Группа авторов

Glaube


Скачать книгу

      Glaube scheint ein komplexes Phänomen zu sein, das weit mehr und deutlich anderes impliziert als der umgangssprachliche Gebrauch im Sinne eines Fürwahrhaltens einer Sache andeutet.

      2. Glaube in Judentum und Hellenismus

      Wir haben von einer explosionsartig vermehrten Verwendung des Lexems Glaube im Vergleich mit seiner Vor- und Zeitgeschichte gesprochen. Was war im Blick, wenn im Neuen Testament von πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«) die Rede war? Bestanden |39|Anknüpfungspunkte für das frühe Christentum? Erfährt die Begrifflichkeit eine Neuausrichtung? Daher soll zunächst die sprachliche Vorgeschichte des Lexems knapp erarbeitet werden.

      2.1. Septuaginta

      In der Septuaginta sind Wörter des Stammes אמן (ʾmn) durchgehend mit πιστεύειν, πίστις (»glauben«, »Glaube«) wiedergegeben worden, auch wenn diese nicht die einzigen Begriffe waren, um das Verhältnis Israels zu Gott anzusprechen. »Die Übersetzer müssen also eine sehr starke Kongruenz zwischen den beiden Wortstämmen pist- und ʾmn gesehen haben« (Lührmann 1976: 31). Daher werden die griechischen Wörter πιστεύειν, πίστις (»glauben«, »Glaube«) zu Bedeutungslehnwörtern, die ihren Bedeutungsinhalt aus den Kontexten ziehen, in denen sie als Übersetzungswörter begegnen (Lührmann 1976: 32). Im Blick auf die Septuaginta und weitere frühjüdische Schriften folgert Lührmann: »Glaube assoziiert den Zusammenhang der Grundelemente jüdischer Theologie: Gesetz, Gerechtigkeit, Schöpfung, endzeitliche Vergeltung« (Lührmann 1976: 44f.). Diesen Zusammenhang habe das Judentum allerdings nur im internen Sprachgebrauch verwendet, nicht aber in der Mission oder in der Apologetik. Lührmann schließt folgenden Definitionsversuch an: »Glauben heißt, das Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer der Welt zusammenbringen mit der konkreten Erfahrung dieser Welt, die diesem Bekenntnis zu widersprechen scheint« (Lührmann 1976: 34).

      Ich nenne diejenigen wesentlichen Stellen der Septuaginta zum Thema Glaube, die im Neuen Testament explizit und teilweise mehrfach zitiert oder angespielt und zu Grundlagen weiterer Auslegungen gemacht werden:

      Gen 15,6: Röm 4,3; Gal 3,6; Jak 2,23; außerdem Hebr 11,8

      Jes 28,16: Mt 21,42; Lk 20,17; Röm 5,5; 9,33; 10,11; 1Petr 2,4.6.

      Hab 2,4: Röm 1,17; Gal 3,11; Hebr 10,38.

      Daneben greifen neutestamentliche Schriften auf Erzählungen der LXX zurück, um in typologischer oder allegorischer Auslegung die Struktur des Glaubens zu beschreiben: Röm 4,1–25; Hebr 11,1–38; Jak 2,21–25.

      2.2. Judentum

      Dieter Lührmann hat in verschiedenen Publikationen das Verständnis des Glaubens im Judentum untersucht (Lührmann 1973; 1976, |40|31–45; 1981: 55–64; 1990; zustimmend Lohse 1977: 90–92). Ihm ging es zunächst darum, einer These der Religionsgeschichtlichen Schule fundamental zu widersprechen. Wenn im frühen Christentum von Glaube, von πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«) die Rede ist, dann greife dieser Sprachgebrauch, so Lührmann, nicht auf die synkretistische Propaganda des Hellenismus zurück, die keinen religiösen Gebrauch dieses Lexems kenne. Zwar seien πίστις und πιστεύειν Wörter der griechischen Sprache, diese beziehen ihren Inhalt jedoch ausschließlich aus dem alttestamentlichen und jüdischen Bereich. Lührmann entfaltet den jüdischen Glaubensbegriff an ausgewählten Texten des hellenistischen Judentums (1Hen 61,3f; Sir 35,24–36,3; 3 Bar 57,2; 59,2–11) und erkennt, dass hier Glaube ein Kernbegriff jüdischer Theologie wird. Diese Texte zeigen, »[…] daß Glaube im Judentum einer der Begriffe ist, die das richtige Verhalten des Menschen benennen, der auf Gerechtigkeit aus ist. Dieser Glaube ist orientiert am Gesetz […]; es geht dabei weniger darum, das Gesetz zu halten, als vielmehr, sich an das Gesetz zu halten […]« (Lührmann 1976: 44; auch Hermisson/Lohse 1978: 88). Der jüdische Philosoph Philo von Alexandrien stellt Glaube allerdings als ein Vertrauen dar, das sich nicht auf irdische Gegebenheiten, sondern allein auf Gott bezieht (legum allegoria II 89: πῶς ἄν τις πιστεύσαι θεῷ; ἐὰν μάθῃ, ὅτι πάντα τὰ ἄλλα τρέπεται, μόνος δὲ αὐτὸς ἄτρεπτός ἐστι/»wie soll man Gott glauben? Wenn man lernt, dass alle Dinge sich wandeln, er allein aber unveränderlich ist«).

      2.3. Hellenismus

      Gerhard Barth hat im Anschluss an Dieter Lührmann dessen These, dass der nichtjüdische und pagane Hellenismus einen religiösen Gebrauch von πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«) nicht kenne, in Frage gestellt und nach gründlicher Überprüfung und Besprechung des griechisch-hellenistischen Materials völlig andere Ergebnisse vorgelegt (Barth 1982; dann auch Schunack 1999). Vor allem bei Plutarch (ca. 45–125 n. Chr.), aber auch bei anderen Schriftstellern, finde sich der religiöse Gebrauch von πιστεύειν bezogen auf Götter, die Tyche, die Orakel, religiöse Rede, Wunder und Gottesverehrung »häufiger […] als anderswo« (181). Dies erkläre sich »am einfachsten wohl daher, daß dieser Gelehrte und Philosoph zugleich Priester in Delphi war, daß wir es hier also gewissermaßen mit einem heidnischen Theologen zu tun haben« (182). Es sei wohl nicht zu bestreiten, dass die Sprache des frühen Christentums maßgeblich vom hellenistischen Judentum |41|beeinflusst sei, allerdings sei vor allem in der Gräzität, speziell bei Plutarch, der Gebrauch von πίστις im Sinne der fides quae creditur belegt (πάτριος καὶ παλαιὰ πίστις [»der väterliche und alte Glaube«], Mor 756B, 402E) wie auch die Konstruktion des Genitivus obiectivus (πίστις τοῦ θείου [Gottesglaube«], Mor 165B). Darüber hinaus werde πιστεύειν/πίστις (»glauben«/»Glaube«) häufig mit einem Dativ konstruiert (Glaube oder Vertrauen an einen Gott), es begegne wie im Neuen Testament und im Judentum die Konstruktion πιστεύειν ὅτι (»glauben, dass«) und einmal πίστις in Verbindung mit der Präposition πρός (»auf/an«). Allein für die Verbindung πίστις περὶ θεοῦ/ (»Glaube über Gott« für eine Überzeugung, die man über Gott oder im Blick auf Gott hat) begegne im Judentum und im Neuen Testament gar nicht.

      Ein wesentliches Nebenergebnis der Studie Barths ist, dass die urchristliche Missionsverkündigung an diesen Sprachgebrauch innerhalb des nichtjüdischen Hellenismus anknüpfen konnte (191). Wäre hingegen Lührmanns These korrekt, dass die Rede von πίστις und πιστεύειν ausschließlich im internen jüdischen und christlichen Sprachkontext verankert gewesen sei, dann bliebe das Aufkommen dieses Sprachgebrauchs in der frühchristlichen Mission geradezu unverständlich (192). Die Frage nach sprachlichen Anknüpfungspunkten im Bereich des Hellenismus ist zuletzt durch den wichtigen Hinweis Christian Streckers ergänzt worden, dass im Bereich der imperialen römischen Kultur fides (»Glaube«) gleichfalls ein wesentlicher Verstehenshorizont für die πίστις-Aussagen des Paulus war (Strecker 2005).

      3. Jesus

      Nicht viele Worte innerhalb der Synoptischen Tradition sprechen von πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«). Das Johannesevangelium verwendet das Verb durchgehend, meidet aber das Substantiv. Unübersehbar hat die urchristliche Gemeinde ihr Glaubensverständnis in etliche dieser Worte Jesu eingetragen oder sie gänzlich geformt (z.B. Mt 18,6; 24,23; Mk 1,15; 9,42; Lk 8,12; Joh 8,24; 16,27). Allerdings sind spezifische, mit Glauben (und Bitten) zusammenhängende Themen und Wortfelder zu erkennen, die nicht direkt als Übernahme jüdischer Vorstellungen und auch nicht als von urchristlicher Theologie gezeichnet zu verstehen sind. In ihnen kommt wahrscheinlich ein eigenständiger Impuls Jesu zum Ausdruck, der im Kontext seines Gottesverständnisses erklärbar wird. Glaube begegnet als die Haltung des unbedingten |42|Vertrauens in Gottes Fürsorge, Eingreifen und Handeln. Der Glaube lebt in der Gewissheit der Gebetserhörung (Mt 7,7; Lk 11,9), weiß aber auch um Zweifel und Unglaube angesichts der Verkündigung