehen.[73] Solche Wiederaufnahmen sind für die Struktur einer Erzählung zumal dann bedeutsam, wenn sie an den Handlungsträgern und den zentralen Gegenständen oder Sachverhalten des Textes vollzogen werden.

      Achtet man zunächst darauf, wo und wie in Lk 15,11b–32 die Handlungsträger eingeführt und wieder aufgenommen werden, so ergibt sich folgender Befund: Als Hauptfigur wird in Lk 15,11b »ein Mensch« mit zwei Söhnen benannt. Er heißt im Weiteren »der Vater« (V. 12a.22a) bzw., mit Bezug auf den einen oder anderen Sohn, »sein Vater« (V. 20a.b, V. 28b.29a); bisweilen wird er auch nur mit Artikel im Nominativ (V. 12d.31a) oder Personalpronomen (V. 21a: Dativ, V. 22a.25a: Genitiv) bezeichnet.

      Innerhalb von Passagen direkter Rede wird er zum einen als »mein Vater« (so der jüngere Sohn in Lk 15,17b.18a) oder »dein Vater« (so der Bursche in V. 27b) betitelt, zum andern auf verschiedene Weisen angesprochen: vom jüngeren Sohn als »Vater« (V. 12b.18b.21b) und mit Imperativen (V. 12c.19b), von beiden Söhnen mit Pronomina der 2. Person Singular (15,18c–19b.21c–d, V.29b.30a), vom älteren Sohn auch mit Verben derselben Person (V. 29c.30b); zweimal spricht er zudem von sich selbst in der 1. Person Singular (V. 24a.31c–d), und einmal fasst er sich mit den Dienern in der 1. Person Plural zusammen (V. 23c).

      |23|Die beiden Söhne kommen gemeinsam nur in Lk 15,11b sowie – bezeichnet durch Personalpronomina der 3. Person Plural – in V. 12a.d in den Blick, freilich nie als Handlungssubjekte.[74]

      Danach ist primär vom jüngeren Sohn die Rede. Er wird in Lk 15,12a »der jüngere von ihnen«, in V. 13 »der jüngere Sohn« und in V. 21a »der Sohn« genannt. In 15,13fin.–16b und 20b verweisen je fünf Personalpronomina der 3. Person Singular, in V.17a und V. 20a je ein Reflexivpronomen derselben Person auf ihn; zudem fungiert er als Subjekt der Verben in V. 15a.16a.

      In den Passagen direkter Rede heißt er »dieser mein Sohn« aus Sicht des Vaters (Lk 15,24a), »dein Bruder« im Mund des Burschen (V. 27a), »dein Sohn da« aus Sicht des älteren Sohnes (V. 30a) und »dein Bruder da« im Mund des Vaters (V. 32b); er selbst spricht sich in V. 19a.21d in Bezug auf seinen Vater den Titel »dein Sohn« ab. Ferner sind innerhalb der direkten Rede Personalpronomina der 1. und 3. Person Singular (15,12c.17b–18a.19b und V. 22b–c.27c.30b) sowie Verben der 1. Person Singular (15,18a–19a.21c–d) auf ihn bezogen.

      Der andere Sohn wird erst in Lk 15,25a mit der Angabe »sein (sc. des Vaters) älterer Sohn« eingeführt und fortan mit Artikel im Nominativ (V. 29a) oder mit Personalpronomen (V. 27a.31a: Dativ, V. 28b: Genitiv und Akkusativ) bezeichnet; außerdem agiert er in 15,25b–26 und 28a als Subjekt.

      Innerhalb direkter Rede wird er in Lk 15,27a–b (vom Burschen) und V. 31c–d.32b (vom Vater) mit Personalpronomina der 2. Person Singular, in V. 31b überdies mit dem Ausdruck »Kind« adressiert; in V. 29b.c spricht er mit Verben und Personalpronomina der 1. Person Singular von sich selbst.

      Von den weiteren Erzählfiguren werden die »Freunde« des älteren Sohnes nur einmal in wörtlicher Rede genannt (Lk 15,29c). Die übrigen nimmt der Erzähler nach ihrer Vorstellung auf verschiedene Weisen wieder auf: Erstens ist nach dem Verweis auf »einen der Bürger jenes Landes« (V. 15a) erst von »seinen Feldern« (V. 15b), dann implizit von sonstigen Bewohnern des Landes (V. 16b: »niemand«) und schließlich von dort lebenden »Huren« (V. 30a) die Rede. Zweitens beginnt und endet das Selbstgespräch des jüngeren Sohnes mit einem Blick auf die »Tagelöhner« des Vaters (V. 17b.19b). Drittens wird aus der Gruppe der »Diener« (V. 22a) – an die der Vater etliche Imperative richtet (15,22b–23b) – einer noch zweimal erwähnt: in V. 26 mit der Angabe »einer der Burschen« und in V. 27a mit dem Artikel im Nominativ.

      Während die je neu anzustellenden »Tagelöhner« von den dauerhaft tätigen »Dienern« unterschieden werden müssen, herrscht dem lukanischen Sprachgebrauch zufolge zwischen Letzteren und den »Burschen« Referenzidentität.[75] Allerdings setzen beide Begriffe unterschiedliche Akzente: Während δοῦλος auf ein durch »unaufhebbare Pflichterfüllung und Dienstleistung« geprägtes Dasein und somit auf dessen »Bindung an einen Übergeordneten« hinweist,[76] unterstreicht παῖς als »Sammelbegriff für die im Haus dem Herrn unterstehenden Glieder des Hausstandes« deren »Zugehörigkeit« zum Haus[77]. Der Be|24|griffswechsel fällt umso mehr auf, als die Erwähnung der Diener (Lk 15,22a) implizit auch in den pluralischen Verbformen in V. 23c (»lasst uns feiern«) und V. 24c (»und sie begannen zu feiern«) wiederaufgenommen wird, durch die sie mit dem Vater – und im zweiten Fall wohl auch mit dem jüngeren Sohn – verbunden sind. Der bereits notierte[78] Kontrast zwischen den mitfeiernden Dienern und dem sich fernhaltenden älteren Sohn wird also noch dadurch verstärkt, dass jene im Verlauf des Festes als Glieder des väterlichen Hauswesens erscheinen.

      Dieser Befund ist nun zu komplex, um in einer Textübersicht abgebildet und somit für die Gliederung des Textes ausgewertet werden zu können. Dazu ist eine Konzentration auf die wesentlichen Daten erforderlich. Zu diesen gehört erstens die Abfolge begrifflicher Substitutionen, bei denen der Erzähler die Erstbezeichnung eines Handlungsträgers (z.B. »ein Sohn«) präzisiert (»der jüngere Sohn«), determiniert (»der Sohn«), relational bestimmt (»sein Sohn«) oder pronominalisiert (»er«) und dann – durch Rückgriff auf eine der vorausliegenden Substitutionsstufen – wieder renominalisiert.[79] Zumal die Renominalisierung ist relevant, da sie oft anzeigt, dass eine Erzählfigur erneut aktiv oder nach längerer Zeit wieder erwähnt wird,[80] in jedem Fall aber ihrer Erwähnung besonderes Gewicht verleiht. Bedeutung hat zweitens, ob eine Person als Subjekt oder Objekt eines Satzes fungiert und ob eine direkte Rede an sie gerichtet ist oder von ihr handelt. Drittens ist zu beachten, welche Beziehungen zwischen den Handlungsträgern durch relationale Bestimmungen oder durch mehrere Personen betreffende Aussagen geknüpft werden.

      Unter diesen Gesichtspunkten lässt sich die Wiederaufnahmestruktur der Erzählung Lk 15,11b–32 hinsichtlich der Handlungsträger in der nebenstehenden Tabelle darstellen. Sie gibt zu erkennen:

      1 Die Einleitung in diese Geschichte von »ein(em) Mensch(en)« und seinen »zwei Söhne(n)« erfolgt in Lk 15,11b–12; sie benennt die Figurenkonstellation und die auf Initiative des jüngeren der Söhne vom Vater für beide geschaffene Ausgangssituation.

      2 Lk 15,13 eröffnet den ersten Hauptteil, in dem »der jüngere Sohn« die zentrale Figur darstellt. Der Handlungsstrang reicht vom Fortgang in ein fernes Land bis zum Sündenbekenntnis bei der Heimkehr (V. 21). Dabei wird in 15,15f. ausdrücklich von Kontakten zu Bewohnern jenes Landes erzählt; anschließend heißt es, er gehe »in sich« (15,17–19) und erneuere gedanklich die Beziehung zu »(s)einem Vater«, in der er jetzt aber nicht mehr dessen »Sohn« heißen, sondern nur noch als »Tagelöhner« für ihn arbeiten könne; Aufbruch (V. 20a) und Annäherung ans Haus ziehen dann die Begrüßung durch »sein(en) Vater« nach sich (V. 20b), die »der Sohn« mit seinem Bekenntnis beantwortet (V. 21).

      3 In Lk 15,22a lenkt der Ausdruck »der Vater« auf die Einleitung zurück. Die folgende