Fort- sowie Niedergang vor; er gedenkt im Selbstgespräch seines Vaters und plant Aufbruch und Rückkehr (15,17–19), inklusive einer Ansprache an ihn; angekommen – und voll Mitleid begrüßt –, bekennt er dem Vater, gesündigt und den Sohnesstatus verspielt zu haben (V. 21). Daraufhin spricht der Vater, wendet sich aber an seine Diener (15,22–24b); das in Auftrag gegebene Fest wird sofort begonnen. Ab V. 25 ist es der ältere Sohn, der Gespräche führt: zunächst mit einem der Burschen, der, herbeigerufen und befragt, ihm erklärt, warum es ein Fest gibt (15,26f.); sodann mit dem Vater, der |19|ihm in seinem Zorn zuredet (V. 28a–b) und auf seinen Protest hin (15,29f.) das Schlusswort spricht, das ihn der Gemeinschaft mit dem Vater versichert, zugleich aber das Fest für den »Bruder« für notwendig erklärt (15,31f.). Demnach ist der Text wie folgt zu gliedern:
Diese Betrachtungsweise lässt die Zweiteiligkeit der Erzählung (mit der Grenze zwischen Lk 15,24 und 25) klar zutage treten. Sie macht darüber hinaus deutlich, dass auf der erst entworfenen,[64] dann dem Vater vorgetragenen Ansprache des jüngeren Sohnes (15,18b–19.21) – der Sache nach also auf dessen Reue und Umkehr – ein starker Akzent liegt. Nicht zuletzt vermittelt sie die Einsicht, dass die beiden Hauptteile zum Ende hin parallel strukturiert sind: Beiden Söhnen kam der Vater freundlich entgegen (V. 20b, V. 28b); beide betonten, auf je eigene Weise, ihre innere Distanz zum Vater (V. 21 und 15,29f.); beide vergewisserte er daraufhin ihrer Gemeinschaft mit ihm (V. 22b–c, V. 31b–d)[65], um abschließend hier wie dort von dem Fest zu sprechen, mit dem die Rückkehr des jüngeren Sohnes ins Leben gefeiert wurde (15,23–24b und 32). Freilich richtet sich das Wort des |20|Vaters in 15,22–24b an seine Diener. Ihnen, die er zu Mitfeiernden gemacht hat (V. 23c.24c), wird also in der Erzählung der ältere Sohn gegenübergestellt, der sich fernhielt und von dem am Ende offen bleibt, ob er sich zur Mitfreude bewegen ließ.
Am Beispiel von Lk 15,11b–32 zeigt sich somit: Anhand der Einbindung wörtlich zitierter Äußerungen von und Gespräche zwischen den Protagonisten einer Erzählung kann man einen Überblick über ihre Anlage gewinnen und erkennen, welche Rollen jene Figuren in einzelnen Abschnitten und im Gesamtgefüge des Textes einnehmen. Zudem wird sichtbar, welche Impulse das Fortschreiten der Handlung bewirken. Offen bleibt freilich, in welchem hierarchischen Verhältnis zueinander die einzelnen Sequenzen stehen und welche Sinnlinien sie miteinander verbinden; dabei geraten auch begriffliche Differenzierungen (wie die zwischen »dein Sohn« in V. 30a und »dein Bruder« in V.32b) aus dem Blick. Eine sprachorientierte Analyse muss deshalb auch die »Wiederaufnahmestruktur«[66] eines Textes erheben. Deren auffälligstes Element ist die schlichte Wiederholung; sie ist deshalb als Nächstes zu erörtern.
2.4.2 Wiederholungen
Innerhalb von Lk 15,11b–32 werden an zwei Stellen ganze Sätze wiederholt: In V. 21b–d zitiert der jüngere Sohn die ersten zwei Drittel seiner in 15,18b–19b konzipierten Ansprache; der letzte Teil des Konzepts: »Mache mich wie einen deiner Tagelöhner«, wird durch den unmittelbar auf sein Schuldeingeständnis folgenden Auftrag des Vaters an die Diener, den Heimkehrer feierlich als Sohn willkommen zu heißen (15,22–24b), verdrängt. In V. 32 weist der Vater seinen älteren Sohn dann mit signifikanten Modifikationen auf denselben Zusammenhang hin, den er in 15,23c–24b den Dienern angezeigt hat:
15,23c–24b | 15,32 |
»Lasst uns essen und feiern, | »(Jetzt) aber war es nötig, zu feiern und fröhlich zu sein, |
denn dieser mein Sohn war tot | denn dein Bruder da war tot |
und ist wieder lebendig geworden, | und ist lebendig geworden, |
er war verloren | und (er war) verloren |
und ist gefunden worden.« | und ist gefunden worden.« |
Beide Wiederholungen verstärken die innere Geschlossenheit des Gesamttextes;[67] im Übrigen erfüllen sie jedoch verschiedene Funktionen. Das wörtliche Zitat von 15,18b–19a in V. 21b–d unterstreicht, dass gerade das Schuldbekenntnis den Vater veranlasste, die feierliche Aufnahme des Heimgekehrten als seines Sohnes zu vollziehen – und markiert somit unübersehbar die aus dem Elend ins Fest führende Wende auf dessen Lebensweg. Dies Zitat verknüpft also Teilabschnitte innerhalb des dem jüngeren Sohn gewidmeten Teils der Erzählung. Die Variation von 15,23c–24b in V. 32 verstärkt hingegen den Kontrast zwischen den Dienern, die eingeladen wurden, an der Freude des Vaters über die Rettung des jüngeren Sohnes teilzuhaben, und dem älteren Sohn, der genau jene Freude nicht teilte, |21|damit aber seine Aufgabe als Bruder des Jüngeren verfehlte. Diese Variation hebt also die analoge Zuspitzung der auf je einen der Söhne fokussierten Hauptteile hervor. So zeigt sich: Wiederholungen können auf verschiedenen Ebenen der Erzählung als Gliederungsmerkmale dienen; gewichten lassen sie sich jedoch nur aufgrund einer mit anderen Kriterien vorgenommenen hierarchischen Ordnung jener Ebenen.
Dies wird noch deutlicher im Blick auf die Aussagen zur Schlachtung des »Mastkalbes«. Dreimal ist davon die Rede – nacheinander in der Anweisung des Vaters, im Bericht des Burschen und im Protest des älteren Sohnes:
15,23: »und holt das Mastkalb, schlachtet es, und lasst uns essen und feiern.«
15,27: »… Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das Mastkalb geschlachtet …«
15,30: »als aber dein Sohn da … kam, hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.«
Die doppelte Wiederholung signalisiert, dass etwas Außergewöhnliches vollzogen wurde: ein Akt, der zugleich die große Freude des Vaters ausdrückt und den zornigen Protest des älteren Sohnes erklärt.[68] Damit aber knüpft sie die Begegnungen des älteren Sohnes mit Bursche und Vater an das Fest, mit dessen Eröffnung die Darstellung der Heimkehr des jüngeren Sohnes schließt.
Verschiedenen Zwecken dienen auch die Wiederholungen bestimmter Ausdrücke. So markiert die Aufnahme des Adjektivs μακρά »fern« aus Lk 15,13 (»ein fernes Land«) im Adverb μακράν (V. 20b: »Als er … noch fern war …«) den Beginn des Abschnitts, der die Rückkehr des ausgewanderten Sohnes behandelt. Zuvor werden zum einen sein Selbstgespräch durch zwei Hinweise auf die »Tagelöhner« (V. 17b.19b), zum andern die ganze Schilderung seines inneren wie faktischen Aufbruchs durch Kombinationen des Reflexivpronomens ἑαυτόν/ἑαυτοῦ mit dem Verb »gehen« (V. 17a: »Er … ging in sich …«; V. 20a: »… und ging zu seinem eigenen Vater«) gerahmt; dabei repetiert V. 20a zugleich die Formulierung ἀναστὰς … πρὸς τὸν πατέρα aus V. 18a. Die Rede vom tötenden »Hunger« (λιμός) des Sohnes in V. 17c greift die Erwähnung der »schweren Hungersnot« (λιμὸς ἰσχυρά) in V. 14a auf, verknüpft also sein Selbstgespräch (15,17–19) mit der Darstellung seines Elends (15,14–16). Später zeigt die Umsetzung des Adhortativs »lasst uns feiern« (V. 23fin.) in die Aussage »und sie begannen zu feiern« (V. 24c) das Ende des Hauptteils an, der vom Werdegang des jüngeren Sohnes handelt; die erneute Aufnahme des Verbs »feiern«[69] im Disput zwischen älterem Sohn (V. 29fin.: »auf dass ich … feiere«) und Vater (V. 32a: »… war es nötig zu feiern …«) unterstreicht dann, wie der Schluss der Erzählung auf den jenes Hauptteils zurücklenkt.
Im letztgenannten Zusammenhang ist eine weitere Beobachtung bedeutsam. Die Erwähnung der δούλοι »Diener« in Lk 15,22a spiegelt sich im Selbstporträt des älteren Sohnes wider, der in V. 29b von sich sagt: »Siehe, so viele Jahre diene (δουλεύω) ich dir …« Der Erzähler verstärkt also den Kontrast zwischen den Dienern, die auf Anweisung des Vaters das Fest der reuigen Heimkehr des jüngeren Sohnes nicht nur ausrichteten, sondern auch mitfeierten (V. 23c.24c), und dem älteren Sohn, der dem