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Einführung in die Publizistikwissenschaft


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Wie leitet man aus einer handlungsorientierten Nachrichtentheorie (z. B. Gatekeeping, News Bias, Instrumentelle Aktualisierung, Medienframing) komparative Hypothesen ab? Hierbei werden internationale Gemeinsamkeiten oder Unterschiede in der Nachrichtengebung zurückgeführt auf die (gleichwertigen oder abweichenden) organisationalen oder institutionellen Rahmenbedingungen, welche die Handlungsräume, Strategien, Interessen und Spielregeln der einzelnen Journalisten bzw. Medienorganisationen bestimmen. Ein Hypothesenbeispiel lautet: Je stärker in einem Medienbetrieb Konzerninteressen Einfluss auf Nachrichtenentscheidungen nehmen, desto weniger werden Journalisten Beiträge veröffentlichen, die auf kostspieligen Recherchen beruhen oder dem Ansehen oder der politischen Grundhaltung des Medienbetriebes entgegenstehen. Ein anderes Hypothesenbeispiel zum Zusammenhang von Handlungszielen und Rahmenbedingungen lautet: Je stärker Journalisten sich zu einem aktiven Rollenselbstverständnis (als Interpretierer, Kritiker oder Gegner) bekennen, desto stärker werden sie Handlungsräume und -strategien zu etablieren versuchen, die ihnen eine durch Einflussnahme gekennzeichnete Politikberichterstattung erlaubt. Innerhalb der handlungsorientierten Nachrichtentheorien verweist das erste Beispiel auf den Einfluss des Managementstils, das |32◄ ►33| zweite auf den Einfluss professioneller Rollenvorstellungen auf Gatekeepingprozesse (vgl. Shoemaker/Vos 2009).

      7.2 Kulturalistisches Paradigma

      Hier liegt das Interesse auf der Verdichtung von Einzelaspekten als Ausdruck von Kultur. Komparative Analysen, die nicht einzelne Akteure,

      Kulturalistisches Paradigma: Manifestationen von Medienkultur werden erklärt

      sondern gesellschaftliche Gruppen, Diskurse oder Symbolkomplexe vergleichen, können Theorien zur Grundlage nehmen, die dem kulturorientierten Paradigma entstammen. Unabhängig von der Theorie, die man wählt, lautet wieder die Frage, wie man aus ihnen komparative Hypothesen ableitet. Solche Hypothesen führen internationale Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Journalismuskulturen, Nachrichtenkulturen oder Medienkulturen auf verschieden herausgebildete Identitäten, Internalisierungen, Werthaltungen oder Weltbilder zurück. Diese Kulturen sind das Ergebnis historisch-kollektiver Sozialisationsprozesse und können sich in kleinen Milieus, Organisationen, Nationen oder transnationalen Räumen herausbilden. Sie strukturieren einerseits als Orientierungs- und Wahrnehmungsschemata die Weltwahrnehmung der Beteiligten, andererseits strukturieren sie die Produktion, Rezeption, Evaluation und gegebenenfalls Regulation von Medienkulturprodukten. Ergebnisse von Kultur lassen sich in den Vor-und Einstellungen der Kommunikatoren, ihren unmittelbaren Praktiken sowie den daraus resultierenden schriftlichen und mündlichen Kommunikationsprodukten analysieren (vgl. Hepp 2006; Hanitzsch 2007; Brüggemann 2010). Es gibt eine geisteswissenschaftliche und eine sozialwissenschaftliche Kulturforschung. Letztere interessiert hier besonders. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive fordern beispielsweise Semetko und Mandelli (1997) mehr ländervergleichende Untersuchungen zur Hypothese, inwiefern Medien die politische Kultur beeinflussen, indem eine skandalorientierte Politikberichterstattung die Ansichten der Bevölkerung gegenüber Regierungs- und Parteivertretern langfristig untergraben kann. Pfetsch (2003a) untersucht in einer Vergleichsstudie die Hypothese, inwiefern die institutionellen Strukturen des amerikanischen und deutschen Politik- und Mediensystems mit den Beziehungsmustern der Politiker und Journalisten korrespondieren, welche die Autorin zu Typen von Kommunikationskulturen verdichtet. Blumler und Gurevitch (1995) untersuchen eine |33◄ ►34| Hypothese zu den Auswirkungen unterschiedlicher Professionskulturen –„pragmatic“ und „sacerdotal“–in öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Rundfunksendern auf die Berichterstattung über Wahlkämpfe in Grossbritannien und den USA.

      7.3 Strukturalistisches Paradigma

      Strukturalistisches Paradigma: Die Prägekraft institutioneller Arrangements wird erklärt

      Hierbei stehen Systemaspekte als Erklärungsfaktoren im Vordergrund. Komparative Analysen, die Aspekte der Massenkommunikation durch makro-analytische Charakteristika der Medienstrukturen oder Medieninstitutionen erklären, basieren oft auf Theorien der strukturorientierten Forschungstradition. Hierbei werden oft medienökonomische, medienrechtliche, medienpolitische oder medienhistorische Konfigurationen (oder sonstige strukturelle Aspekte des Medien- und Politiksystems) zur Erklärung für unterschiedliche Ausprägungen der politischen oder journalistischen Kommunikation herangezogen. Das Bindeglied zwischen Struktur und Handlung bilden Institutionen, definiert als Regeln und formale Organisationen. Institutionen prägen Rollen, die wiederum das Verhalten einzelner Akteure prägen. Durch den meist direkten Bezug zu nationalen Mediensystemen als Analyseeinheit wird hier besonders deutlich, dass Einflüsse unterschiedlicher Regulierungsordnungen, nstitutionalisierungsformen und anderer verfestigter Makroarrangements auf konkrete Kommunikationsverhältnisse nur durch Ländervergleiche analysiert werden können. Die Mediensystemtypologie von Hallin/Mancini (2004) steht mit ihrem historisch-institutionalistischen Ansatz beispielsweise in dieser Tradition. Weitere Beispiele: Aus ihrem 10-Länder-Vergleich leiten Gunther/ Mughan (2000) die Hypothese ab, dass die effektivsten Barrieren gegen eine Verwässerung der Informationsqualität in heutigen Mediensystemen zwei Strukturelemente sind–ein stark verankerter öffentlicher Rundfunk sowie eine effektiv ausgestaltete Medienregulierung, welche die Einhaltung gemeinwohlorientierter Standards beaufsichtigt. Die 6-Länder-Studie von Aalberg/van Aelst/Curran (2010) bestätigt übrigens genau das. Ein anderes Beispiel ist die Wahlkampfstudie von Swanson und Mancini (1996). Eine ihrer ländervergleichend untersuchten Strukturhypothesen lautet, dass Vielparteiensysteme, in denen programmatisch unterschiedliche Gruppierungen gegeneinander antreten, zu einer grösseren Themen- und Perspektivenvielfalt |34◄ ►35| in der Wahlkampfberichterstattung führen als Zweiparteiensysteme, in denen mit Allerweltsparolen um dieselben unentschlossenen Wähler gekämpft wird.

      Bei der theoretischen Herleitung der eigenen Vergleichsstudie spricht nichts dagegen, Theoriekonzepte zu verwenden, die Bezüge zu allen drei Paradigmen herstellen. Generell dürfte die Theoriearbeit

      Integrative Studien verwenden Theorien, die Elemente verschiedener Paradigmen in sich aufnehmen

      in der komparativen Kommunikationswissenschaft davon profitieren, Impulse aus allen Paradigmen aufzunehmen, integrative Analysemodelle zu entwerfen, und daraus originelle Hypothesen abzuleiten (vgl. Lichbach 2009). Dies sollte jedoch informiert und nicht willkürlich geschehen. Ebenfalls dürfte deutlich geworden sein, dass prinzipiell jeder Gegenstand verglichen werden kann. Was die vergleichende von der nicht vergleichenden Forschung unterscheidet, sind ihre konkreten Ziele, die erklärende Analyselogik und grosse Bedeutung der Fallauswahl. Die Auswahl der Länder ist das Herz der komparativen Methode, wie die folgende Diskussion der methodischen Grundlagen zeigt.

      8 Erklärende Komparatistik: Ihre methodischen Grundlagen

      Die vergleichende Kommunikationsforschung greift deduktiv auf eine Vielzahl theoretischer Stränge zurück und baut induktiv stark auf Ergebnissen von Vorgängerstudien auf. Um den Schritt von der Beschreibung („alte“ Komparatistik) zur Erklärung („neue“ Komparatistik) zu vollziehen, müssen in den Hypothesen die Beziehungen zwischen Kontextfaktoren und den Untersuchungsphänomen klar benannt werden. Die Hypothesen bestimmen dann die Form der

      Die Art der Hypothesen bestimmt das Untersuchungsdesign und die Zahl der Untersuchungsfälle

      Untersuchung (Medieninhaltsanalyse, Dokumentenanalyse, Fragebogensurvey, Intensivinterviews, Beobachtung, Experiment), Art der Datenerhebung (quantitativ oder qualitativ), die Datenerhebungszeitpunkte (Querschnitt oder Längsschnitt) sowie das Forschungsdesign, für das die Anzahl und Auswahl der Untersuchungseinheiten (Länder bzw. Mediensysteme bzw. Elemente von Mediensystemen) festgelegt werden müssen. Die meisten Studien zur komparativen Kommunikationsforschung müssen sich aus Gründen begrenzter Ressourcen oder mangelnder Daten mit kleinen oder mittleren Fallzahlen begnügen. Weil multi-nationale Large-N-Studien ausserhalb der Reichweite von |35◄ ►36| Studierenden liegen, konzentriert sich die weitere Darstellung auf

      In der Kommunikationswis- senschaft überwiegen kleine bis mittelgrosse Fallzahlen

      kleinste bis mittelgrosse Versuchsanordnungen. Während kleine Vergleichsstudien eher „intensive“, qualitativ-verstehende Methoden verwenden, kommen für mittelgrosse Analysen bereits „extensive“, quantitativ-variablenorientierte Methoden in Frage (vgl.