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Einführung in die Publizistikwissenschaft


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Die entsprechenden theoretischen Modelle und methodischen Verfahren sind in der komparativen Kommunikationsforschung erst in der Entwicklung. |28◄ ►29|

      6 Ziele des Vergleichs

      Warum vergleichen wir? Einleitend wurde bereits festgestellt, dass die Logik des Vergleiches ultimativ auf Erklärung abzielt. Auf dem Weg zu diesem Endpunkt werden drei weitere, vorgelagerte Zielsetzungen unterschieden (vgl. Esser 2003; Landman 2008):

      1. Ziel: Feststellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden

      Das erste Ziel liegt in der Feststellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Wir beschreiben publizistikwissenschaftlich relevante Phänomene in unterschiedlichen Medienumfeldern, um Gleichartigkeiten von identitätsstiftenden Besonderheiten grob abgrenzen zu können. Als Methode dient uns dazu die kontextuelle Beschreibung. Sie gilt als Anfangspunkt der vergleichenden Analyse, jedoch wird kein geschulter Komparatist hier stehenbleiben.

      2. Ziel: Erkennen funktionaler Äquivalente

      Das zweite Ziel besteht im Erkennen funktionaler Äquivalente. Das Grundproblem der Komparatistik liegt, so trivial es klingen mag, in der Vergleichbarkeit. Nur Äquivalentes (also Gleichwertiges), das in unterschiedlichen Kontexten die gleiche Funktion (also Rolle) erfüllt, kann sinnvoll verglichen werden. Aber was sind funktionale Äquivalente des deutschen Nachrichtenmagazins Spiegel und des Focus in England? Was sind funktionale Äquivalente der auflagenstärksten Schweizer Wochenblätter Coopzeitung und Migros-Magazin in Frankreich? Was ist das funktionale Äquivalent des amerikanischen Berichterstattungsstils Investigative Reporting in der Schweiz? Als Methode zur Identifizierung funktionaler Äquivalente dienen Expertenbefragung, Abgleich mit externen Daten und mehrperspektivische Recherche. Neben dem Länder- und Gegenstandswissen, welches wir aus den zuvor erwähnten Kontextbeschreibungen erhalten haben, ist hierfür zusätzlich theoretisch geschultes Konzeptwissen erforderlich, um die Gleichwertigkeit auf einer höheren Abstraktionsebene erkennen und begründen zu können.

      3. Ziel: Entwicklung von ordnenden Typologien

      Das dritte Ziel der Komparatistik besteht in der Entwicklung von Typologien, welche die Ordnung der erhobenen empirischen Phänomene erlauben. Typologien sind das Mindestergebnis einer komparativen Analyse. Hierbei werden die Befunde aus verschiedenen Ländern (z. B. zu journalistischen Einstellungen, Nachrichteninhaltsmustern oder Mediennutzungspräferenzen) nach mehreren Kriterien oder Dimensionen verglichen, sodass „Typen“ erkennbar werden. Von besonderem Interesse ist, welche Kriterien oder Dimensionen der Forscher|29◄ ►30| identifizieren kann, die zur Entstehung eines Typs beitragen, und wie gut sich die untersuchten Fälle („Realtypen“) denen im Zuge der Typologiekonstruktion entwickelten „Idealtypen“ zuordnen lassen. Erstmalig wurde dieses Vorgehen von Siebert, Peterson und Schramm in Four Theories of the Press (1956) gewählt. Auf Basis verschiedener Vergleichsdimensionen–Medienfunktion, Medienzugang, Medienkontrolle, Medienzensur und Medienbesitz–entwickelten sie vier Idealtypen von Mediensystemen: Autoritarismus-, Liberalismus-, Sozialverantwortungs- und das Kommunismus-Modell. Auch die Nachfolgestudie Comparing Media Systems von Hallin und Mancini (2004) ging so ähnlich vor (siehe Beitrag Mediensysteme–Medienorganisationen, i. d. B.). Eine Zuordnung von Realtypen zu einem Idealtypus ist immer mit Abstraktion und Detailverlust verbunden. Diese Komplexitätsreduktion wird von Komparatisten ausdrücklich begrüsst, weil sie kriterienorientierte Muster zu erkennen erlaubt. Von Nichtkomparatisten wird sie jedoch oft kritisiert, weil sie Länderspezifika, die ausserhalb der gewählten Vergleichskriterien liegen, ausblendet. In der vergleichenden Kommunikationswissenschaft wurden z. B. Typologien entwickelt für nationale Medienstrukturen (vgl. Kriesi 2003; Pfetsch/ Maurer 2008), Einstellungsmuster von Kommunikatoren (vgl. Donsbach /Patterson 2003; Pfetsch 2003a), Medienpublika (vgl. Norris 2000; Tenscher 2008) und Berichterstattungsmuster (vgl. Esser 2008; Plasser/ Lengauer/Pallaver 2009; Wessler et al. 2009).

      4. Ziel: Erklärung

      Das vierte Ziel liegt in der Erklärung. Die grundlegende Annahme der erklärungsorientierten Komparatistik lautet, dass spezifische Konstellationen des medialen und politischen Kontextes in charakteristischer Weise interagieren mit den Einstellungen der Kommunikatoren, ihrem Handeln und den so beeinflussten Ergebnissen der Kommunikation. Unterschiedliche Kontexte korrespondieren also systematisch mit den Kommunikationsvariablen. Nach dieser Erklärlogik haben

      Beispiele für erklärende Vergleichsstudien

      Zhu et al. (1997) den Einfluss politischer, kultureller, organisatorischer und individueller Faktoren auf das berufliche Selbstverständnis von Journalisten in drei Ländern untersucht. Wu (2000) untersuchte für 38 Länder den Einfluss systemischer Faktoren auf die Beachtung dieser Länder in der internationalen Auslandsberichterstattung. In ähnlicher Weise untersuchten Brüggemann/Kleinen von Königslöw (2009) in fünf europäischen Ländern, inwieweit systemische und organisationale Faktoren einen Einfluss auf die Intensität der Europaberichterstattung|30◄ ►31| in Zeitungen haben. Dagegen untersuchten Vliegenhart/ Schuck/Boomgarden/de Vreese (2008) den Einfluss des Tenors der EU-Berichterstattung auf die EU-Unterstützung in der Bevölkerung von sieben Ländern. Während Curran/Iyengar/Lund/Moring (2009) den Einfluss der Qualität der Informationsversorgung in einem Mediensystem auf das politische Wissen der Bürger in fünf Ländern analysierten, studierten Norris/Holtz-Bacha (2001), inwieweit personenbezogene Mediennutzungsfaktoren das politische Wissen der Bürger in 15 EU-Ländern beeinflussen. Alle diese Vergleichsstudien wählten Regressionsanalysen für ihre Kausalnachweise (weitere Beispiele für regressionsanalytische Vergleichsstudien sind Peter 2003, Pfetsch/ Adam/Eschner 2008 oder Iyengar/Hahn/Bonfadelli/Marr 2009). Im Bereich der quantitativ-statistischen Komparatistik bewegt sich die Forschung von Regressions- zu anspruchsvolleren Mehrebenenanalysen (Hanitzsch 2010). Im Bereich der qualitativen Vergleichsforschung sind QCA-Analysen eine interessante Neuerung (Schneider/ Wagemann 2007; Nguyen Vu 2010).

      7 Erklärende Komparatistik: Ihre theoretischen Grundlagen

      Bislang ist die Logik von Kausalität und Erklärung mehrfach im Sinne einer einseitigen „Verursachung“ bzw. „Einflussnahme“ beschrieben worden. Oft hatten die genannten Studien dafür auch die entsprechenden theoretischen Annahmen. Andere kommunikationswissenschaftliche

      Komparatistik will den Zusammenhang zwischen Kontext und Untersuchungsgegenstand erklären

      Theorien machen aber keine Aussagen über einen gerichteten Zusammenhang zwischen Strukturkontext und Untersuchungsgegenstand. In diesen Fällen sollte man angemessener von charakteristischen „Wechselbeziehungen“, „Interaktionen“, „Korrelationen“, oder „Korrespondenzen“ sprechen. Dieser Warnhinweis zur Kausalitätsrichtung ist wichtig und sollte immer beachtet werden.

      Dazu stellt sie Hypothesen auf–aber wie geht das?

      Grundsätzlich führt das aber zu der Frage, woher wir unsere Hypothesen über den Zusammenhang zwischen Strukturkontext und Untersuchungsgegenstand überhaupt nehmen. Dazu ist zu sagen, dass man nur solche Hypothesen aufstellt, für die spezifische Gründe (Ergebnisse aus Vorgängerstudien oder eigenen Beobachtungen) oder aber theoretische Annahmen (Theorien) sprechen. Hypothesen sind immer |31◄ ►32| Bestandteile eines theoretischen Zusammenhangs, und jede erdenkliche komparative Hypothese lässt sich in der Regel einem übergeordneten Theorieparadigma zuordnen. Deshalb sollte die Einordnung in einen theoretischen Rahmen auch immer versucht werden. Für

      Es gibt drei Theorie-Paradigmen, aus denen sich komparative Hypothesen gut ableiten lassen

      die Komparatistik sind dazu die drei grundlegenden Paradigmen der Sozialwissenschaft relevant: Handlungstheorien, Kulturtheorien und Strukturtheorien (vgl. Lichbach 1997). Für jede dieser Perspektiven geben wir im folgenden Beispiele aus der komparativen Kommunikationswissenschaft, die auch als Ansatzpunkte für die eigene Hypothesenentwicklung dienen können.

      7.1 Handlungsorientiertes Paradigma

      Handlungsparadigma: Das Verhalten von Akteuren wird erklärt

      Hier liegt der Fokus auf Akteuren. Komparative Analysen, die das Verhalten von individuellen oder korporativen Akteuren in verschiedenen Kontexten erklären wollen (z. B. die Nachrichtenauswahl von